sie so gar den Pathen den erbärmlichen Zustand des Kindes wiese, und sie solchen mit den Au- gen sehen ließe.
§. 127.
Mit diesem ist gantz nahe verwandt ein an- derer Affect, der mich auch bisweilen überfallen, auch wohl mit jenem zu gleicher Zeit mich in- commodiret. Nemlich es wurden um ein leichtes, und offters, ehe ich mich es versahe, die Lebens-Geister im Haupte so flüchtig, daß die Gedancken wunderlich unter einander zu lauffen anfiengen, und daß mir lauter toll Zeug einfiel, und Bilder vorkamen, die gantz keine Conne- xion unter einander hatten. Mit einem Worte, es ward mir so übel und seltsam, daß ich mich kaum erhalten kunte, daß ich nicht lermmte, schrye, jauchzete, und andere unanständige Dinge vor- nahm. Es kan einem Menschen, der seines Ver- standes soll beraubet werden, nicht anders seyn, so daß ich solches Ubel iederzeit vor eine Disposition dazu angesehen, und mich nicht einen Schritt weit vom Delirio geachtet habe; wiewol GOtt noch allemahl aus Gnaden solches abgewendet und verhütet. Jch kan nicht beschreiben, wie angst mir offt worden, wenn ich des Abends im Bette gern einschlafen wollen, und es im Haupte dermassen zu stürmen, und unter einander zu gehen
ange-
O o 3
Jch geſchweige der
ſie ſo gar den Pathen den erbaͤrmlichen Zuſtand des Kindes wieſe, und ſie ſolchen mit den Au- gen ſehen ließe.
§. 127.
Mit dieſem iſt gantz nahe verwandt ein an- derer Affect, der mich auch bisweilen uͤberfallen, auch wohl mit jenem zu gleicher Zeit mich in- commodiret. Nemlich es wurden um ein leichtes, und offters, ehe ich mich es verſahe, die Lebens-Geiſter im Haupte ſo fluͤchtig, daß die Gedancken wunderlich unter einander zu lauffen anfiengen, und daß mir lauter toll Zeug einfiel, und Bilder vorkamen, die gantz keine Conne- xion unter einander hatten. Mit einem Worte, es ward mir ſo uͤbel und ſeltſam, daß ich mich kaum erhalten kunte, daß ich nicht lermmte, ſchrye, jauchzete, und andere unanſtaͤndige Dinge vor- nahm. Es kan einem Menſchen, der ſeines Ver- ſtandes ſoll beraubet werden, nicht anders ſeyn, ſo daß ich ſolches Ubel iederzeit vor eine Diſpoſition dazu angeſehen, und mich nicht einen Schritt weit vom Delirio geachtet habe; wiewol GOtt noch allemahl aus Gnaden ſolches abgewendet und verhuͤtet. Jch kan nicht beſchreiben, wie angſt mir offt worden, wenn ich des Abends im Bette gern einſchlafen wollen, und es im Haupte dermaſſen zu ſtuͤrmen, und unter einander zu gehen
ange-
O o 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0627"n="581"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Jch geſchweige der</hi></fw><lb/>ſie ſo gar den Pathen den erbaͤrmlichen Zuſtand<lb/>
des Kindes wieſe, und ſie ſolchen mit den Au-<lb/>
gen ſehen ließe.</p></div><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b">§. 127.</hi></head><lb/><p>Mit dieſem iſt gantz nahe verwandt ein an-<lb/>
derer <hirendition="#aq">Affect,</hi> der mich auch bisweilen uͤberfallen,<lb/>
auch wohl mit jenem zu gleicher Zeit mich <hirendition="#aq">in-<lb/>
commodi</hi>ret. Nemlich es wurden um ein<lb/>
leichtes, und offters, ehe ich mich es verſahe, die<lb/>
Lebens-Geiſter im Haupte ſo fluͤchtig, daß die<lb/>
Gedancken wunderlich unter einander zu lauffen<lb/>
anfiengen, und daß mir lauter toll Zeug einfiel,<lb/>
und Bilder vorkamen, die gantz keine <hirendition="#aq">Conne-<lb/>
xion</hi> unter einander hatten. Mit einem Worte,<lb/>
es ward mir ſo uͤbel und ſeltſam, daß ich mich<lb/>
kaum erhalten kunte, daß ich nicht lermmte, ſchrye,<lb/>
jauchzete, und andere unanſtaͤndige Dinge vor-<lb/>
nahm. Es kan einem Menſchen, der ſeines Ver-<lb/>ſtandes ſoll beraubet werden, nicht anders ſeyn,<lb/>ſo daß ich ſolches Ubel iederzeit vor eine <hirendition="#aq">Diſpoſition</hi><lb/>
dazu angeſehen, und mich nicht einen Schritt<lb/>
weit vom <hirendition="#aq">Delirio</hi> geachtet habe; wiewol GOtt<lb/>
noch allemahl aus Gnaden ſolches abgewendet<lb/>
und verhuͤtet. Jch kan nicht beſchreiben, wie<lb/>
angſt mir offt worden, wenn ich des Abends im<lb/>
Bette gern einſchlafen wollen, und es im Haupte<lb/>
dermaſſen zu ſtuͤrmen, und unter einander zu gehen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O o 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ange-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[581/0627]
Jch geſchweige der
ſie ſo gar den Pathen den erbaͤrmlichen Zuſtand
des Kindes wieſe, und ſie ſolchen mit den Au-
gen ſehen ließe.
§. 127.
Mit dieſem iſt gantz nahe verwandt ein an-
derer Affect, der mich auch bisweilen uͤberfallen,
auch wohl mit jenem zu gleicher Zeit mich in-
commodiret. Nemlich es wurden um ein
leichtes, und offters, ehe ich mich es verſahe, die
Lebens-Geiſter im Haupte ſo fluͤchtig, daß die
Gedancken wunderlich unter einander zu lauffen
anfiengen, und daß mir lauter toll Zeug einfiel,
und Bilder vorkamen, die gantz keine Conne-
xion unter einander hatten. Mit einem Worte,
es ward mir ſo uͤbel und ſeltſam, daß ich mich
kaum erhalten kunte, daß ich nicht lermmte, ſchrye,
jauchzete, und andere unanſtaͤndige Dinge vor-
nahm. Es kan einem Menſchen, der ſeines Ver-
ſtandes ſoll beraubet werden, nicht anders ſeyn,
ſo daß ich ſolches Ubel iederzeit vor eine Diſpoſition
dazu angeſehen, und mich nicht einen Schritt
weit vom Delirio geachtet habe; wiewol GOtt
noch allemahl aus Gnaden ſolches abgewendet
und verhuͤtet. Jch kan nicht beſchreiben, wie
angſt mir offt worden, wenn ich des Abends im
Bette gern einſchlafen wollen, und es im Haupte
dermaſſen zu ſtuͤrmen, und unter einander zu gehen
ange-
O o 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/627>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.