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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Ein enfant terrible. Russische Unterschleife. Russische Beharrlichkeit.
den ersten Tagen des Frühlings machte damals die zum Hofe ge¬
hörige Welt ihren Spaziergang in dem Sommergarten zwischen
dem Pauls-Palais und der Newa. Dort war es dem Kaiser auf¬
gefallen, daß in der Mitte eines Rasenplatzes ein Posten stand.
Da der Soldat auf die Frage, weshalb er da stehe, nur die Aus¬
kunft zu geben wußte: es ist befohlen, so ließ sich der Kaiser durch
seinen Adjutanten auf der Wache erkundigen, erhielt aber auch
keine andre Aufklärung, als daß der Posten Winter und Sommer
gegeben werde. Der ursprüngliche Befehl sei nicht mehr zu er¬
mitteln. Die Sache wurde bei Hofe zum Tagesgespräch und ge¬
langte auch zur Kenntniß der Dienerschaft. Aus dieser meldete
sich ein alter Pensionär und gab an, daß sein Vater ihm gelegent¬
lich im Sommergarten gesagt habe, während sie an der Schild¬
wache vorbeigegangen: "Da steht er noch immer und bewacht die
Blume; die Kaiserin Katharina hat an der Stelle einmal ungewöhn¬
lich früh im Jahre ein Schneeglöckchen wahrgenommen und be¬
fohlen, man solle sorgen, daß es nicht abgepflückt werde." Dieser
Befehl war durch Aufstellung einer Schildwache zur Ausführung
gebracht worden, und seitdem hatte der Posten Jahr aus Jahr ein
gestanden. Dergleichen erregt unsre Kritik und Heiterkeit, ist aber
ein Ausdruck der elementaren Kraft und Beharrlichkeit, auf denen
die Stärke des russischen Wesens dem übrigen Europa gegenüber
beruht. Man erinnert sich dabei der Schildwachen, die während
der Ueberschwemmung in Petersburg 1825, im Schipka-Passe 1877
nicht abgelöst wurden, und von denen die Einen ertranken, die
Andern auf ihren Posten erfroren.

III.

Während des italienischen Krieges glaubte ich noch an die
Möglichkeit, in der Stellung eines Gesandten in Petersburg, wie
ich es von Frankfurt aus mit wechselndem Erfolge versucht hatte,

Ein enfant terrible. Ruſſiſche Unterſchleife. Ruſſiſche Beharrlichkeit.
den erſten Tagen des Frühlings machte damals die zum Hofe ge¬
hörige Welt ihren Spaziergang in dem Sommergarten zwiſchen
dem Pauls-Palais und der Newa. Dort war es dem Kaiſer auf¬
gefallen, daß in der Mitte eines Raſenplatzes ein Poſten ſtand.
Da der Soldat auf die Frage, weshalb er da ſtehe, nur die Aus¬
kunft zu geben wußte: es iſt befohlen, ſo ließ ſich der Kaiſer durch
ſeinen Adjutanten auf der Wache erkundigen, erhielt aber auch
keine andre Aufklärung, als daß der Poſten Winter und Sommer
gegeben werde. Der urſprüngliche Befehl ſei nicht mehr zu er¬
mitteln. Die Sache wurde bei Hofe zum Tagesgeſpräch und ge¬
langte auch zur Kenntniß der Dienerſchaft. Aus dieſer meldete
ſich ein alter Penſionär und gab an, daß ſein Vater ihm gelegent¬
lich im Sommergarten geſagt habe, während ſie an der Schild¬
wache vorbeigegangen: „Da ſteht er noch immer und bewacht die
Blume; die Kaiſerin Katharina hat an der Stelle einmal ungewöhn¬
lich früh im Jahre ein Schneeglöckchen wahrgenommen und be¬
fohlen, man ſolle ſorgen, daß es nicht abgepflückt werde.“ Dieſer
Befehl war durch Aufſtellung einer Schildwache zur Ausführung
gebracht worden, und ſeitdem hatte der Poſten Jahr aus Jahr ein
geſtanden. Dergleichen erregt unſre Kritik und Heiterkeit, iſt aber
ein Ausdruck der elementaren Kraft und Beharrlichkeit, auf denen
die Stärke des ruſſiſchen Weſens dem übrigen Europa gegenüber
beruht. Man erinnert ſich dabei der Schildwachen, die während
der Ueberſchwemmung in Petersburg 1825, im Schipka-Paſſe 1877
nicht abgelöſt wurden, und von denen die Einen ertranken, die
Andern auf ihren Poſten erfroren.

III.

Während des italieniſchen Krieges glaubte ich noch an die
Möglichkeit, in der Stellung eines Geſandten in Petersburg, wie
ich es von Frankfurt aus mit wechſelndem Erfolge verſucht hatte,

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[227/0254] Ein enfant terrible. Ruſſiſche Unterſchleife. Ruſſiſche Beharrlichkeit. den erſten Tagen des Frühlings machte damals die zum Hofe ge¬ hörige Welt ihren Spaziergang in dem Sommergarten zwiſchen dem Pauls-Palais und der Newa. Dort war es dem Kaiſer auf¬ gefallen, daß in der Mitte eines Raſenplatzes ein Poſten ſtand. Da der Soldat auf die Frage, weshalb er da ſtehe, nur die Aus¬ kunft zu geben wußte: es iſt befohlen, ſo ließ ſich der Kaiſer durch ſeinen Adjutanten auf der Wache erkundigen, erhielt aber auch keine andre Aufklärung, als daß der Poſten Winter und Sommer gegeben werde. Der urſprüngliche Befehl ſei nicht mehr zu er¬ mitteln. Die Sache wurde bei Hofe zum Tagesgeſpräch und ge¬ langte auch zur Kenntniß der Dienerſchaft. Aus dieſer meldete ſich ein alter Penſionär und gab an, daß ſein Vater ihm gelegent¬ lich im Sommergarten geſagt habe, während ſie an der Schild¬ wache vorbeigegangen: „Da ſteht er noch immer und bewacht die Blume; die Kaiſerin Katharina hat an der Stelle einmal ungewöhn¬ lich früh im Jahre ein Schneeglöckchen wahrgenommen und be¬ fohlen, man ſolle ſorgen, daß es nicht abgepflückt werde.“ Dieſer Befehl war durch Aufſtellung einer Schildwache zur Ausführung gebracht worden, und ſeitdem hatte der Poſten Jahr aus Jahr ein geſtanden. Dergleichen erregt unſre Kritik und Heiterkeit, iſt aber ein Ausdruck der elementaren Kraft und Beharrlichkeit, auf denen die Stärke des ruſſiſchen Weſens dem übrigen Europa gegenüber beruht. Man erinnert ſich dabei der Schildwachen, die während der Ueberſchwemmung in Petersburg 1825, im Schipka-Paſſe 1877 nicht abgelöſt wurden, und von denen die Einen ertranken, die Andern auf ihren Poſten erfroren. III. Während des italieniſchen Krieges glaubte ich noch an die Möglichkeit, in der Stellung eines Geſandten in Petersburg, wie ich es von Frankfurt aus mit wechſelndem Erfolge verſucht hatte,

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/254>, abgerufen am 20.11.2024.