"Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen solchen Schritt sich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie sich kühn über das Urtheil der Menge wegsetzten, welche die Impulse edler Seelen nie be¬ greift, -- ich stelle mir nur eben den magischen Ein¬ druck vor, den dieser heroische Entschluß auf unsern Freund hervorbringen müßte."
"Ich sollte also direct zu ihm in die Caserne --"
"Um Himmels Willen, Liebste, Beste, verstehn Sie mich nicht falsch. Ich meine nur, bei dem all¬ gemeinen patriotischen Aufschwung, der gerade von den Frauen getragen wird, sinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schwester eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬ den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬ samkeit versüßen, man windet ihnen Kränze zum Abschied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man schon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?"
Wenn die Fürstin sich hätte Rechenschaft geben sollen, welches Motiv sie antrieb, würde sie gestockt haben. Herrschsüchtige strengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß sie nicht be¬ herrschen wollen; Geistvolle, wenn sie von andern in ihren Gedankencombinationen gestört werden, wehren sich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Diese äußerste Anstrengung sich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren
„Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen ſolchen Schritt ſich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie ſich kühn über das Urtheil der Menge wegſetzten, welche die Impulſe edler Seelen nie be¬ greift, — ich ſtelle mir nur eben den magiſchen Ein¬ druck vor, den dieſer heroiſche Entſchluß auf unſern Freund hervorbringen müßte.“
„Ich ſollte alſo direct zu ihm in die Caſerne —“
„Um Himmels Willen, Liebſte, Beſte, verſtehn Sie mich nicht falſch. Ich meine nur, bei dem all¬ gemeinen patriotiſchen Aufſchwung, der gerade von den Frauen getragen wird, ſinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schweſter eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬ den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬ ſamkeit verſüßen, man windet ihnen Kränze zum Abſchied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man ſchon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?“
Wenn die Fürſtin ſich hätte Rechenſchaft geben ſollen, welches Motiv ſie antrieb, würde ſie geſtockt haben. Herrſchſüchtige ſtrengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß ſie nicht be¬ herrſchen wollen; Geiſtvolle, wenn ſie von andern in ihren Gedankencombinationen geſtört werden, wehren ſich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Dieſe äußerſte Anſtrengung ſich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren
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„Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen
ſolchen Schritt ſich durchaus nicht ausreden ließen,
wenn Sie ſich kühn über das Urtheil der Menge
wegſetzten, welche die Impulſe edler Seelen nie be¬
greift, — ich ſtelle mir nur eben den magiſchen Ein¬
druck vor, den dieſer heroiſche Entſchluß auf unſern
Freund hervorbringen müßte.“
„Ich ſollte alſo direct zu ihm in die Caſerne —“
„Um Himmels Willen, Liebſte, Beſte, verſtehn
Sie mich nicht falſch. Ich meine nur, bei dem all¬
gemeinen patriotiſchen Aufſchwung, der gerade von
den Frauen getragen wird, ſinken die gewöhnlichen
Schranken. Die Schweſter eilt zum Bruder, die Braut
zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬
den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬
ſamkeit verſüßen, man windet ihnen Kränze zum
Abſchied, und in den Epheu und das Immergrün
möchte man ſchon Lorbeern flechten. Finden Sie das
unnatürlich?“
Wenn die Fürſtin ſich hätte Rechenſchaft geben
ſollen, welches Motiv ſie antrieb, würde ſie geſtockt
haben. Herrſchſüchtige ſtrengen oft die halbe Kraft
an, den Schein hervorzubringen, daß ſie nicht be¬
herrſchen wollen; Geiſtvolle, wenn ſie von andern in
ihren Gedankencombinationen geſtört werden, wehren
ſich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Dieſe
äußerſte Anſtrengung ſich nicht zu verrathen, verräth
freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu
aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/190>, abgerufen am 26.04.2024.
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