Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen
solchen Schritt sich durchaus nicht ausreden ließen,
wenn Sie sich kühn über das Urtheil der Menge
wegsetzten, welche die Impulse edler Seelen nie be¬
greift, -- ich stelle mir nur eben den magischen Ein¬
druck vor, den dieser heroische Entschluß auf unsern
Freund hervorbringen müßte."

"Ich sollte also direct zu ihm in die Caserne --"

"Um Himmels Willen, Liebste, Beste, verstehn
Sie mich nicht falsch. Ich meine nur, bei dem all¬
gemeinen patriotischen Aufschwung, der gerade von
den Frauen getragen wird, sinken die gewöhnlichen
Schranken. Die Schwester eilt zum Bruder, die Braut
zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬
den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬
samkeit versüßen, man windet ihnen Kränze zum
Abschied, und in den Epheu und das Immergrün
möchte man schon Lorbeern flechten. Finden Sie das
unnatürlich?"

Wenn die Fürstin sich hätte Rechenschaft geben
sollen, welches Motiv sie antrieb, würde sie gestockt
haben. Herrschsüchtige strengen oft die halbe Kraft
an, den Schein hervorzubringen, daß sie nicht be¬
herrschen wollen; Geistvolle, wenn sie von andern in
ihren Gedankencombinationen gestört werden, wehren
sich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Diese
äußerste Anstrengung sich nicht zu verrathen, verräth
freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu
aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren

„Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen
ſolchen Schritt ſich durchaus nicht ausreden ließen,
wenn Sie ſich kühn über das Urtheil der Menge
wegſetzten, welche die Impulſe edler Seelen nie be¬
greift, — ich ſtelle mir nur eben den magiſchen Ein¬
druck vor, den dieſer heroiſche Entſchluß auf unſern
Freund hervorbringen müßte.“

„Ich ſollte alſo direct zu ihm in die Caſerne —“

„Um Himmels Willen, Liebſte, Beſte, verſtehn
Sie mich nicht falſch. Ich meine nur, bei dem all¬
gemeinen patriotiſchen Aufſchwung, der gerade von
den Frauen getragen wird, ſinken die gewöhnlichen
Schranken. Die Schweſter eilt zum Bruder, die Braut
zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬
den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬
ſamkeit verſüßen, man windet ihnen Kränze zum
Abſchied, und in den Epheu und das Immergrün
möchte man ſchon Lorbeern flechten. Finden Sie das
unnatürlich?“

Wenn die Fürſtin ſich hätte Rechenſchaft geben
ſollen, welches Motiv ſie antrieb, würde ſie geſtockt
haben. Herrſchſüchtige ſtrengen oft die halbe Kraft
an, den Schein hervorzubringen, daß ſie nicht be¬
herrſchen wollen; Geiſtvolle, wenn ſie von andern in
ihren Gedankencombinationen geſtört werden, wehren
ſich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Dieſe
äußerſte Anſtrengung ſich nicht zu verrathen, verräth
freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu
aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0190" n="180"/>
        <p>&#x201E;Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen<lb/>
&#x017F;olchen Schritt &#x017F;ich durchaus nicht ausreden ließen,<lb/>
wenn Sie &#x017F;ich kühn über das Urtheil der Menge<lb/>
weg&#x017F;etzten, welche die Impul&#x017F;e edler Seelen nie be¬<lb/>
greift, &#x2014; ich &#x017F;telle mir nur eben den magi&#x017F;chen Ein¬<lb/>
druck vor, den die&#x017F;er heroi&#x017F;che Ent&#x017F;chluß auf un&#x017F;ern<lb/>
Freund hervorbringen müßte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;ollte al&#x017F;o direct zu ihm in die Ca&#x017F;erne &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Um Himmels Willen, Lieb&#x017F;te, Be&#x017F;te, ver&#x017F;tehn<lb/>
Sie mich nicht fal&#x017F;ch. Ich meine nur, bei dem all¬<lb/>
gemeinen patrioti&#x017F;chen Auf&#x017F;chwung, der gerade von<lb/>
den Frauen getragen wird, &#x017F;inken die gewöhnlichen<lb/>
Schranken. Die Schwe&#x017F;ter eilt zum Bruder, die Braut<lb/>
zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬<lb/>
den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬<lb/>
&#x017F;amkeit ver&#x017F;üßen, man windet ihnen Kränze zum<lb/>
Ab&#x017F;chied, und in den Epheu und das Immergrün<lb/>
möchte man &#x017F;chon Lorbeern flechten. Finden Sie das<lb/>
unnatürlich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wenn die Für&#x017F;tin &#x017F;ich hätte Rechen&#x017F;chaft geben<lb/>
&#x017F;ollen, welches Motiv &#x017F;ie antrieb, würde &#x017F;ie ge&#x017F;tockt<lb/>
haben. Herr&#x017F;ch&#x017F;üchtige &#x017F;trengen oft die halbe Kraft<lb/>
an, den Schein hervorzubringen, daß &#x017F;ie nicht be¬<lb/>
herr&#x017F;chen wollen; Gei&#x017F;tvolle, wenn &#x017F;ie von andern in<lb/>
ihren Gedankencombinationen ge&#x017F;tört werden, wehren<lb/>
&#x017F;ich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Die&#x017F;e<lb/>
äußer&#x017F;te An&#x017F;trengung &#x017F;ich nicht zu verrathen, verräth<lb/>
freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu<lb/>
aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0190] „Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen ſolchen Schritt ſich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie ſich kühn über das Urtheil der Menge wegſetzten, welche die Impulſe edler Seelen nie be¬ greift, — ich ſtelle mir nur eben den magiſchen Ein¬ druck vor, den dieſer heroiſche Entſchluß auf unſern Freund hervorbringen müßte.“ „Ich ſollte alſo direct zu ihm in die Caſerne —“ „Um Himmels Willen, Liebſte, Beſte, verſtehn Sie mich nicht falſch. Ich meine nur, bei dem all¬ gemeinen patriotiſchen Aufſchwung, der gerade von den Frauen getragen wird, ſinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schweſter eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬ den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬ ſamkeit verſüßen, man windet ihnen Kränze zum Abſchied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man ſchon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?“ Wenn die Fürſtin ſich hätte Rechenſchaft geben ſollen, welches Motiv ſie antrieb, würde ſie geſtockt haben. Herrſchſüchtige ſtrengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß ſie nicht be¬ herrſchen wollen; Geiſtvolle, wenn ſie von andern in ihren Gedankencombinationen geſtört werden, wehren ſich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Dieſe äußerſte Anſtrengung ſich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/190
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/190>, abgerufen am 26.04.2024.