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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
Symptom des schon beginnenden Falls der Eva darzustellen suchte.1) --
Eine neuere protestantische Mystikerschule, anhebend mit Jakob Böhme
und Gottfried Arnold, liebt es in Adams Verfallen in einen tiefen
Schlaf vor Evas Erschaffung einen ersten Anfang des Sündenfalles
zu erblicken. Der ursprünglich die göttliche Weisheit oder ewige
Jungfrau in sich selber tragende, also androgyne Menschheitsstamm-
vater sank nach Böhme von dieser Höhe seines engelgleichen Ur-
zustandes schon dadurch herab, daß er in thierischen Schlaf verfiel
und so die "Jungfrau" in sich verdunkelte, weßhalb ihm nun eine
sichtbare irdische Gehilfin gegeben werden mußte; den so im Grunde
schon vollzogenen Abfall machte das Eßen von der verbotenen irdi-
schen Frucht später vollständig. Aehnlich Poiret, Gottfried Arnold,
Dippel etc., und noch mehrere der Gegenwart nahe stehenden Theo-
sophen wie Michael Hahn, St. Martin, Baader. Jn der Annahme
Baumgartens und Hofmanns: Gott habe mittelst der zwischen-
eingekommnen Schöpfung des Weibes die Strenge seiner dem Adam
angedrohten Strafe mildern und so die Schwere des Falles der
Stammeltern in etwas brechen und verringern gewollt, erscheint
zwar das Anstößigste jener Speculation beseitigt; doch liegt auch in
ihr noch eine gewisse auf Verringerung des Contrasts zwischen dem
Unschuldsstande und dem gefallenen Zustande ausgehende Naturali-
sirungstendenz feinerer Art zu Tage.2)

3) Nicht sündig inficirt zwar, wohl aber intellec-
tuell beschränkt und kindisch unwissend
sollen die Stamm-
eltern vor ihrem Falle gewesen sein. Diese Annahme tritt sehr

1) Rupert v. Deutz, De Trinit. et operib. eius, III, 3. Vgl. Pererius
zu Gen. 3, 1, sowie Calmet zu ders. St.
2) Jak. Böhme, Vom dreifachen Leben des Menschen 5, 135 ff., Von
der Gnadenwahl 6, 5 ff; -- Gottfr. Arnold, Das Geheimniß der göttl.
Sophia, 1700 (vgl. Dibelins, G. Arnold, Berlin 1873, S. 128 f.). --
Wegen Poirets etc. s. die Nachweise in Thl. II meiner "Geschichte der Bezieh."
S. 196. 516 f. -- Endlich Baumgarten, Comm. zum Pentat. 1843; Hof.
mann,
Weissag. und Erfüllung, I, 65 ff., Schriftbew. I, 434; auch Delitzsch,
Bibl. Psychol., S. 89 f.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
Symptom des ſchon beginnenden Falls der Eva darzuſtellen ſuchte.1)
Eine neuere proteſtantiſche Myſtikerſchule, anhebend mit Jakob Böhme
und Gottfried Arnold, liebt es in Adams Verfallen in einen tiefen
Schlaf vor Evas Erſchaffung einen erſten Anfang des Sündenfalles
zu erblicken. Der urſprünglich die göttliche Weisheit oder ewige
Jungfrau in ſich ſelber tragende, alſo androgyne Menſchheitsſtamm-
vater ſank nach Böhme von dieſer Höhe ſeines engelgleichen Ur-
zuſtandes ſchon dadurch herab, daß er in thieriſchen Schlaf verfiel
und ſo die „Jungfrau‟ in ſich verdunkelte, weßhalb ihm nun eine
ſichtbare irdiſche Gehilfin gegeben werden mußte; den ſo im Grunde
ſchon vollzogenen Abfall machte das Eßen von der verbotenen irdi-
ſchen Frucht ſpäter vollſtändig. Aehnlich Poiret, Gottfried Arnold,
Dippel ꝛc., und noch mehrere der Gegenwart nahe ſtehenden Theo-
ſophen wie Michael Hahn, St. Martin, Baader. Jn der Annahme
Baumgartens und Hofmanns: Gott habe mittelſt der zwiſchen-
eingekommnen Schöpfung des Weibes die Strenge ſeiner dem Adam
angedrohten Strafe mildern und ſo die Schwere des Falles der
Stammeltern in etwas brechen und verringern gewollt, erſcheint
zwar das Anſtößigſte jener Speculation beſeitigt; doch liegt auch in
ihr noch eine gewiſſe auf Verringerung des Contraſts zwiſchen dem
Unſchuldsſtande und dem gefallenen Zuſtande ausgehende Naturali-
ſirungstendenz feinerer Art zu Tage.2)

