Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
und wovon er den ersteren das Gesetz, den zweiten das Evangelium
vorbilden läßt --), 5) zur Förderung und Erhaltung des Lebens
mittelst des Lebensbaumes, 6) zur symbolischen Vorausdarstellung
des himmlischen Paradieses1).

Die reformirte Orthodoxie ebenderselben Zeiten hat sich nicht
viel nüchterner gehalten. Zwar Calvins Darstellung in seinem
grundlegenden dogmatischen Meisterwerke erscheint kraft der Vorsicht,
womit sie ungesunde Ueberschwenglichkeiten zu vermeiden und wesent-
lich nur die Aussagen der biblischen Berichte treu zu reproduciren
sucht, derjenigen Melanchthons nahe stehend; gleichwie auch die
Mehrzahl der reformirten Symbole sich, ähnlich den lutherischen,
eines üppigen Uebermaaßes bei Schilderung der Vorzüge des noch
nicht gefallenen Menschen enthält und bei Aufzählung der wesent-
lichsten im Begriffe der Gottebenbildlichkeit und ursprünglichen Ge-
rechtigkeit enthaltenen Momente stehen bleibt -- hiebei die geistige
Wesensseite des gottbildlichen Urmenschen in etwas bevorzugend und
auf Kosten seiner körperlichen Vorzüge und Vollkommenheiten be-
tonend2). Uebrigens bleiben, wie bereits bemerkt, sogar von den
Classikern der reformatorischen Lehrbildung des Calvinismus Einige,
wie Petrus Martyr, Ursinus etc., in der fehlerhaften Annahme einer
Verschiedenheit von Gottbildlichkeit und Gottähnlichkeit befangen.
Und seit dem Aufkommen scholastisch-dialectischer Lehrformen um den
Anfang des 17. Jahrhunderts nimmt dieses Zurückgreifen auf die
ältere, patristische und scholastische Ueberlieferung mehr und mehr
überhand. Der Gegensatz zur pelagianisirenden und verschämt natura-
listischen Fassung der Urstandslehre seitens des Socinianismus und
Arminianismus -- von welchen Secten besonders die erstere sehr

1) Jo. Gerhard, Loc. IV, 248. -- Baier, Comp. theol. posit p.
293. 297; -- Quenstedt, Theol. did. polemica II, 6. -- Hollaz, Exam.
theol. acroamat. p.
471. -- Ab. Calov., Syst. locor. theol., t. III, loc.
de creatione, p. 882 ss.
Vgl. desselben Biblia illustr. u. Commentar. in
Genesin.
2) Conf. Belg. 19; Conf. Helv. II, 8; Con. Dordrac. 3, 4. a. 1; Decl.
Thorun.
3, 5. -- Wegen des Heidelb. Kat. s. weiter unten.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
und wovon er den erſteren das Geſetz, den zweiten das Evangelium
vorbilden läßt —), 5) zur Förderung und Erhaltung des Lebens
mittelſt des Lebensbaumes, 6) zur ſymboliſchen Vorausdarſtellung
des himmliſchen Paradieſes1).

Die reformirte Orthodoxie ebenderſelben Zeiten hat ſich nicht
viel nüchterner gehalten. Zwar Calvins Darſtellung in ſeinem
grundlegenden dogmatiſchen Meiſterwerke erſcheint kraft der Vorſicht,
womit ſie ungeſunde Ueberſchwenglichkeiten zu vermeiden und weſent-
lich nur die Ausſagen der bibliſchen Berichte treu zu reproduciren
ſucht, derjenigen Melanchthons nahe ſtehend; gleichwie auch die
Mehrzahl der reformirten Symbole ſich, ähnlich den lutheriſchen,
eines üppigen Uebermaaßes bei Schilderung der Vorzüge des noch
nicht gefallenen Menſchen enthält und bei Aufzählung der weſent-
lichſten im Begriffe der Gottebenbildlichkeit und urſprünglichen Ge-
rechtigkeit enthaltenen Momente ſtehen bleibt — hiebei die geiſtige
Weſensſeite des gottbildlichen Urmenſchen in etwas bevorzugend und
auf Koſten ſeiner körperlichen Vorzüge und Vollkommenheiten be-
tonend2). Uebrigens bleiben, wie bereits bemerkt, ſogar von den
Claſſikern der reformatoriſchen Lehrbildung des Calvinismus Einige,
wie Petrus Martyr, Urſinus ꝛc., in der fehlerhaften Annahme einer
Verſchiedenheit von Gottbildlichkeit und Gottähnlichkeit befangen.
