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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zehntes Kapitel: Petersburg.
damals in der ersten Blüthe jugendlicher Schönheit stehende Prin¬
zessin Leuchtenberg, später Gemalin des Prinzen Wilhelm von
Baden, an Stelle ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie
und Heiterkeit die Honneurs zu machen. Auch erinnere ich mich,
daß bei einer andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürstin sich
um den Tisch von vier Personen bewegte und sich weigerte, einem
hohen General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweisen. Es
war mir sehr schmeichelhaft, daß dieses großfürstliche Kind auf die
großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich: on
milü
(er ist lieb), in Bezug auf den General aber hatte sie die
Naivität, zu sagen: on wonajet (er stinkt), worauf das großfürst¬
liche enfant terrible entfernt wurde.

Es ist vorgekommen, daß preußische Offiziere, welche lange in
einem der kaiserlichen Schlösser wohnten, von russischen guten
Freunden vertraulich befragt wurden, ob sie wirklich so viel Wein
u. dergl. verbrauchten, wie für sie entnommen werde; dann würde
man sie um ihre Leistungsfähigkeit beneiden und ferner dafür sorgen.
Diese vertrauliche Erkundigung traf auf Herrn von sehr mäßigen
Gewohnheiten, mit ihrem Einverständnisse wurden die von ihnen
bewohnten Gemächer untersucht: in Wandschränken, mit denen
sie unbekannt waren, fanden sich zurückgelegte Vorräthe hoch¬
werthiger Weine und sonstiger Bedürfnisse in Massen.

Bekannt ist, daß dem Kaiser einmal das ungewöhnliche Quantum
von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in den Rechnungen
erschien, wenn der Prinz von Preußen zum Besuche dort war, und
daß schließlich ermittelt wurde, daß er bei seinem ersten Besuche
sich durchgeritten und am Abend das Verlangen nach etwas Talg
gestellt hatte. Das verlangte Loth dieses Stoffes hatte sich bei
spätern Besuchen in Pud verwandelt. Die Aufklärung erfolgte
zwischen den hohen Herrschaften persönlich und hatte eine Heiter¬
keit zur Folge, welche den betheiligten Sündern zu Gute kam.

Von einer andern russischen Eigenthümlichkeit gab es bei
meiner ersten Anwesenheit in Petersburg 1859 eine Probe. In

Zehntes Kapitel: Petersburg.
damals in der erſten Blüthe jugendlicher Schönheit ſtehende Prin¬
zeſſin Leuchtenberg, ſpäter Gemalin des Prinzen Wilhelm von
Baden, an Stelle ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie
und Heiterkeit die Honneurs zu machen. Auch erinnere ich mich,
daß bei einer andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürſtin ſich
um den Tiſch von vier Perſonen bewegte und ſich weigerte, einem
hohen General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweiſen. Es
war mir ſehr ſchmeichelhaft, daß dieſes großfürſtliche Kind auf die
großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich: on
milü
(er iſt lieb), in Bezug auf den General aber hatte ſie die
Naivität, zu ſagen: on wonajet (er ſtinkt), worauf das großfürſt¬
liche enfant terrible entfernt wurde.

Es iſt vorgekommen, daß preußiſche Offiziere, welche lange in
einem der kaiſerlichen Schlöſſer wohnten, von ruſſiſchen guten
Freunden vertraulich befragt wurden, ob ſie wirklich ſo viel Wein
u. dergl. verbrauchten, wie für ſie entnommen werde; dann würde
man ſie um ihre Leiſtungsfähigkeit beneiden und ferner dafür ſorgen.
Dieſe vertrauliche Erkundigung traf auf Herrn von ſehr mäßigen
Gewohnheiten, mit ihrem Einverſtändniſſe wurden die von ihnen
bewohnten Gemächer unterſucht: in Wandſchränken, mit denen
ſie unbekannt waren, fanden ſich zurückgelegte Vorräthe hoch¬
werthiger Weine und ſonſtiger Bedürfniſſe in Maſſen.

Bekannt iſt, daß dem Kaiſer einmal das ungewöhnliche Quantum
von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in den Rechnungen
erſchien, wenn der Prinz von Preußen zum Beſuche dort war, und
daß ſchließlich ermittelt wurde, daß er bei ſeinem erſten Beſuche
ſich durchgeritten und am Abend das Verlangen nach etwas Talg
geſtellt hatte. Das verlangte Loth dieſes Stoffes hatte ſich bei
ſpätern Beſuchen in Pud verwandelt. Die Aufklärung erfolgte
zwiſchen den hohen Herrſchaften perſönlich und hatte eine Heiter¬
keit zur Folge, welche den betheiligten Sündern zu Gute kam.

Von einer andern ruſſiſchen Eigenthümlichkeit gab es bei
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[226/0253] Zehntes Kapitel: Petersburg. damals in der erſten Blüthe jugendlicher Schönheit ſtehende Prin¬ zeſſin Leuchtenberg, ſpäter Gemalin des Prinzen Wilhelm von Baden, an Stelle ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie und Heiterkeit die Honneurs zu machen. Auch erinnere ich mich, daß bei einer andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürſtin ſich um den Tiſch von vier Perſonen bewegte und ſich weigerte, einem hohen General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweiſen. Es war mir ſehr ſchmeichelhaft, daß dieſes großfürſtliche Kind auf die großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich: on milü (er iſt lieb), in Bezug auf den General aber hatte ſie die Naivität, zu ſagen: on wonajet (er ſtinkt), worauf das großfürſt¬ liche enfant terrible entfernt wurde. Es iſt vorgekommen, daß preußiſche Offiziere, welche lange in einem der kaiſerlichen Schlöſſer wohnten, von ruſſiſchen guten Freunden vertraulich befragt wurden, ob ſie wirklich ſo viel Wein u. dergl. verbrauchten, wie für ſie entnommen werde; dann würde man ſie um ihre Leiſtungsfähigkeit beneiden und ferner dafür ſorgen. Dieſe vertrauliche Erkundigung traf auf Herrn von ſehr mäßigen Gewohnheiten, mit ihrem Einverſtändniſſe wurden die von ihnen bewohnten Gemächer unterſucht: in Wandſchränken, mit denen ſie unbekannt waren, fanden ſich zurückgelegte Vorräthe hoch¬ werthiger Weine und ſonſtiger Bedürfniſſe in Maſſen. Bekannt iſt, daß dem Kaiſer einmal das ungewöhnliche Quantum von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in den Rechnungen erſchien, wenn der Prinz von Preußen zum Beſuche dort war, und daß ſchließlich ermittelt wurde, daß er bei ſeinem erſten Beſuche ſich durchgeritten und am Abend das Verlangen nach etwas Talg geſtellt hatte. Das verlangte Loth dieſes Stoffes hatte ſich bei ſpätern Beſuchen in Pud verwandelt. Die Aufklärung erfolgte zwiſchen den hohen Herrſchaften perſönlich und hatte eine Heiter¬ keit zur Folge, welche den betheiligten Sündern zu Gute kam. Von einer andern ruſſiſchen Eigenthümlichkeit gab es bei meiner erſten Anweſenheit in Petersburg 1859 eine Probe. In

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/253>, abgerufen am 20.05.2024.