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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

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Bewaffnung gegen die Gefahren
in meinem Laufe aufhalten, und zu Fehltrit-
ten und Vergehungen, oder zu schädlichen Ver-
säumnissen, versuchen und verleiten könnte?

Vielleicht werden sinnliche, niedrige Lüste
in mir rege werden, und sich den Vorschriften
meiner Vernunft, den Forderungen der Pflicht
widersetzen. Aber ist es nicht die Vernunft,
die den Menschen adelt und ihn zum Menschen
machet? Sollen nicht ihre Aussprüche als
Aussprüche Gottes alles bey uns gelten? Soll
nicht dem Menschen, dem Christen, seine Pflicht
stets heilig und unverletzlich seyn?

Vielleicht werde ich durch Widerspruch
und Widerstand, durch Beleidigungen von
mancherley Art, zum Unwillen, zum Zorne,
zur Rache gereizt werden. Aber wann ist der
Mensch größer, wann hat er ein innigeres,
seligeres Gefühl seiner Würde, als wenn er
bey solchen Reizungen gelassen und sanftmüthig
bleibt, sich selbst beherrschet, und Böses mit
Gutem vergilt? Und wann entehret und ernie-
driget er sich mehr, wodurch bereitet er sich
mehr Reue und Schmerz, als wenn er sich
von den Leidenschaften dahin reißen, und zum
Thiere herabsetzen läßt?

Viel-

Bewaffnung gegen die Gefahren
in meinem Laufe aufhalten, und zu Fehltrit-
ten und Vergehungen, oder zu ſchädlichen Ver-
ſäumniſſen, verſuchen und verleiten könnte?

Vielleicht werden ſinnliche, niedrige Lüſte
in mir rege werden, und ſich den Vorſchriften
meiner Vernunft, den Forderungen der Pflicht
widerſetzen. Aber iſt es nicht die Vernunft,
die den Menſchen adelt und ihn zum Menſchen
machet? Sollen nicht ihre Ausſprüche als
Ausſprüche Gottes alles bey uns gelten? Soll
nicht dem Menſchen, dem Chriſten, ſeine Pflicht
ſtets heilig und unverletzlich ſeyn?

Vielleicht werde ich durch Widerſpruch
und Widerſtand, durch Beleidigungen von
mancherley Art, zum Unwillen, zum Zorne,
zur Rache gereizt werden. Aber wann iſt der
Menſch größer, wann hat er ein innigeres,
ſeligeres Gefühl ſeiner Würde, als wenn er
bey ſolchen Reizungen gelaſſen und ſanftmüthig
bleibt, ſich ſelbſt beherrſchet, und Böſes mit
Gutem vergilt? Und wann entehret und ernie-
driget er ſich mehr, wodurch bereitet er ſich
mehr Reue und Schmerz, als wenn er ſich
von den Leidenſchaften dahin reißen, und zum
Thiere herabſetzen läßt?

Viel-
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[250/0272] Bewaffnung gegen die Gefahren in meinem Laufe aufhalten, und zu Fehltrit- ten und Vergehungen, oder zu ſchädlichen Ver- ſäumniſſen, verſuchen und verleiten könnte? Vielleicht werden ſinnliche, niedrige Lüſte in mir rege werden, und ſich den Vorſchriften meiner Vernunft, den Forderungen der Pflicht widerſetzen. Aber iſt es nicht die Vernunft, die den Menſchen adelt und ihn zum Menſchen machet? Sollen nicht ihre Ausſprüche als Ausſprüche Gottes alles bey uns gelten? Soll nicht dem Menſchen, dem Chriſten, ſeine Pflicht ſtets heilig und unverletzlich ſeyn? Vielleicht werde ich durch Widerſpruch und Widerſtand, durch Beleidigungen von mancherley Art, zum Unwillen, zum Zorne, zur Rache gereizt werden. Aber wann iſt der Menſch größer, wann hat er ein innigeres, ſeligeres Gefühl ſeiner Würde, als wenn er bey ſolchen Reizungen gelaſſen und ſanftmüthig bleibt, ſich ſelbſt beherrſchet, und Böſes mit Gutem vergilt? Und wann entehret und ernie- driget er ſich mehr, wodurch bereitet er ſich mehr Reue und Schmerz, als wenn er ſich von den Leidenſchaften dahin reißen, und zum Thiere herabſetzen läßt? Viel-

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Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/272>, abgerufen am 02.10.2024.