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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. III. C. XVII. Von denen Quietisten.
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biß
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3. "Je weniger sie nun an creaturen hangen
"wird/ und auff GOtt allein und seine geheime
"unterrichtungen/ vermittelst eines reinen glau-
"bens/ sich steuren/ je beständiger und stärcker
"wird die liebeseyn. Nachdem nun die seele die
"erkäntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun-
"gen/ und leibliche von creaturen genommene
"bilder geben können/ und sie nunmehro der
"HErr aus diesem stande ausführet/ der ver-
"nunfft-schlüsse beraubet/ und gleichsam in
"Göttlicher finsterniß lässet/ damit sie auff den
"rechten weg und durch einen lautern glauben
"fortgehe: so soll sie sich seiner führung überlassen/
"und nicht mehr so sparsam und geringe lieben/
"als die leibliche bilder sie lehren/ sondern da-
"vor halten/ daß doch alles nichts sey/ was ihr
"die gantze welt und die allerzartesten begriffe/
"in dem allerweisesten verstand beybringen kön-
"nen; Jngleichem daß die schönheit ihres ge-
"liebten jenes an weißheit unendlich übertreffe/
"und daß alle creaturen viel zu grob seyn/ als daß
"sie von ihnen könne unterrichtet/ und zur wah-
"ren erkäntnisihres GOttes gebracht werden.

"4. Darum muß sie mit ihrer liebe allem ih-
"rem verstand zuvorkommen/ und ihn verlassen.
"Sie muß GOtt lieben/ wie er in sich selbst ist/
"nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet.
"Und wenn sie ihn nicht kan erkennen/ wie er in
"sich ist/ so soll sie ihn doch lieben/ ob sie ihn
"wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang
"des glaubens. Wie etwan ein sohn/ der sei-
"nen vater niemals gesehen/ doch denen andern
"völligen glauben giebt/ durch welche er zu sei-
"ner erkäntniß kömmt/ und ihn so liebet/ als
"hätte er ihn einmal gesehen.

5. "Die seele/ welcher der discurs oder die
"schlüsse des verstandes genommen worden/ soll
"nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge-
"walt eine klärere und sonderbarere erkäntniß
"suchen/ sondern wenn sie alles trostes berau-
"bet/ und der sinnlichen erkäntnisse in der ar-
"muth des geistes auch alles dessen entnommen
"ist/ was ihr natürlicher appetit verlanget:
"So soll sie ruhig/ fest und beständig seyn/ daß
"sie den HErrn würcken lasse/ ob sie sich gleich
"alleine dürre und verfinstert sicht. Denn ob
"ihr dieses gleich als ein still-stehen vorkommen
"möchte/ so ruhet doch nur die sinnliche und
"materialische activität/ nicht aber GOtt/ der
"in ihr erst die wahre erkäntniß würcket.

6. "Endlich je höher der geist auffsteiget/ je
"mehr wird er vom sinnlichen abgezogen. Es
"sind viel seelen/ die zu dieser pforte kommen
"sind/ und noch kommen/ aber wenig sind de-
"rer/ welche eingegangen sind und noch einge-
"hen/ weil sie keinen erfahrnen anführer haben/
"oder weil die so ihn gehabt oder noch haben/
"sich nicht in wahrhafftiger und gäntzlicher un-
"terwerffung überlassen.

7. "Man wird zwar sagen/ daß der wille
"nicht lieben/ sondern müßig seyn werde/ wenn
"der verstand nicht deutlich und klar etwas be-
"greiffe: Jndem es ein gewisser satz ist/ daß/
"was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet
"werden könne. Darauff wird geantwortet/
"daß ob wol der verstand die bilder und betrach-
"tungen nicht unterschiedlich durch einen dis-
"curs
oder innerlichen schluß erkennet/ er doch
"durch einen dunckeln allgemeinen und über
[Spaltenumbruch] haubt gefasten glauben es verstehe und erken-"Jahr
MDC.
biß
MDCC.

ne. Ob nun wol diese erkäntniß sehr tunckel/"
undeutlich und allgemein ist/ so ist sie doch klä-"
rer und vollkommener als alle sinnliche und"
sonderbare wissenschafft/ die man sich in die-"
sem leben machen kan/ weil alle leibliche und"
sinnliche bilder von GOtt unendlich unter-"
schieden sind."

