Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt ausgespannt ist, wer achtet da sehr auf ein einzelnes Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geschickt, waren nicht zu Hause gewesen. Sei doch der Krank¬ heitsanfall einer Art, daß ein gesunder Körper sich selbst heile, hatte er geäußert, oder wenn -- dann war er plötzlich aufgesprungen, und ließ doch noch einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die Symptome beschrieben, sie hatten gelacht, und als der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur Baronin gesagt: "Etwas Kamillenthee und Einrei¬ bungen -- das wird den Patienten bald auf die Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen ist, gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und lassen ihn nicht wieder Melone essen und sich erkälten."
Liebevoller, aufmerksamer, aufopfernder, hätte ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag und Nacht saß er abwechselnd mit der Baronin an
Sechszehntes Kapitel. Das groſze Trauerhaus.
Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt, waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬ heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn — dann war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur Baronin geſagt: „Etwas Kamillenthee und Einrei¬ bungen — das wird den Patienten bald auf die Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt, gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.“
Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an
<TEI><text><body><pbfacs="#f0351"n="[341]"/><divn="1"><head>Sechszehntes Kapitel.<lb/><hirendition="#b">Das groſze Trauerhaus.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt<lb/>
ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes<lb/>
Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt,<lb/>
waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬<lb/>
heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich<lb/>ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn — dann<lb/>
war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch<lb/>
einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die<lb/>
Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als<lb/>
der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den<lb/>
Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur<lb/>
Baronin geſagt: „Etwas Kamillenthee und Einrei¬<lb/>
bungen — das wird den Patienten bald auf die<lb/>
Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt,<lb/>
gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und<lb/>
laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.“</p><lb/><p>Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte<lb/>
ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag<lb/>
und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[341]/0351]
Sechszehntes Kapitel.
Das groſze Trauerhaus.
Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt
ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes
Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt,
waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬
heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich
ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn — dann
war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch
einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die
Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als
der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den
Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur
Baronin geſagt: „Etwas Kamillenthee und Einrei¬
bungen — das wird den Patienten bald auf die
Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt,
gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und
laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.“
Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte
ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag
und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. [341]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/351>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.