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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
möchten die thierischen Bewohner des wässrigen Elements dem Men-
schen zu nützen. Wir möchten übrigens bei Betrachtung der den
Menschen in seine Herrschaft über die Thiere einsetzenden Worte des
Schöpfers noch einen Schritt weiter gehen und fragen: ob nicht
selbst die Vögel wesentlich nur als Gegenstände des Jagens und
Verzehrens genannt sein können? Oder falls man dieß im Wider-
spruche mit dem "zu eurer Speise" (1, 29) stehend findet: ob denn
überhaupt dieses göttliche Segenswort seine Bedeutung darin habe,
daß es dem Menschen diese oder jene Classe von Nahrungsmitteln
zuweise, und nicht vielmehr darin, daß es den Vorzug des Menschen
vor seinen Naturgenossen, den Thieren, nach einer besonderen Seite
hin betonen will? ob nicht sein contextgemäßer Sinn eigentlich dieser
ist: soweit Mensch und Thier ihre Nahrung dem Gewächsreiche ent-
nehmen, "soll der Mensch als das Haupt der Schöpfung vor den
gleich ihm nahrungsbedürftigen Thieren den Vorzug haben, daß nur
die edelsten Theile der höchst organisirten Pflanzen die ihm ent-
sprechende Nahrung bilden, während zur Nahrung der Thiere auch
die geringeren Bestandtheile der Pflanzenwelt ausreichend sein
sollen".1) -- Man sieht, wie wenig die Pflanzenkost-Hypothese vor-
hält, wenn man ihr in strengerer exegetischer Untersuchung auf den
Grund geht. Und nützt denn wirklich diese Hypothese so Bedeu-
tendes zur Erklärung dessen, was sie erklären soll? Sind physiolo-
gischer Erfahrung zufolge ausschließliche Pflanzennahrung und unge-
wöhnlich hohes Lebensalter solidarisch verbundene Dinge?

Gerade hier würden nun concrete Beispiele, sei es aus dem
Völkerleben der Buddhisten oder der alten Perser etc., sei es aus
der Geschichte christlicher Mönche und Asketen, werthvollen Aufschluß
bieten können. Dem materialistischen Physiologen Moleschott, der
nur auf Grund unmittelbar vorliegenden der Gegenwart entnomme-
nen empirischen Materials urtheilt, wenn er die Bestimmung des
Menschen zu gemischter Kost als etwas apodictisch Gewisses, als

1) So mit Recht A. Köhler, Bibl. Geschichte des A. Bds., I, 33 f.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
möchten die thieriſchen Bewohner des wäſſrigen Elements dem Men-
ſchen zu nützen. Wir möchten übrigens bei Betrachtung der den
Menſchen in ſeine Herrſchaft über die Thiere einſetzenden Worte des
Schöpfers noch einen Schritt weiter gehen und fragen: ob nicht
ſelbſt die Vögel weſentlich nur als Gegenſtände des Jagens und
Verzehrens genannt ſein können? Oder falls man dieß im Wider-
ſpruche mit dem „zu eurer Speiſe‟ (1, 29) ſtehend findet: ob denn
überhaupt dieſes göttliche Segenswort ſeine Bedeutung darin habe,
daß es dem Menſchen dieſe oder jene Claſſe von Nahrungsmitteln
zuweiſe, und nicht vielmehr darin, daß es den Vorzug des Menſchen
vor ſeinen Naturgenoſſen, den Thieren, nach einer beſonderen Seite
hin betonen will? ob nicht ſein contextgemäßer Sinn eigentlich dieſer
iſt: ſoweit Menſch und Thier ihre Nahrung dem Gewächsreiche ent-
nehmen, „ſoll der Menſch als das Haupt der Schöpfung vor den
gleich ihm nahrungsbedürftigen Thieren den Vorzug haben, daß nur
die edelſten Theile der höchſt organiſirten Pflanzen die ihm ent-
ſprechende Nahrung bilden, während zur Nahrung der Thiere auch
die geringeren Beſtandtheile der Pflanzenwelt ausreichend ſein
ſollen‟.1) — Man ſieht, wie wenig die Pflanzenkoſt-Hypotheſe vor-
hält, wenn man ihr in ſtrengerer exegetiſcher Unterſuchung auf den
Grund geht. Und nützt denn wirklich dieſe Hypotheſe ſo Bedeu-
tendes zur Erklärung deſſen, was ſie erklären ſoll? Sind phyſiolo-
giſcher Erfahrung zufolge ausſchließliche Pflanzennahrung und unge-
wöhnlich hohes Lebensalter ſolidariſch verbundene Dinge?

