Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.an ihrem Ort; kein Koffer, kein Kleid, kein Bändchen, kein Stückchen Papier -- nichts Hinterlassenes, keine Spur! Nur auf dem Tische lag die volle Zahlung des Wirthes in harten Thalern, die er aber wohlweislich nicht anrühren mochte. Nehme das Teufelsgeld, wer will! sagte der Kreuzwirth: man weiß ja, dabei ist kein Segen. Leg' ich's in meine Truhe, wird es mir zu stinkendem Unrath. Ich will es den Armen im Stadtspital schenken; ich mag es einmal nicht. Er übergab die harten Thaler dem Polizeidiener, der sie dem Spitalpfleger bringen mußte. Das Gerücht vom plötzlichen Verschwinden des todten Gastes war mit allen Nebenumständen sogleich durch ganz Herbesheim verbreitet. Auch Herr und Frau Bantes, da sie kaum das Bett verlassen hatten, vernahmen es von ihren Mägden, bald auch von dem Buchhalter und Kassierer. Wunderbar! sagte Herr Bantes zu seiner Frau: nun, was sagst du denn dazu? Ich freue mich, daß er fort ist. Du wirst doch glauben, daß es da nicht ganz mit rechten Dingen zuging? Ich sage dir, das war mir nimmermehr der Sohn meines alten Freundes Hahn. Wer hätte jemals an so tolle Märchen, an solchen Unsinn und dergleichen glauben sollen, wenn man nicht mit leiblichen Augen Zeuge gewesen wäre! Frau Bantes brachte gegen die Aussagen der Mägde und des Buchhalters einige bescheidene Zweifel vor. Man schickte den Kassierer zum Kreuzwirth; aber an ihrem Ort; kein Koffer, kein Kleid, kein Bändchen, kein Stückchen Papier — nichts Hinterlassenes, keine Spur! Nur auf dem Tische lag die volle Zahlung des Wirthes in harten Thalern, die er aber wohlweislich nicht anrühren mochte. Nehme das Teufelsgeld, wer will! sagte der Kreuzwirth: man weiß ja, dabei ist kein Segen. Leg' ich's in meine Truhe, wird es mir zu stinkendem Unrath. Ich will es den Armen im Stadtspital schenken; ich mag es einmal nicht. Er übergab die harten Thaler dem Polizeidiener, der sie dem Spitalpfleger bringen mußte. Das Gerücht vom plötzlichen Verschwinden des todten Gastes war mit allen Nebenumständen sogleich durch ganz Herbesheim verbreitet. Auch Herr und Frau Bantes, da sie kaum das Bett verlassen hatten, vernahmen es von ihren Mägden, bald auch von dem Buchhalter und Kassierer. Wunderbar! sagte Herr Bantes zu seiner Frau: nun, was sagst du denn dazu? Ich freue mich, daß er fort ist. Du wirst doch glauben, daß es da nicht ganz mit rechten Dingen zuging? Ich sage dir, das war mir nimmermehr der Sohn meines alten Freundes Hahn. Wer hätte jemals an so tolle Märchen, an solchen Unsinn und dergleichen glauben sollen, wenn man nicht mit leiblichen Augen Zeuge gewesen wäre! Frau Bantes brachte gegen die Aussagen der Mägde und des Buchhalters einige bescheidene Zweifel vor. Man schickte den Kassierer zum Kreuzwirth; aber <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="17"> <p><pb facs="#f0151"/> an ihrem Ort; kein Koffer, kein Kleid, kein Bändchen, kein Stückchen Papier — nichts Hinterlassenes, keine Spur! Nur auf dem Tische lag die volle Zahlung des Wirthes in harten Thalern, die er aber wohlweislich nicht anrühren mochte. Nehme das Teufelsgeld, wer will! sagte der Kreuzwirth: man weiß ja, dabei ist kein Segen. Leg' ich's in meine Truhe, wird es mir zu stinkendem Unrath. Ich will es den Armen im Stadtspital schenken; ich mag es einmal nicht. Er übergab die harten Thaler dem Polizeidiener, der sie dem Spitalpfleger bringen mußte.</p><lb/> <p>Das Gerücht vom plötzlichen Verschwinden des todten Gastes war mit allen Nebenumständen sogleich durch ganz Herbesheim verbreitet. Auch Herr und Frau Bantes, da sie kaum das Bett verlassen hatten, vernahmen es von ihren Mägden, bald auch von dem Buchhalter und Kassierer.</p><lb/> <p>Wunderbar! sagte Herr Bantes zu seiner Frau: nun, was sagst du denn dazu? Ich freue mich, daß er fort ist. Du wirst doch glauben, daß es da nicht ganz mit rechten Dingen zuging? Ich sage dir, das war mir nimmermehr der Sohn meines alten Freundes Hahn. Wer hätte jemals an so tolle Märchen, an solchen Unsinn und dergleichen glauben sollen, wenn man nicht mit leiblichen Augen Zeuge gewesen wäre!</p><lb/> <p>Frau Bantes brachte gegen die Aussagen der Mägde und des Buchhalters einige bescheidene Zweifel vor. Man schickte den Kassierer zum Kreuzwirth; aber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
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Das Gerücht vom plötzlichen Verschwinden des todten Gastes war mit allen Nebenumständen sogleich durch ganz Herbesheim verbreitet. Auch Herr und Frau Bantes, da sie kaum das Bett verlassen hatten, vernahmen es von ihren Mägden, bald auch von dem Buchhalter und Kassierer.
Wunderbar! sagte Herr Bantes zu seiner Frau: nun, was sagst du denn dazu? Ich freue mich, daß er fort ist. Du wirst doch glauben, daß es da nicht ganz mit rechten Dingen zuging? Ich sage dir, das war mir nimmermehr der Sohn meines alten Freundes Hahn. Wer hätte jemals an so tolle Märchen, an solchen Unsinn und dergleichen glauben sollen, wenn man nicht mit leiblichen Augen Zeuge gewesen wäre!
Frau Bantes brachte gegen die Aussagen der Mägde und des Buchhalters einige bescheidene Zweifel vor. Man schickte den Kassierer zum Kreuzwirth; aber
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/151>, abgerufen am 16.02.2025. |