Begleiterinnen auf allen meinen Wegen, so wie es stets die seinigen waren? Habe ich heute nichts gedacht, nichts gewollt, nichts geredet, nichts gethan, dessen sich Jesus, wenn er an meiner Stelle wäre, schämen müßte?
Ist mir heute der Gedanke, daß ich ein Christ bin, daß ich als ein solcher zu reinerer Tugend und höherer Vollkommenheit berufen bin, angenehm, oder beschwerlich gewesen? Habe ich ihn gerne unterhalten, oder von mir zu entfernen gesucht? Hat er mir Muth und Zuversicht, oder ängstliche Schüchternheit und Furcht eingeflößt? Habe ich das Christenthum bey andern durch mein Verhalten ehrwürdig gemacht? Oder habe ich sie durch die Art, wie ich meine Pflicht erfüllte, durch den finstern Ernst, womit ich es that, oder durch die lieb- lose Strenge, womit ich andre beurtheilte und behandelte, in ihren Vorurtheilen gegen das- selbe befestiget?
Gott, wie vieler Fehler und Schwachhei- ten beschuldiget mich nicht diese Prüfung! Wie viel Einfluß haben noch die Grundsätze, die Gewohnheiten, die Beyspiele der Menschen die- ser Welt in meine Urtheile und in mein Ver- halten! Wie oft laß ich mich noch niedrige
Menschen-
Nähere Anwend. der Verpflichtung
Begleiterinnen auf allen meinen Wegen, ſo wie es ſtets die ſeinigen waren? Habe ich heute nichts gedacht, nichts gewollt, nichts geredet, nichts gethan, deſſen ſich Jeſus, wenn er an meiner Stelle wäre, ſchämen müßte?
Iſt mir heute der Gedanke, daß ich ein Chriſt bin, daß ich als ein ſolcher zu reinerer Tugend und höherer Vollkommenheit berufen bin, angenehm, oder beſchwerlich geweſen? Habe ich ihn gerne unterhalten, oder von mir zu entfernen geſucht? Hat er mir Muth und Zuverſicht, oder ängſtliche Schüchternheit und Furcht eingeflößt? Habe ich das Chriſtenthum bey andern durch mein Verhalten ehrwürdig gemacht? Oder habe ich ſie durch die Art, wie ich meine Pflicht erfüllte, durch den finſtern Ernſt, womit ich es that, oder durch die lieb- loſe Strenge, womit ich andre beurtheilte und behandelte, in ihren Vorurtheilen gegen daſ- ſelbe befeſtiget?
Gott, wie vieler Fehler und Schwachhei- ten beſchuldiget mich nicht dieſe Prüfung! Wie viel Einfluß haben noch die Grundſätze, die Gewohnheiten, die Beyſpiele der Menſchen die- ſer Welt in meine Urtheile und in mein Ver- halten! Wie oft laß ich mich noch niedrige
Menſchen-
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Nähere Anwend. der Verpflichtung
Begleiterinnen auf allen meinen Wegen, ſo wie
es ſtets die ſeinigen waren? Habe ich heute
nichts gedacht, nichts gewollt, nichts geredet,
nichts gethan, deſſen ſich Jeſus, wenn er an
meiner Stelle wäre, ſchämen müßte?
Iſt mir heute der Gedanke, daß ich ein
Chriſt bin, daß ich als ein ſolcher zu reinerer
Tugend und höherer Vollkommenheit berufen
bin, angenehm, oder beſchwerlich geweſen?
Habe ich ihn gerne unterhalten, oder von mir
zu entfernen geſucht? Hat er mir Muth und
Zuverſicht, oder ängſtliche Schüchternheit und
Furcht eingeflößt? Habe ich das Chriſtenthum
bey andern durch mein Verhalten ehrwürdig
gemacht? Oder habe ich ſie durch die Art, wie
ich meine Pflicht erfüllte, durch den finſtern
Ernſt, womit ich es that, oder durch die lieb-
loſe Strenge, womit ich andre beurtheilte und
behandelte, in ihren Vorurtheilen gegen daſ-
ſelbe befeſtiget?
Gott, wie vieler Fehler und Schwachhei-
ten beſchuldiget mich nicht dieſe Prüfung! Wie
viel Einfluß haben noch die Grundſätze, die
Gewohnheiten, die Beyſpiele der Menſchen die-
ſer Welt in meine Urtheile und in mein Ver-
halten! Wie oft laß ich mich noch niedrige
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Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/208>, abgerufen am 05.07.2024.
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