8. Der H. Dionysius spricht (Theol."
Mystic. c. I.
§. 2.) Wir erkennen GOtt voll-"
kommener/ wenn wir wissen/ was er nicht ist/"
als was er ist. Wir erkennen ihn tieffer/ daß"
er unbegreifflich/ und über allen unsern ver-"
stand sey/ als wenn wir ihn unter einem bild/"
und einer erschaffenen schönheit begreiffen/"
nach unserm groben verstand. Darum wird"
aus jener duncklen und undeutlichen art eine"
grössere hochhaltung und liebe entstehen als"
aus andern sinnlichen und unterschiedenen:"
Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-"
turen entzogen ist/ diese aber desto weniger von"
GOtt hat/ jemehr sie von creaturen depen-"
di
rt."

Die andere erinnerung.

Was die meditation oder betrachtung
und
contemplation oder beschauligkeit/
und wie eine von der andern unterschie-
den sey.

9. Der H. Damascenus (L. III. de ortho-
dox. fid. cap.
24) und andere Heiligen sagen/
daß das gebet sey ein auffsteigen oder er-
heben des gemüths zu GOtt.
GOtt ist
höher als alle creaturen/ und die seele kan ihn
nicht sehen/ oder mit ihm handeln/ wenn sie
nicht über dieselben alle erhoben wird. Dieser
freundliche umgang der seelen mit GOtt/ das
ist/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung
und in die beschauligkeit.

10. Wenn der verstand die geheimnisse un-
seres heiligen glaubens genau betrachtet/ da-
mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von des-
sen sonderbaren hauptstücken in sich selbst dis-
curri
rt/ und die umstände betrachtet/ die affecten
in dem willen zu erwecken/ so wird eseigentlich
eine betrachtung oder meditation genennet.

11. Wenn die seele nun die wahrheiter-"
kennet (entweder durch eine in der überlegung"
erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Herrein"
sonderbares licht verliehen hat) und sie also"
die augen des gemüths auff diese wahrheit"
richtet/ dieselbe auch in der stille und ruhe an-"
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dern der wille die wahrheit liebet/ sich darü-"
ber freuet und wundert: So heisset dieses ei-"
gentlich das gebet des glaubens/ das gebet"
der ruhe/ die innerliche sammlung (recolle-"
ctio
) oder die erlangte beschauligkeit."

12. Diese nennet der H. Thomas (2. 2."
Quaest. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-"
dern mystischen Lehrern eine lautere/ süsse"
und ruhige anschauung der ewigen"
wahrheit ohne
discurs und reflexion."
Wenn man sich aber freuet oder die wirckun-"
gen GOttes in oder unter den creaturen auch"
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che die allervollkommenste ist/ so ist diese be-"
schauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-"
sagt/ weil jenes alles nur mittel sind GOtt"

zu er-
Th. III. C. XVII. Von denen Quietiſten.
[Spaltenumbruch] Jahr
MDC.
biß
MDCC.

3. „Je weniger ſie nun an creaturen hangen
„wird/ und auff GOtt allein und ſeine geheime
„unterrichtungen/ vermittelſt eines reinen glau-
„bens/ ſich ſteuren/ je beſtaͤndiger und ſtaͤrcker
„wird die liebeſeyn. Nachdem nun die ſeele die
„erkaͤntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun-
„gen/ und leibliche von creaturen genommene
„bilder geben koͤnnen/ und ſie nunmehro der
„HErꝛ aus dieſem ſtande ausfuͤhret/ der ver-
„nunfft-ſchluͤſſe beraubet/ und gleichſam in
„Goͤttlicher finſterniß laͤſſet/ damit ſie auff den
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„fortgehe: ſo ſoll ſie ſich ſeiner fuͤhrung uͤbeꝛlaſſen/
„und nicht mehr ſo ſparſam und geringe lieben/
„als die leibliche bilder ſie lehren/ ſondern da-
„vor halten/ daß doch alles nichts ſey/ was ihr
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„nen; Jngleichem daß die ſchoͤnheit ihres ge-
„liebten jenes an weißheit unendlich uͤbertreffe/
„und daß alle creaturen viel zu grob ſeyn/ als daß
„ſie von ihnen koͤnne unterrichtet/ und zur wah-
„ren erkaͤntnisihres GOttes gebracht werden.