Und ſeit dem Aufkommen ſcholaſtiſch-dialectiſcher Lehrformen um den
Anfang des 17. Jahrhunderts nimmt dieſes Zurückgreifen auf die
ältere, patriſtiſche und ſcholaſtiſche Ueberlieferung mehr und mehr
überhand. Der Gegenſatz zur pelagianiſirenden und verſchämt natura-
liſtiſchen Faſſung der Urſtandslehre ſeitens des Socinianismus und
Arminianismus — von welchen Secten beſonders die erſtere ſehr

1) Jo. Gerhard, Loc. IV, 248. — Baier, Comp. theol. posit p.
293. 297; — Quenſtedt, Theol. did. polemica II, 6. — Hollaz, Exam.
theol. acroamat. p.
471. — Ab. Calov., Syst. locor. theol., t. III, loc.
de creatione, p. 882 ss.
Vgl. deſſelben Biblia illustr. u. Commentar. in
Genesin.
2) Conf. Belg. 19; Conf. Helv. II, 8; Con. Dordrac. 3, 4. a. 1; Decl.
Thorun.
3, 5. — Wegen des Heidelb. Kat. ſ. weiter unten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Ur&#x017F;tand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/>
und wovon er den er&#x017F;teren das Ge&#x017F;etz, den zweiten das Evangelium<lb/>
vorbilden läßt &#x2014;), 5) zur Förderung und Erhaltung des Lebens<lb/>
mittel&#x017F;t des Lebensbaumes, 6) zur &#x017F;ymboli&#x017F;chen Vorausdar&#x017F;tellung<lb/>
des himmli&#x017F;chen Paradie&#x017F;es<note place="foot" n="1)">Jo. <hi rendition="#g">Gerhard,</hi> <hi rendition="#aq">Loc. IV,</hi> 248. &#x2014; <hi rendition="#g">Baier,</hi> <hi rendition="#aq">Comp. theol. posit p.</hi><lb/>
293. 297; &#x2014; <hi rendition="#g">Quen&#x017F;tedt,</hi> <hi rendition="#aq">Theol. did. polemica II,</hi> 6. &#x2014; <hi rendition="#g">Hollaz,</hi> <hi rendition="#aq">Exam.<lb/>
theol. acroamat. p.</hi> 471. &#x2014; Ab. <hi rendition="#g">Calov.,</hi> <hi rendition="#aq">Syst. locor. theol., t. III, loc.<lb/>
de creatione, p. 882 ss.</hi> Vgl. de&#x017F;&#x017F;elben <hi rendition="#aq">Biblia illustr.</hi> u. <hi rendition="#aq">Commentar. in<lb/>
Genesin.</hi></note>.</p><lb/>
        <p>Die reformirte Orthodoxie ebender&#x017F;elben Zeiten hat &#x017F;ich nicht<lb/>
viel nüchterner gehalten. Zwar Calvins Dar&#x017F;tellung in &#x017F;einem<lb/>
grundlegenden dogmati&#x017F;chen Mei&#x017F;terwerke er&#x017F;cheint kraft der Vor&#x017F;icht,<lb/>
womit &#x017F;ie unge&#x017F;unde Ueber&#x017F;chwenglichkeiten zu vermeiden und we&#x017F;ent-<lb/>
lich nur die Aus&#x017F;agen der bibli&#x017F;chen Berichte treu zu reproduciren<lb/>
&#x017F;ucht, derjenigen Melanchthons nahe &#x017F;tehend; gleichwie auch die<lb/>
Mehrzahl der reformirten Symbole &#x017F;ich, ähnlich den lutheri&#x017F;chen,<lb/>
eines üppigen Uebermaaßes bei Schilderung der Vorzüge des noch<lb/>
nicht gefallenen Men&#x017F;chen enthält und bei Aufzählung der we&#x017F;ent-<lb/>
lich&#x017F;ten im Begriffe der Gottebenbildlichkeit und ur&#x017F;prünglichen Ge-<lb/>
rechtigkeit enthaltenen Momente &#x017F;tehen bleibt &#x2014; hiebei die gei&#x017F;tige<lb/>
We&#x017F;ens&#x017F;eite des gottbildlichen Urmen&#x017F;chen in etwas bevorzugend und<lb/>
auf Ko&#x017F;ten &#x017F;einer körperlichen Vorzüge und Vollkommenheiten be-<lb/>
tonend<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Conf. Belg. 19; Conf. Helv. II, 8; Con. Dordrac. 3, 4. a. 1; Decl.<lb/>
Thorun.</hi> 3, 5. &#x2014; Wegen des Heidelb. Kat. &#x017F;. weiter unten.</note>. Uebrigens bleiben, wie bereits bemerkt, &#x017F;ogar von den<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;ikern der reformatori&#x017F;chen Lehrbildung des Calvinismus Einige,<lb/>
