Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zwischen dem Grafen von Altenkreuz und dem Vicomte vor hundert Jahren. Er eilte todtenbleich ins Zimmer seiner Gemahlin, die vor seinem Anblick erschrak. Als sie die Ursache seines Zustandes erfahren hatte, suchte sie ihn zu beruhigen, versicherte, das vermeinte Gespenst sei in der That der erwartete Bräutigam, ein liebenswürdiger, bescheidener Mann, mit dem sie und Friederike sich lange unterhalten habe. Ich glaub's schon, Mama, der ist mit dir in deinen Jahren ganz bescheiden. Aber geh hin und sieh, wie weit er mit Friederiken in kurzer Zeit gekommen ist. Sie küssen sich. Das ist nicht möglich, Papa! Da, da, diese Augen strafe du nicht Lügen. Er hat sie; sie ist verloren! Warum sind Die allein? Dir ist auch schon der Verstand vergiftet! sonst würdest du sie Beide nicht allein gelassen haben. Lieber Papa, er bat um Erlaubniß, sich allein gegen Friederiken erklären zu dürfen. Laß doch deine Einbildung fahren! Wie ist es möglich, daß du, eben du, aufgeklärter, Alles verspottender Mann, deinen Glauben so bethören lassen kannst und plötzlich der abergläubigste aller Menschen wirst? Ueberrumpeln? abergläubig? Nein, vorsichtig, behutsam und dergleichen gegen dies Teufelsblendwerk! Sei es, was es immer wolle, man soll sich auf keine Weise prellen lassen. Das Mädchen ist mir theuer. zwischen dem Grafen von Altenkreuz und dem Vicomte vor hundert Jahren. Er eilte todtenbleich ins Zimmer seiner Gemahlin, die vor seinem Anblick erschrak. Als sie die Ursache seines Zustandes erfahren hatte, suchte sie ihn zu beruhigen, versicherte, das vermeinte Gespenst sei in der That der erwartete Bräutigam, ein liebenswürdiger, bescheidener Mann, mit dem sie und Friederike sich lange unterhalten habe. Ich glaub's schon, Mama, der ist mit dir in deinen Jahren ganz bescheiden. Aber geh hin und sieh, wie weit er mit Friederiken in kurzer Zeit gekommen ist. Sie küssen sich. Das ist nicht möglich, Papa! Da, da, diese Augen strafe du nicht Lügen. Er hat sie; sie ist verloren! Warum sind Die allein? Dir ist auch schon der Verstand vergiftet! sonst würdest du sie Beide nicht allein gelassen haben. Lieber Papa, er bat um Erlaubniß, sich allein gegen Friederiken erklären zu dürfen. Laß doch deine Einbildung fahren! Wie ist es möglich, daß du, eben du, aufgeklärter, Alles verspottender Mann, deinen Glauben so bethören lassen kannst und plötzlich der abergläubigste aller Menschen wirst? Ueberrumpeln? abergläubig? Nein, vorsichtig, behutsam und dergleichen gegen dies Teufelsblendwerk! Sei es, was es immer wolle, man soll sich auf keine Weise prellen lassen. Das Mädchen ist mir theuer. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="14"> <p><pb facs="#f0127"/> zwischen dem Grafen von Altenkreuz und dem Vicomte vor hundert Jahren. Er eilte todtenbleich ins Zimmer seiner Gemahlin, die vor seinem Anblick erschrak.</p><lb/> <p>Als sie die Ursache seines Zustandes erfahren hatte, suchte sie ihn zu beruhigen, versicherte, das vermeinte Gespenst sei in der That der erwartete Bräutigam, ein liebenswürdiger, bescheidener Mann, mit dem sie und Friederike sich lange unterhalten habe.</p><lb/> <p>Ich glaub's schon, Mama, der ist mit dir in deinen Jahren ganz bescheiden. Aber geh hin und sieh, wie weit er mit Friederiken in kurzer Zeit gekommen ist. Sie küssen sich.</p><lb/> <p>Das ist nicht möglich, Papa!</p><lb/> <p>Da, da, diese Augen strafe du nicht Lügen. Er hat sie; sie ist verloren! Warum sind Die allein? Dir ist auch schon der Verstand vergiftet! sonst würdest du sie Beide nicht allein gelassen haben.</p><lb/> <p>Lieber Papa, er bat um Erlaubniß, sich allein gegen Friederiken erklären zu dürfen. Laß doch deine Einbildung fahren! Wie ist es möglich, daß du, eben du, aufgeklärter, Alles verspottender Mann, deinen Glauben so bethören lassen kannst und plötzlich der abergläubigste aller Menschen wirst?</p><lb/> <p>Ueberrumpeln? abergläubig? Nein, vorsichtig, behutsam und dergleichen gegen dies Teufelsblendwerk! Sei es, was es immer wolle, man soll sich auf keine Weise prellen lassen. Das Mädchen ist mir theuer.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0127]
zwischen dem Grafen von Altenkreuz und dem Vicomte vor hundert Jahren. Er eilte todtenbleich ins Zimmer seiner Gemahlin, die vor seinem Anblick erschrak.
Als sie die Ursache seines Zustandes erfahren hatte, suchte sie ihn zu beruhigen, versicherte, das vermeinte Gespenst sei in der That der erwartete Bräutigam, ein liebenswürdiger, bescheidener Mann, mit dem sie und Friederike sich lange unterhalten habe.
Ich glaub's schon, Mama, der ist mit dir in deinen Jahren ganz bescheiden. Aber geh hin und sieh, wie weit er mit Friederiken in kurzer Zeit gekommen ist. Sie küssen sich.
Das ist nicht möglich, Papa!
Da, da, diese Augen strafe du nicht Lügen. Er hat sie; sie ist verloren! Warum sind Die allein? Dir ist auch schon der Verstand vergiftet! sonst würdest du sie Beide nicht allein gelassen haben.
Lieber Papa, er bat um Erlaubniß, sich allein gegen Friederiken erklären zu dürfen. Laß doch deine Einbildung fahren! Wie ist es möglich, daß du, eben du, aufgeklärter, Alles verspottender Mann, deinen Glauben so bethören lassen kannst und plötzlich der abergläubigste aller Menschen wirst?
Ueberrumpeln? abergläubig? Nein, vorsichtig, behutsam und dergleichen gegen dies Teufelsblendwerk! Sei es, was es immer wolle, man soll sich auf keine Weise prellen lassen. Das Mädchen ist mir theuer.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/127 |
Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/127>, abgerufen am 18.07.2024. |