„4. Darum muß ſie mit ihrer liebe allem ih-
„rem verſtand zuvorkommen/ und ihn verlaſſen.
„Sie muß GOtt lieben/ wie er in ſich ſelbſt iſt/
„nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet.
„Und wenn ſie ihn nicht kan erkennen/ wie er in
„ſich iſt/ ſo ſoll ſie ihn doch lieben/ ob ſie ihn
„wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang
„des glaubens. Wie etwan ein ſohn/ der ſei-
„nen vater niemals geſehen/ doch denen andern
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„ſchluͤſſe des verſtandes genommen worden/ ſoll
„nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge-
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„ſuchen/ ſondern wenn ſie alles troſtes berau-
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„in ihr erſt die wahre erkaͤntniß wuͤrcket.

6. „Endlich je hoͤher der geiſt auffſteiget/ je
„mehr wird er vom ſinnlichen abgezogen. Es
„ſind viel ſeelen/ die zu dieſer pforte kommen
„ſind/ und noch kommen/ aber wenig ſind de-
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„oder weil die ſo ihn gehabt oder noch haben/
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7. „Man wird zwar ſagen/ daß der wille
„nicht lieben/ ſondern muͤßig ſeyn werde/ wenn
„der verſtand nicht deutlich und klar etwas be-
„greiffe: Jndem es ein gewiſſer ſatz iſt/ daß/
„was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet
„werden koͤnne. Darauff wird geantwortet/
„daß ob wol der verſtand die bilder und betrach-
„tungen nicht unterſchiedlich durch einen diſ-
„curs
oder innerlichen ſchluß erkennet/ er doch
„durch einen dunckeln allgemeinen und uͤber
[Spaltenumbruch] haubt gefaſten glauben es verſtehe und erken-„Jahr
MDC.
biß
MDCC.

ne. Ob nun wol dieſe erkaͤntniß ſehr tunckel/“
undeutlich und allgemein iſt/ ſo iſt ſie doch klaͤ-“
rer und vollkommener als alle ſinnliche und“
ſonderbare wiſſenſchafft/ die man ſich in die-“
ſem leben machen kan/ weil alle leibliche und“
ſinnliche bilder von GOtt unendlich unter-“
ſchieden ſind.„

8. Der H. Dionyſius ſpricht (Theol.“
Myſtic. c. I.
§. 2.) Wir erkennen GOtt voll-“
kommener/ wenn wir wiſſen/ was er nicht iſt/“
als was er iſt. Wir erkennen ihn tieffer/ daß“
er unbegreifflich/ und uͤber allen unſern ver-“
ſtand ſey/ als wenn wir ihn unter einem bild/“
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nach unſerm groben verſtand. Darum wird“
aus jener duncklen und undeutlichen art eine“
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aus andern ſinnlichen und unterſchiedenen:“
Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-“
turen entzogen iſt/ dieſe aber deſto weniger von“
GOtt hat/ jemehr ſie von creaturen depen-“
di
rt.„

Die andere erinnerung.

Was die meditation oder betrachtung
und
contemplation oder beſchauligkeit/
und wie eine von der andern unterſchie-
den ſey.

9. Der H. Damaſcenus (L. III. de ortho-
dox. fid. cap.
24) und andere Heiligen ſagen/
daß das gebet ſey ein auffſteigen oder er-
heben des gemuͤths zu GOtt.
GOtt iſt
hoͤher als alle creaturen/ und die ſeele kan ihn
nicht ſehen/ oder mit ihm handeln/ wenn ſie
nicht uͤber dieſelben alle erhoben wird. Dieſer
freundliche umgang der ſeelen mit GOtt/ das
iſt/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung
und in die beſchauligkeit.