Gerade hier würden nun concrete Beiſpiele, ſei es aus dem
Völkerleben der Buddhiſten oder der alten Perſer ꝛc., ſei es aus
der Geſchichte chriſtlicher Mönche und Asketen, werthvollen Aufſchluß
bieten können. Dem materialiſtiſchen Phyſiologen Moleſchott, der
nur auf Grund unmittelbar vorliegenden der Gegenwart entnomme-
nen empiriſchen Materials urtheilt, wenn er die Beſtimmung des
Menſchen zu gemiſchter Koſt als etwas apodictiſch Gewiſſes, als

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[279/0289] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. möchten die thieriſchen Bewohner des wäſſrigen Elements dem Men- ſchen zu nützen. Wir möchten übrigens bei Betrachtung der den Menſchen in ſeine Herrſchaft über die Thiere einſetzenden Worte des Schöpfers noch einen Schritt weiter gehen und fragen: ob nicht ſelbſt die Vögel weſentlich nur als Gegenſtände des Jagens und Verzehrens genannt ſein können? Oder falls man dieß im Wider- ſpruche mit dem „zu eurer Speiſe‟ (1, 29) ſtehend findet: ob denn überhaupt dieſes göttliche Segenswort ſeine Bedeutung darin habe, daß es dem Menſchen dieſe oder jene Claſſe von Nahrungsmitteln zuweiſe, und nicht vielmehr darin, daß es den Vorzug des Menſchen vor ſeinen Naturgenoſſen, den Thieren, nach einer beſonderen Seite hin betonen will? ob nicht ſein contextgemäßer Sinn eigentlich dieſer iſt: ſoweit Menſch und Thier ihre Nahrung dem Gewächsreiche ent- nehmen, „ſoll der Menſch als das Haupt der Schöpfung vor den gleich ihm nahrungsbedürftigen Thieren den Vorzug haben, daß nur die edelſten Theile der höchſt organiſirten Pflanzen die ihm ent- ſprechende Nahrung bilden, während zur Nahrung der Thiere auch die geringeren Beſtandtheile der Pflanzenwelt ausreichend ſein ſollen‟. 1) — Man ſieht, wie wenig die Pflanzenkoſt-Hypotheſe vor- hält, wenn man ihr in ſtrengerer exegetiſcher Unterſuchung auf den Grund geht. Und nützt denn wirklich dieſe Hypotheſe ſo Bedeu- tendes zur Erklärung deſſen, was ſie erklären ſoll? Sind phyſiolo- giſcher Erfahrung zufolge ausſchließliche Pflanzennahrung und unge- wöhnlich hohes Lebensalter ſolidariſch verbundene Dinge? Gerade hier würden nun concrete Beiſpiele, ſei es aus dem Völkerleben der Buddhiſten oder der alten Perſer ꝛc., ſei es aus der Geſchichte chriſtlicher Mönche und Asketen, werthvollen Aufſchluß bieten können. Dem materialiſtiſchen Phyſiologen Moleſchott, der nur auf Grund unmittelbar vorliegenden der Gegenwart entnomme- nen empiriſchen Materials urtheilt, wenn er die Beſtimmung des Menſchen zu gemiſchter Koſt als etwas apodictiſch Gewiſſes, als 1) So mit Recht A. Köhler, Bibl. Geſchichte des A. Bds., I, 33 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/289>, abgerufen am 22.11.2024.