3) Nicht ſündig inficirt zwar, wohl aber intellec-
tuell beſchränkt und kindiſch unwiſſend
ſollen die Stamm-
eltern vor ihrem Falle geweſen ſein. Dieſe Annahme tritt ſehr

1) Rupert v. Deutz, De Trinit. et operib. eius, III, 3. Vgl. Pererius
zu Gen. 3, 1, ſowie Calmet zu derſ. St.
2) Jak. Böhme, Vom dreifachen Leben des Menſchen 5, 135 ff., Von
der Gnadenwahl 6, 5 ff; — Gottfr. Arnold, Das Geheimniß der göttl.
Sophia, 1700 (vgl. Dibelins, G. Arnold, Berlin 1873, S. 128 f.). —
Wegen Poirets ꝛc. ſ. die Nachweiſe in Thl. II meiner „Geſchichte der Bezieh.‟
S. 196. 516 f. — Endlich Baumgarten, Comm. zum Pentat. 1843; Hof.
mann,
Weiſſag. und Erfüllung, I, 65 ff., Schriftbew. I, 434; auch Delitzſch,
Bibl. Pſychol., S. 89 f.
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[40/0050] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. Symptom des ſchon beginnenden Falls der Eva darzuſtellen ſuchte. 1) — Eine neuere proteſtantiſche Myſtikerſchule, anhebend mit Jakob Böhme und Gottfried Arnold, liebt es in Adams Verfallen in einen tiefen Schlaf vor Evas Erſchaffung einen erſten Anfang des Sündenfalles zu erblicken. Der urſprünglich die göttliche Weisheit oder ewige Jungfrau in ſich ſelber tragende, alſo androgyne Menſchheitsſtamm- vater ſank nach Böhme von dieſer Höhe ſeines engelgleichen Ur- zuſtandes ſchon dadurch herab, daß er in thieriſchen Schlaf verfiel und ſo die „Jungfrau‟ in ſich verdunkelte, weßhalb ihm nun eine ſichtbare irdiſche Gehilfin gegeben werden mußte; den ſo im Grunde ſchon vollzogenen Abfall machte das Eßen von der verbotenen irdi- ſchen Frucht ſpäter vollſtändig. Aehnlich Poiret, Gottfried Arnold, Dippel ꝛc., und noch mehrere der Gegenwart nahe ſtehenden Theo- ſophen wie Michael Hahn, St. Martin, Baader. Jn der Annahme Baumgartens und Hofmanns: Gott habe mittelſt der zwiſchen- eingekommnen Schöpfung des Weibes die Strenge ſeiner dem Adam angedrohten Strafe mildern und ſo die Schwere des Falles der Stammeltern in etwas brechen und verringern gewollt, erſcheint zwar das Anſtößigſte jener Speculation beſeitigt; doch liegt auch in ihr noch eine gewiſſe auf Verringerung des Contraſts zwiſchen dem Unſchuldsſtande und dem gefallenen Zuſtande ausgehende Naturali- ſirungstendenz feinerer Art zu Tage. 2) 3) Nicht ſündig inficirt zwar, wohl aber intellec- tuell beſchränkt und kindiſch unwiſſend ſollen die Stamm- eltern vor ihrem Falle geweſen ſein. Dieſe Annahme tritt ſehr 1) Rupert v. Deutz, De Trinit. et operib. eius, III, 3. Vgl. Pererius zu Gen. 3, 1, ſowie Calmet zu derſ. St. 2) Jak. Böhme, Vom dreifachen Leben des Menſchen 5, 135 ff., Von der Gnadenwahl 6, 5 ff; — Gottfr. Arnold, Das Geheimniß der göttl. Sophia, 1700 (vgl. Dibelins, G. Arnold, Berlin 1873, S. 128 f.). — Wegen Poirets ꝛc. ſ. die Nachweiſe in Thl. II meiner „Geſchichte der Bezieh.‟ S. 196. 516 f. — Endlich Baumgarten, Comm. zum Pentat. 1843; Hof. mann, Weiſſag. und Erfüllung, I, 65 ff., Schriftbew. I, 434; auch Delitzſch, Bibl. Pſychol., S. 89 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/50>, abgerufen am 22.11.2024.