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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
656.

Den Kriegsleuten ist nicht erlaubt, Privateigenthum wegzunehmen
oder muthwillig oder aus Rachsucht zu schädigen. Handlungen der Art
werden strenge nach Kriegsrecht bestraft. Nur die unmittelbare Nothdurft
rechtfertigt ausnahmsweise die Aneignung der erforderlichen Nahrungsmittel
und Kleidungsstücke, wenn nicht durch die Anordnung des Militärcommando's
für die Befriedigung gesorgt ist. Auch in solchen Fällen ist in der Regel
der Werth zu erstatten, soweit nicht die Quartierpflicht zu unentgeldlicher
Leistung nöthigt.

Die militärische Disciplin hat hier manche Mißbräuche, welche die
ältere Kriegsführung befleckt hatten, abgeschafft oder doch ermäßigt. Mit Recht wird
jeder Diebstahl oder Raub, von Soldaten im Quartier oder auf dem Marsch verübt,
strenge bestraft. Niemals darf die Wegnahme von Kostbarkeiten, Uhren u. dgl.,
wohl aber aus Nothdurft die Wegnahme von Lebensmitteln, Brod und Fleisch,
Hausthieren zum Schlachten u. dgl. gestattet werden. Auch die Bier- und Wein-
häuser dürfen so wenig, wie die Bäcker- und Metzgerläden der Plünderung oder
freier Besitzergreifung preisgegeben werden, sondern was da, über die Quartierlast
hinaus verabreicht oder nöthigenfalls genommen wird, das soll bezahlt werden.
Aber es ist, insbesondere auf ermüdenden Märschen oder nach der Schlacht nicht
zu verhindern, daß nicht Hunger und Durst zuweilen zu raschem Zugreifen drän-
gen, welches freilich von der kalten Berechnung und Beurtheilung der privatrecht-
lichen oder strafrechtlichen Logik als rechtswidrig erklärt werden müßte, und
dennoch von der Kriegsgewalt als unvermeidlich geduldet und geschützt
wird.

657.

Das heutige Völkerrecht verwirft das sogenannte Beuterecht im
Kriege als rechtswidrige Barbarei.

1. Vgl. oben § 652. Hugo Grotius (lib. III. cap. 6) setzt noch die
römische Ansicht, daß die Beute wider einen fremden Feind, d. h. wider alle
Statsangehörige des feindlichen Stats erlaubt, und nur im Bürgerkrieg untersagt
sei, als gemeines Völkerrecht voraus. Es war nur eine thatsächliche Ermäßigung
des Beuterechts, wenn das römische Recht den Truppen zur Pflicht machte, die
Beute jederzeit an den Stat abzuliefern, damit er darüber verfüge, deßhalb
eine Ermäßigung, weil die Soldaten ein geringeres Interesse hatten, Beute für den
Stat zu machen. Aber der Eigenthümer fand keinen Rechtsschutz, indem er als
Feind rechtlos war und seine Sachen als herrenlos betrachtet wurden. Zu vollem
Durchbruch gelangt erst in unserm Jahrhundert und nicht ohne Widerspruch vieler

Das Kriegsrecht.
656.

Den Kriegsleuten iſt nicht erlaubt, Privateigenthum wegzunehmen
oder muthwillig oder aus Rachſucht zu ſchädigen. Handlungen der Art
werden ſtrenge nach Kriegsrecht beſtraft. Nur die unmittelbare Nothdurft
rechtfertigt ausnahmsweiſe die Aneignung der erforderlichen Nahrungsmittel
und Kleidungsſtücke, wenn nicht durch die Anordnung des Militärcommando’s
für die Befriedigung geſorgt iſt. Auch in ſolchen Fällen iſt in der Regel
der Werth zu erſtatten, ſoweit nicht die Quartierpflicht zu unentgeldlicher
Leiſtung nöthigt.

Die militäriſche Disciplin hat hier manche Mißbräuche, welche die
ältere Kriegsführung befleckt hatten, abgeſchafft oder doch ermäßigt. Mit Recht wird
jeder Diebſtahl oder Raub, von Soldaten im Quartier oder auf dem Marſch verübt,
ſtrenge beſtraft. Niemals darf die Wegnahme von Koſtbarkeiten, Uhren u. dgl.,
wohl aber aus Nothdurft die Wegnahme von Lebensmitteln, Brod und Fleiſch,
Hausthieren zum Schlachten u. dgl. geſtattet werden. Auch die Bier- und Wein-
häuſer dürfen ſo wenig, wie die Bäcker- und Metzgerläden der Plünderung oder
freier Beſitzergreifung preisgegeben werden, ſondern was da, über die Quartierlaſt
hinaus verabreicht oder nöthigenfalls genommen wird, das ſoll bezahlt werden.
Aber es iſt, insbeſondere auf ermüdenden Märſchen oder nach der Schlacht nicht
zu verhindern, daß nicht Hunger und Durſt zuweilen zu raſchem Zugreifen drän-
gen, welches freilich von der kalten Berechnung und Beurtheilung der privatrecht-
lichen oder ſtrafrechtlichen Logik als rechtswidrig erklärt werden müßte, und
dennoch von der Kriegsgewalt als unvermeidlich geduldet und geſchützt
wird.