10. Wenn der verſtand die geheimniſſe un-
ſeres heiligen glaubens genau betrachtet/ da-
mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von deſ-
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curri
rt/ uñ die umſtaͤnde betrachtet/ die affecten
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12. Dieſe nennet der H. Thomas (2. 2.“
Quæſt. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-“
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und ruhige anſchauung der ewigen“
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[182/0194] Th. III. C. XVII. Von denen Quietiſten. 3. „Je weniger ſie nun an creaturen hangen „wird/ und auff GOtt allein und ſeine geheime „unterrichtungen/ vermittelſt eines reinen glau- „bens/ ſich ſteuren/ je beſtaͤndiger und ſtaͤrcker „wird die liebeſeyn. Nachdem nun die ſeele die „erkaͤntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun- „gen/ und leibliche von creaturen genommene „bilder geben koͤnnen/ und ſie nunmehro der „HErꝛ aus dieſem ſtande ausfuͤhret/ der ver- „nunfft-ſchluͤſſe beraubet/ und gleichſam in „Goͤttlicher finſterniß laͤſſet/ damit ſie auff den „rechten weg und durch einen lautern glauben „fortgehe: ſo ſoll ſie ſich ſeiner fuͤhrung uͤbeꝛlaſſen/ „und nicht mehr ſo ſparſam und geringe lieben/ „als die leibliche bilder ſie lehren/ ſondern da- „vor halten/ daß doch alles nichts ſey/ was ihr „die gantze welt und die allerzarteſten begriffe/ „in dem allerweiſeſten verſtand beybringen koͤn- „nen; Jngleichem daß die ſchoͤnheit ihres ge- „liebten jenes an weißheit unendlich uͤbertreffe/ „und daß alle creaturen viel zu grob ſeyn/ als daß „ſie von ihnen koͤnne unterrichtet/ und zur wah- „ren erkaͤntnisihres GOttes gebracht werden. „4. Darum muß ſie mit ihrer liebe allem ih- „rem verſtand zuvorkommen/ und ihn verlaſſen. „Sie muß GOtt lieben/ wie er in ſich ſelbſt iſt/ „nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet. „Und wenn ſie ihn nicht kan erkennen/ wie er in „ſich iſt/ ſo ſoll ſie ihn doch lieben/ ob ſie ihn „wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang „des glaubens. Wie etwan ein ſohn/ der ſei- „nen vater niemals geſehen/ doch denen andern „voͤlligen glauben giebt/ durch welche er zu ſei- „ner erkaͤntniß koͤmmt/ und ihn ſo liebet/ als „haͤtte er ihn einmal geſehen. 5. „Die ſeele/ welcher der diſcurs oder die „ſchluͤſſe des verſtandes genommen worden/ ſoll „nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge- „walt eine klaͤrere und ſonderbarere erkaͤntniß „ſuchen/ ſondern wenn ſie alles troſtes berau- „bet/ und der ſinnlichen erkaͤntniſſe in der ar- „muth des geiſtes auch alles deſſen entnommen „iſt/ was ihr natuͤrlicher appetit verlanget: „So ſoll ſie ruhig/ feſt und beſtaͤndig ſeyn/ daß „ſie den HErꝛn wuͤrcken laſſe/ ob ſie ſich gleich „alleine duͤrre und verfinſtert ſicht. Denn ob „ihr dieſes gleich als ein ſtill-ſtehen vorkommen „moͤchte/ ſo ruhet doch nur die ſinnliche und „materialiſche activitaͤt/ nicht aber GOtt/ der „in ihr erſt die wahre erkaͤntniß wuͤrcket. 6. „Endlich je hoͤher der geiſt auffſteiget/ je „mehr wird er vom ſinnlichen abgezogen. Es „ſind viel ſeelen/ die zu dieſer pforte kommen „ſind/ und noch kommen/ aber wenig ſind de- „rer/ welche eingegangen ſind und noch einge- „hen/ weil ſie keinen erfahrnen anfuͤhrer haben/ „oder weil die ſo ihn gehabt oder noch haben/ „ſich nicht in wahrhafftiger und gaͤntzlicher un- „terwerffung uͤberlaſſen. 