Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.wohlvollbrachten Tag. Gutes gehindert, oder Böses gethan hätte!Wenn ich itzt an Brüder denken müßte, die ich mit Worten, oder Werken beleidigt; an Niedrige, die ich verachtet; an Unschuldige, die ich geärgert, oder verführt; an Untergebene, die ich hart und eigensinnig behandelt; an Treu- herzige, die ich getäuscht und hintergangen; an Elende und Hülfsbedürftige, denen ich meine Hülfe verweigert hätte! Welche scheuß- liche Bilder würden mich da nicht umschweben, und vielleicht noch im Traume, oder in der Stille der Nacht verfolgen! Und so wäre die- ser Tag ganz verloren! Mehr als verloren! Sein Andenken würde mir stets bitter; seine Folgen würden mir noch in dem zukünftigen Leben schädlich seyn! Ja, der Weg des La- sters ist ein krummer, finsterer, gefährlicher Weg; seine betrüglichen Reize sind bald ver- schwunden; sein Ausgang ist Kummer und Reue und Elend. Bewahre mich, Gott, daß ich nie diesen Weg betrete, wenn auch noch so viele darauf wandeln, und wenn sie auf dem- selben noch so viel Freyheit und Lust zu ge- nießen scheinen sollten. Es ist Freyheit, die den Menschen in die härteste, niedrigste Knecht- schaft stürzet; Lust, die sich früher oder später in
wohlvollbrachten Tag. Gutes gehindert, oder Böſes gethan hätte!Wenn ich itzt an Brüder denken müßte, die ich mit Worten, oder Werken beleidigt; an Niedrige, die ich verachtet; an Unſchuldige, die ich geärgert, oder verführt; an Untergebene, die ich hart und eigenſinnig behandelt; an Treu- herzige, die ich getäuſcht und hintergangen; an Elende und Hülfsbedürftige, denen ich meine Hülfe verweigert hätte! Welche ſcheuß- liche Bilder würden mich da nicht umſchweben, und vielleicht noch im Traume, oder in der Stille der Nacht verfolgen! Und ſo wäre die- ſer Tag ganz verloren! Mehr als verloren! Sein Andenken würde mir ſtets bitter; ſeine Folgen würden mir noch in dem zukünftigen Leben ſchädlich ſeyn! Ja, der Weg des La- ſters iſt ein krummer, finſterer, gefährlicher Weg; ſeine betrüglichen Reize ſind bald ver- ſchwunden; ſein Ausgang iſt Kummer und Reue und Elend. Bewahre mich, Gott, daß ich nie dieſen Weg betrete, wenn auch noch ſo viele darauf wandeln, und wenn ſie auf dem- ſelben noch ſo viel Freyheit und Luſt zu ge- nießen ſcheinen ſollten. Es iſt Freyheit, die den Menſchen in die härteſte, niedrigſte Knecht- ſchaft ſtürzet; Luſt, die ſich früher oder ſpäter in
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wohlvollbrachten Tag.
Gutes gehindert, oder Böſes gethan hätte!
Wenn ich itzt an Brüder denken müßte, die
ich mit Worten, oder Werken beleidigt; an
Niedrige, die ich verachtet; an Unſchuldige, die
ich geärgert, oder verführt; an Untergebene,
die ich hart und eigenſinnig behandelt; an Treu-
herzige, die ich getäuſcht und hintergangen;
an Elende und Hülfsbedürftige, denen ich
meine Hülfe verweigert hätte! Welche ſcheuß-
liche Bilder würden mich da nicht umſchweben,
und vielleicht noch im Traume, oder in der
Stille der Nacht verfolgen! Und ſo wäre die-
ſer Tag ganz verloren! Mehr als verloren!
Sein Andenken würde mir ſtets bitter; ſeine
Folgen würden mir noch in dem zukünftigen
Leben ſchädlich ſeyn! Ja, der Weg des La-
ſters iſt ein krummer, finſterer, gefährlicher
Weg; ſeine betrüglichen Reize ſind bald ver-
ſchwunden; ſein Ausgang iſt Kummer und
Reue und Elend. Bewahre mich, Gott, daß
ich nie dieſen Weg betrete, wenn auch noch ſo
viele darauf wandeln, und wenn ſie auf dem-
ſelben noch ſo viel Freyheit und Luſt zu ge-
nießen ſcheinen ſollten. Es iſt Freyheit, die
den Menſchen in die härteſte, niedrigſte Knecht-
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Zitationshilfe: | Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/225>, abgerufen am 23.07.2024. |