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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

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und Unsterblichkeit.
und wird bald wieder zu Staub werden.
Blühte er auch itzt noch so schön, bald wird
er gleich der Blume des Feldes dahin wel-
ken und ein Raub der Verwesung werden.
Und das kann schon morgen, das kann noch
heute sein Loos seyn. Meine Laufbahn auf
Erden ist kurz; und tausend Zufälle, die ich
weder vorhersehen noch vermeiden kann, kön-
nen sie noch verkürzen. Ein flüchtiger Traum
ist das längste Leben des Menschen, und sel-
ten kann er diesen Traum ganz austräumen.
Plötzlich wird oft der Faden seiner Jdeen zer-
rissen, und sein Schicksal scheint gänzliches
Aufhören und Zerstörung zu seyn. Nein,
hier bin ich nicht einheimisch, nur Gast und
Fremdling; und alles, was ich hier habe und
besitze, ist nicht mein Eigenthum, nur gelie-
henes, anvertrautes Gut. Heute ist es in
meinen Händen: morgen in den Händen eines
andern. Heute herrsche ich vielleicht über
viele: morgen treten sie meinen Staub unter
ihre Füße. Heute kann ich vielleicht weit um
mich her wirken: morgen bin ich außer aller
Verbindung mit der sichtbaren Welt.

Und
E 3

und Unſterblichkeit.
und wird bald wieder zu Staub werden.
Blühte er auch itzt noch ſo ſchön, bald wird
er gleich der Blume des Feldes dahin wel-
ken und ein Raub der Verweſung werden.
Und das kann ſchon morgen, das kann noch
heute ſein Loos ſeyn. Meine Laufbahn auf
Erden iſt kurz; und tauſend Zufälle, die ich
weder vorherſehen noch vermeiden kann, kön-
nen ſie noch verkürzen. Ein flüchtiger Traum
iſt das längſte Leben des Menſchen, und ſel-
ten kann er dieſen Traum ganz austräumen.
Plötzlich wird oft der Faden ſeiner Jdeen zer-
riſſen, und ſein Schickſal ſcheint gänzliches
Aufhören und Zerſtörung zu ſeyn. Nein,
hier bin ich nicht einheimiſch, nur Gaſt und
Fremdling; und alles, was ich hier habe und
beſitze, iſt nicht mein Eigenthum, nur gelie-
henes, anvertrautes Gut. Heute iſt es in
meinen Händen: morgen in den Händen eines
andern. Heute herrſche ich vielleicht über
viele: morgen treten ſie meinen Staub unter
ihre Füße. Heute kann ich vielleicht weit um
mich her wirken: morgen bin ich außer aller
Verbindung mit der ſichtbaren Welt.

Und
E 3
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[69/0091] und Unſterblichkeit. und wird bald wieder zu Staub werden. Blühte er auch itzt noch ſo ſchön, bald wird er gleich der Blume des Feldes dahin wel- ken und ein Raub der Verweſung werden. Und das kann ſchon morgen, das kann noch heute ſein Loos ſeyn. Meine Laufbahn auf Erden iſt kurz; und tauſend Zufälle, die ich weder vorherſehen noch vermeiden kann, kön- nen ſie noch verkürzen. Ein flüchtiger Traum iſt das längſte Leben des Menſchen, und ſel- ten kann er dieſen Traum ganz austräumen. Plötzlich wird oft der Faden ſeiner Jdeen zer- riſſen, und ſein Schickſal ſcheint gänzliches Aufhören und Zerſtörung zu ſeyn. Nein, hier bin ich nicht einheimiſch, nur Gaſt und Fremdling; und alles, was ich hier habe und beſitze, iſt nicht mein Eigenthum, nur gelie- henes, anvertrautes Gut. Heute iſt es in meinen Händen: morgen in den Händen eines andern. Heute herrſche ich vielleicht über viele: morgen treten ſie meinen Staub unter ihre Füße. Heute kann ich vielleicht weit um mich her wirken: morgen bin ich außer aller Verbindung mit der ſichtbaren Welt. Und E 3

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Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/91>, abgerufen am 24.11.2024.