7. „Man wird zwar ſagen/ daß der wille „nicht lieben/ ſondern muͤßig ſeyn werde/ wenn „der verſtand nicht deutlich und klar etwas be- „greiffe: Jndem es ein gewiſſer ſatz iſt/ daß/ „was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet „werden koͤnne. Darauff wird geantwortet/ „daß ob wol der verſtand die bilder und betrach- „tungen nicht unterſchiedlich durch einen diſ- „curs oder innerlichen ſchluß erkennet/ er doch „durch einen dunckeln allgemeinen und uͤber haubt gefaſten glauben es verſtehe und erken-„ ne. Ob nun wol dieſe erkaͤntniß ſehr tunckel/“ undeutlich und allgemein iſt/ ſo iſt ſie doch klaͤ-“ rer und vollkommener als alle ſinnliche und“ ſonderbare wiſſenſchafft/ die man ſich in die-“ ſem leben machen kan/ weil alle leibliche und“ ſinnliche bilder von GOtt unendlich unter-“ ſchieden ſind.„ Jahr MDC. biß MDCC. 8. Der H. Dionyſius ſpricht (Theol.“ Myſtic. c. I. §. 2.) Wir erkennen GOtt voll-“ kommener/ wenn wir wiſſen/ was er nicht iſt/“ als was er iſt. Wir erkennen ihn tieffer/ daß“ er unbegreifflich/ und uͤber allen unſern ver-“ ſtand ſey/ als wenn wir ihn unter einem bild/“ und einer erſchaffenen ſchoͤnheit begreiffen/“ nach unſerm groben verſtand. Darum wird“ aus jener duncklen und undeutlichen art eine“ groͤſſere hochhaltung und liebe entſtehen als“ aus andern ſinnlichen und unterſchiedenen:“ Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-“ turen entzogen iſt/ dieſe aber deſto weniger von“ GOtt hat/ jemehr ſie von creaturen depen-“ dirt.„ Die andere erinnerung. Was die meditation oder betrachtung und contemplation oder beſchauligkeit/ und wie eine von der andern unterſchie- den ſey. 9. Der H. Damaſcenus (L. III. de ortho- dox. fid. cap. 24) und andere Heiligen ſagen/ daß das gebet ſey ein auffſteigen oder er- heben des gemuͤths zu GOtt. GOtt iſt hoͤher als alle creaturen/ und die ſeele kan ihn nicht ſehen/ oder mit ihm handeln/ wenn ſie nicht uͤber dieſelben alle erhoben wird. Dieſer freundliche umgang der ſeelen mit GOtt/ das iſt/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung und in die beſchauligkeit. 10. Wenn der verſtand die geheimniſſe un- ſeres heiligen glaubens genau betrachtet/ da- mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von deſ- ſen ſonderbaren hauptſtuͤcken in ſich ſelbſt diſ- currirt/ uñ die umſtaͤnde betrachtet/ die affecten in dem willen zu erwecken/ ſo wird eseigentlich eine betrachtung oder meditation genennet. 11. Wenn die ſeele nun die wahrheiter-“ kennet (entweder durch eine in der uͤberlegung“ erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Herꝛein“ ſonderbares licht verliehen hat) und ſie alſo“ die augen des gemuͤths auff dieſe wahrheit“ richtet/ dieſelbe auch in der ſtille und ruhe an-“ ſchauet/ alſo daß ihr nicht mehr betrachtungen“ oder ſchluͤſſe oder andere beweißthuͤmer noͤ-“ thig ſeyn/ da durch ſie uͤberzeuget wuͤrde/ ſon-“ dern der wille die wahrheit liebet/ ſich daruͤ-“ ber freuet und wundert: So heiſſet dieſes ei-“ gentlich das gebet des glaubens/ das gebet“ der ruhe/ die innerliche ſammlung (recolle-“ ctio) oder die erlangte beſchauligkeit.„ 12. Dieſe nennet der H. Thomas (2. 2.“ Quæſt. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-“ dern myſtiſchen Lehrern eine lautere/ ſuͤſſe“ und ruhige anſchauung der ewigen“ wahrheit ohne diſcurs und reflexion.“ Wenn man ſich aber freuet oder die wirckun-“ gen GOttes in oder unter den creaturen auch“ in der menſchheit CHriſti anſchauet/ als wel-“ che die allervollkommenſte iſt/ ſo iſt dieſe be-“ ſchauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-“ ſagt/ weil jenes alles nur mittel ſind GOtt“ zu er-

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/194>, abgerufen am 20.11.2024.