657.

Das heutige Völkerrecht verwirft das ſogenannte Beuterecht im
Kriege als rechtswidrige Barbarei.

1. Vgl. oben § 652. Hugo Grotius (lib. III. cap. 6) ſetzt noch die
römiſche Anſicht, daß die Beute wider einen fremden Feind, d. h. wider alle
Statsangehörige des feindlichen Stats erlaubt, und nur im Bürgerkrieg unterſagt
ſei, als gemeines Völkerrecht voraus. Es war nur eine thatſächliche Ermäßigung
des Beuterechts, wenn das römiſche Recht den Truppen zur Pflicht machte, die
Beute jederzeit an den Stat abzuliefern, damit er darüber verfüge, deßhalb
eine Ermäßigung, weil die Soldaten ein geringeres Intereſſe hatten, Beute für den
Stat zu machen. Aber der Eigenthümer fand keinen Rechtsſchutz, indem er als
Feind rechtlos war und ſeine Sachen als herrenlos betrachtet wurden. Zu vollem
Durchbruch gelangt erſt in unſerm Jahrhundert und nicht ohne Widerſpruch vieler

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[357/0379] Das Kriegsrecht. 656. Den Kriegsleuten iſt nicht erlaubt, Privateigenthum wegzunehmen oder muthwillig oder aus Rachſucht zu ſchädigen. Handlungen der Art werden ſtrenge nach Kriegsrecht beſtraft. Nur die unmittelbare Nothdurft rechtfertigt ausnahmsweiſe die Aneignung der erforderlichen Nahrungsmittel und Kleidungsſtücke, wenn nicht durch die Anordnung des Militärcommando’s für die Befriedigung geſorgt iſt. Auch in ſolchen Fällen iſt in der Regel der Werth zu erſtatten, ſoweit nicht die Quartierpflicht zu unentgeldlicher Leiſtung nöthigt. Die militäriſche Disciplin hat hier manche Mißbräuche, welche die ältere Kriegsführung befleckt hatten, abgeſchafft oder doch ermäßigt. Mit Recht wird jeder Diebſtahl oder Raub, von Soldaten im Quartier oder auf dem Marſch verübt, ſtrenge beſtraft. Niemals darf die Wegnahme von Koſtbarkeiten, Uhren u. dgl., wohl aber aus Nothdurft die Wegnahme von Lebensmitteln, Brod und Fleiſch, Hausthieren zum Schlachten u. dgl. geſtattet werden. Auch die Bier- und Wein- häuſer dürfen ſo wenig, wie die Bäcker- und Metzgerläden der Plünderung oder freier Beſitzergreifung preisgegeben werden, ſondern was da, über die Quartierlaſt hinaus verabreicht oder nöthigenfalls genommen wird, das ſoll bezahlt werden. Aber es iſt, insbeſondere auf ermüdenden Märſchen oder nach der Schlacht nicht zu verhindern, daß nicht Hunger und Durſt zuweilen zu raſchem Zugreifen drän- gen, welches freilich von der kalten Berechnung und Beurtheilung der privatrecht- lichen oder ſtrafrechtlichen Logik als rechtswidrig erklärt werden müßte, und dennoch von der Kriegsgewalt als unvermeidlich geduldet und geſchützt wird. 657. Das heutige Völkerrecht verwirft das ſogenannte Beuterecht im Kriege als rechtswidrige Barbarei. 1. Vgl. oben § 652. Hugo Grotius (lib. III. cap. 6) ſetzt noch die römiſche Anſicht, daß die Beute wider einen fremden Feind, d. h. wider alle Statsangehörige des feindlichen Stats erlaubt, und nur im Bürgerkrieg unterſagt ſei, als gemeines Völkerrecht voraus. Es war nur eine thatſächliche Ermäßigung des Beuterechts, wenn das römiſche Recht den Truppen zur Pflicht machte, die Beute jederzeit an den Stat abzuliefern, damit er darüber verfüge, deßhalb eine Ermäßigung, weil die Soldaten ein geringeres Intereſſe hatten, Beute für den Stat zu machen. Aber der Eigenthümer fand keinen Rechtsſchutz, indem er als Feind rechtlos war und ſeine Sachen als herrenlos betrachtet wurden. Zu vollem Durchbruch gelangt erſt in unſerm Jahrhundert und nicht ohne Widerſpruch vieler

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/379>, abgerufen am 21.11.2024.