wie Petrus Martyr, Ur&#x017F;inus &#xA75B;c., in der fehlerhaften Annahme einer<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit von Gottbildlichkeit und Gottähnlichkeit befangen.<lb/>
Und &#x017F;eit dem Aufkommen &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;ch-dialecti&#x017F;cher Lehrformen um den<lb/>
Anfang des 17. Jahrhunderts nimmt die&#x017F;es Zurückgreifen auf die<lb/>
ältere, patri&#x017F;ti&#x017F;che und &#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;che Ueberlieferung mehr und mehr<lb/>
überhand. Der Gegen&#x017F;atz zur pelagiani&#x017F;irenden und ver&#x017F;chämt natura-<lb/>
li&#x017F;ti&#x017F;chen Fa&#x017F;&#x017F;ung der Ur&#x017F;tandslehre &#x017F;eitens des Socinianismus und<lb/>
Arminianismus &#x2014; von welchen Secten be&#x017F;onders die er&#x017F;tere &#x017F;ehr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0036] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. und wovon er den erſteren das Geſetz, den zweiten das Evangelium vorbilden läßt —), 5) zur Förderung und Erhaltung des Lebens mittelſt des Lebensbaumes, 6) zur ſymboliſchen Vorausdarſtellung des himmliſchen Paradieſes 1). Die reformirte Orthodoxie ebenderſelben Zeiten hat ſich nicht viel nüchterner gehalten. Zwar Calvins Darſtellung in ſeinem grundlegenden dogmatiſchen Meiſterwerke erſcheint kraft der Vorſicht, womit ſie ungeſunde Ueberſchwenglichkeiten zu vermeiden und weſent- lich nur die Ausſagen der bibliſchen Berichte treu zu reproduciren ſucht, derjenigen Melanchthons nahe ſtehend; gleichwie auch die Mehrzahl der reformirten Symbole ſich, ähnlich den lutheriſchen, eines üppigen Uebermaaßes bei Schilderung der Vorzüge des noch nicht gefallenen Menſchen enthält und bei Aufzählung der weſent- lichſten im Begriffe der Gottebenbildlichkeit und urſprünglichen Ge- rechtigkeit enthaltenen Momente ſtehen bleibt — hiebei die geiſtige Weſensſeite des gottbildlichen Urmenſchen in etwas bevorzugend und auf Koſten ſeiner körperlichen Vorzüge und Vollkommenheiten be- tonend 2). Uebrigens bleiben, wie bereits bemerkt, ſogar von den Claſſikern der reformatoriſchen Lehrbildung des Calvinismus Einige, wie Petrus Martyr, Urſinus ꝛc., in der fehlerhaften Annahme einer Verſchiedenheit von Gottbildlichkeit und Gottähnlichkeit befangen. Und ſeit dem Aufkommen ſcholaſtiſch-dialectiſcher Lehrformen um den Anfang des 17. Jahrhunderts nimmt dieſes Zurückgreifen auf die ältere, patriſtiſche und ſcholaſtiſche Ueberlieferung mehr und mehr überhand. Der Gegenſatz zur pelagianiſirenden und verſchämt natura- liſtiſchen Faſſung der Urſtandslehre ſeitens des Socinianismus und Arminianismus — von welchen Secten beſonders die erſtere ſehr 1) Jo. Gerhard, Loc. IV, 248. — Baier, Comp. theol. posit p. 293. 297; — Quenſtedt, Theol. did. polemica II, 6. — Hollaz, Exam. theol. acroamat. p. 471. — Ab. Calov., Syst. locor. theol., t. III, loc. de creatione, p. 882 ss. Vgl. deſſelben Biblia illustr. u. Commentar. in Genesin. 2) Conf. Belg. 19; Conf. Helv. II, 8; Con. Dordrac. 3, 4. a. 1; Decl. Thorun. 3, 5. — Wegen des Heidelb. Kat. ſ. weiter unten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/36
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/36>, abgerufen am 22.11.2024.