Gortschakow als Gönner und Gegner. Kaiserliche Gastlichkeit.
II.
Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiserlichen Schlösser Sarskoe oder Peterhof anwesend war, auch nur, um mit dem da¬ selbst in Sommerquartier lebenden Fürsten Gortschakow zu con¬ feriren, so fand ich in der mir angewiesenen Wohnung im Schlosse für mich und einen Begleiter ein Frühstück von mehren Gängen angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine; andre sind mir in der kaiserlichen Verpflegung überhaupt niemals vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel gestohlen, aber die Gäste des Kaisers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre Verpflegung war auf reiche Brosamen für den "Dienst" berechnet. Keller und Küche waren absolut einwandsfrei, auch in Vorkomm¬ nissen, wo sie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten, denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Er¬ fahrung schon einen zu durchgebildeten Geschmack gewonnen, um Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der Lieferung gelitten hätte. Die Preise der Lieferungen waren nach allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gast¬ freiheit des Haushalts bekam ich eine Vorstellung, wenn meine Gönnerin, die Kaiserin-Witwe Charlotte, Schwester unsers Königs, mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der Gesandschaft zwei, und für mich drei Diners der kaiserlichen Küche entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine Begleiter Frühstücke und Diners angerichtet und berechnet, wahr¬ scheinlich auch gegessen und getrunken, als ob meine und der Meinigen Einladung zu der Kaiserin gar nicht erfolgt sei. Das Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem Zubehör auf- und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der Kaiserin in Gemeinschaft mit denen meiner Begleiter aufgelegt, und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor dem Bette der kranken Kaiserin ohne meine Begleiter in kleiner Gesellschaft zu speisen hatte. Bei solchen Gelegenheiten pflegte die
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 15
Gortſchakow als Gönner und Gegner. Kaiſerliche Gaſtlichkeit.
II.
Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiſerlichen Schlöſſer Sarskoe oder Peterhof anweſend war, auch nur, um mit dem da¬ ſelbſt in Sommerquartier lebenden Fürſten Gortſchakow zu con¬ feriren, ſo fand ich in der mir angewieſenen Wohnung im Schloſſe für mich und einen Begleiter ein Frühſtück von mehren Gängen angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine; andre ſind mir in der kaiſerlichen Verpflegung überhaupt niemals vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel geſtohlen, aber die Gäſte des Kaiſers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre Verpflegung war auf reiche Broſamen für den „Dienſt“ berechnet. Keller und Küche waren abſolut einwandsfrei, auch in Vorkomm¬ niſſen, wo ſie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten, denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Er¬ fahrung ſchon einen zu durchgebildeten Geſchmack gewonnen, um Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der Lieferung gelitten hätte. Die Preiſe der Lieferungen waren nach allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gaſt¬ freiheit des Haushalts bekam ich eine Vorſtellung, wenn meine Gönnerin, die Kaiſerin-Witwe Charlotte, Schweſter unſers Königs, mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der Geſandſchaft zwei, und für mich drei Diners der kaiſerlichen Küche entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine Begleiter Frühſtücke und Diners angerichtet und berechnet, wahr¬ ſcheinlich auch gegeſſen und getrunken, als ob meine und der Meinigen Einladung zu der Kaiſerin gar nicht erfolgt ſei. Das Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem Zubehör auf- und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der Kaiſerin in Gemeinſchaft mit denen meiner Begleiter aufgelegt, und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor dem Bette der kranken Kaiſerin ohne meine Begleiter in kleiner Geſellſchaft zu ſpeiſen hatte. Bei ſolchen Gelegenheiten pflegte die
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 15
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Gortſchakow als Gönner und Gegner. Kaiſerliche Gaſtlichkeit.
II.
Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiſerlichen Schlöſſer
Sarskoe oder Peterhof anweſend war, auch nur, um mit dem da¬
ſelbſt in Sommerquartier lebenden Fürſten Gortſchakow zu con¬
feriren, ſo fand ich in der mir angewieſenen Wohnung im Schloſſe
für mich und einen Begleiter ein Frühſtück von mehren Gängen
angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine;
andre ſind mir in der kaiſerlichen Verpflegung überhaupt niemals
vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel geſtohlen, aber
die Gäſte des Kaiſers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre
Verpflegung war auf reiche Broſamen für den „Dienſt“ berechnet.
Keller und Küche waren abſolut einwandsfrei, auch in Vorkomm¬
niſſen, wo ſie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten,
denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Er¬
fahrung ſchon einen zu durchgebildeten Geſchmack gewonnen, um
Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der
Lieferung gelitten hätte. Die Preiſe der Lieferungen waren nach
allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gaſt¬
freiheit des Haushalts bekam ich eine Vorſtellung, wenn meine
Gönnerin, die Kaiſerin-Witwe Charlotte, Schweſter unſers Königs,
mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der
Geſandſchaft zwei, und für mich drei Diners der kaiſerlichen Küche
entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine
Begleiter Frühſtücke und Diners angerichtet und berechnet, wahr¬
ſcheinlich auch gegeſſen und getrunken, als ob meine und der
Meinigen Einladung zu der Kaiſerin gar nicht erfolgt ſei. Das
Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem
Zubehör auf- und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der
Kaiſerin in Gemeinſchaft mit denen meiner Begleiter aufgelegt,
und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor
dem Bette der kranken Kaiſerin ohne meine Begleiter in kleiner
Geſellſchaft zu ſpeiſen hatte. Bei ſolchen Gelegenheiten pflegte die
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 15
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/252>, abgerufen am 20.11.2024.
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