Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. wie in sittlicher und cultureller Hinsicht bessere Vergangenheit spielenüberhaupt im Sagenkreise so zahlreicher Völker aller Erdtheile eine Rolle, daß es kaum als ein übereilter Schluß erscheint, wenn man schon allein auf Grund dieser nationalen Ueberlieferungen das Phänomen der Wildheit im Allgemeinen als ein nicht-ursprüngliches bezeichnet. Nicht ursprüngliche Wildheit, sondern Verwilderung ist das Wesen der heutigen s. g. Naturvölker. Dieselben sind wahr- scheinlich ohne Ausnahme Repräsentanten nicht jugendlicher Urkraft sondern greisenhafter Verkommenheit und zugleich räubermäßiger Ent- artung unseres Geschlechts.1) Auf jeden Fall ist es eine total un- berechtigte und unwissenschaftliche Verallgemeinerung, deren sich die- jenigen schuldig machen, welche bei Betrachtung dieses oder jenes heutigen "Naturvolks" ohne Weiteres in Darwins bekannte Voraus- setzung von der Gleichartigkeit der heutigen Feuerländer mit den einstigen Urbewohnern der britischen Jnseln einstimmen. Das Problem ist ein viel zu complicirtes, als daß es mit so wohlfeilen, von der Oberfläche abgeschöpften Analogien erledigt werden könnte; und vor- sichtigere Vertreter des naturalistischen Standpunkts, wie z. B. Darwin's Freund und philosophischer Lehrmeister Herbert Spencer, haben wohlweislich davor gewarnt, den gegenwärtigen Zustand wilder Völker unbedachtsamerweise als Maaßstab für die allgemeine Ur- beschaffenheit der Menschheit zu gebrauchen.2) Schließlich ist, was schon früher über die thatsächliche Unnach- 1) Treffend sagt J. P. Lange (Ueber die Risse und Zerklüftungen der heutigen Gesellschaft, 1872, S. 25): "Die Wilden machen sich untereinander zum bloßen Wild, und das ist der Untergung der Menschheit, nimmermehr ihr Auf- gang." 2) Vgl. Max Müller in den "Hibbert Lectures", l. c. (III, 65), der
diese Spencersche Mahnung zur Vorsicht ganz und gar billigt und an seinem Theile unterstützt. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. wie in ſittlicher und cultureller Hinſicht beſſere Vergangenheit ſpielenüberhaupt im Sagenkreiſe ſo zahlreicher Völker aller Erdtheile eine Rolle, daß es kaum als ein übereilter Schluß erſcheint, wenn man ſchon allein auf Grund dieſer nationalen Ueberlieferungen das Phänomen der Wildheit im Allgemeinen als ein nicht-urſprüngliches bezeichnet. Nicht urſprüngliche Wildheit, ſondern Verwilderung iſt das Weſen der heutigen ſ. g. Naturvölker. Dieſelben ſind wahr- ſcheinlich ohne Ausnahme Repräſentanten nicht jugendlicher Urkraft ſondern greiſenhafter Verkommenheit und zugleich räubermäßiger Ent- artung unſeres Geſchlechts.1) Auf jeden Fall iſt es eine total un- berechtigte und unwiſſenſchaftliche Verallgemeinerung, deren ſich die- jenigen ſchuldig machen, welche bei Betrachtung dieſes oder jenes heutigen „Naturvolks‟ ohne Weiteres in Darwins bekannte Voraus- ſetzung von der Gleichartigkeit der heutigen Feuerländer mit den einſtigen Urbewohnern der britiſchen Jnſeln einſtimmen. Das Problem iſt ein viel zu complicirtes, als daß es mit ſo wohlfeilen, von der Oberfläche abgeſchöpften Analogien erledigt werden könnte; und vor- ſichtigere Vertreter des naturaliſtiſchen Standpunkts, wie z. B. Darwin’s Freund und philoſophiſcher Lehrmeiſter Herbert Spencer, haben wohlweislich davor gewarnt, den gegenwärtigen Zuſtand wilder Völker unbedachtſamerweiſe als Maaßſtab für die allgemeine Ur- beſchaffenheit der Menſchheit zu gebrauchen.2) Schließlich iſt, was ſchon früher über die thatſächliche Unnach- 1) Treffend ſagt J. P. Lange (Ueber die Riſſe und Zerklüftungen der heutigen Geſellſchaft, 1872, S. 25): „Die Wilden machen ſich untereinander zum bloßen Wild, und das iſt der Untergung der Menſchheit, nimmermehr ihr Auf- gang.‟ 2) Vgl. Max Müller in den „Hibbert Lectures‟, l. c. (III, 65), der
dieſe Spencerſche Mahnung zur Vorſicht ganz und gar billigt und an ſeinem Theile unterſtützt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="213"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> wie in ſittlicher und cultureller Hinſicht beſſere Vergangenheit ſpielen<lb/> überhaupt im Sagenkreiſe ſo zahlreicher Völker aller Erdtheile eine<lb/> Rolle, daß es kaum als ein übereilter Schluß erſcheint, wenn man<lb/> ſchon allein auf Grund dieſer nationalen Ueberlieferungen das<lb/> Phänomen der Wildheit im Allgemeinen als ein nicht-urſprüngliches<lb/> bezeichnet. Nicht urſprüngliche Wildheit, ſondern Verwilderung iſt<lb/> das Weſen der heutigen ſ. g. Naturvölker. Dieſelben ſind wahr-<lb/> ſcheinlich ohne Ausnahme Repräſentanten nicht jugendlicher Urkraft<lb/> ſondern greiſenhafter Verkommenheit und zugleich räubermäßiger Ent-<lb/> artung unſeres Geſchlechts.<note place="foot" n="1)">Treffend ſagt J. P. <hi rendition="#g">Lange</hi> (Ueber die Riſſe und Zerklüftungen der<lb/> heutigen Geſellſchaft, 1872, S. 25): „Die Wilden machen ſich untereinander zum<lb/> bloßen Wild, und das iſt der Untergung der Menſchheit, nimmermehr ihr Auf-<lb/> gang.‟</note> Auf jeden Fall iſt es eine total un-<lb/> berechtigte und unwiſſenſchaftliche Verallgemeinerung, deren ſich die-<lb/> jenigen ſchuldig machen, welche bei Betrachtung dieſes oder jenes<lb/> heutigen „Naturvolks‟ ohne Weiteres in Darwins bekannte Voraus-<lb/> ſetzung von der Gleichartigkeit der heutigen Feuerländer mit den<lb/> einſtigen Urbewohnern der britiſchen Jnſeln einſtimmen. Das Problem<lb/> iſt ein viel zu complicirtes, als daß es mit ſo wohlfeilen, von der<lb/> Oberfläche abgeſchöpften Analogien erledigt werden könnte; und vor-<lb/> ſichtigere Vertreter des naturaliſtiſchen Standpunkts, wie z. B.<lb/> Darwin’s Freund und philoſophiſcher Lehrmeiſter Herbert Spencer,<lb/> haben wohlweislich davor gewarnt, den gegenwärtigen Zuſtand wilder<lb/> Völker unbedachtſamerweiſe als Maaßſtab für die allgemeine Ur-<lb/> beſchaffenheit der Menſchheit zu gebrauchen.<note place="foot" n="2)">Vgl. Max <hi rendition="#g">Müller</hi> in den „Hibbert Lectures‟, <hi rendition="#aq">l. c.</hi> (<hi rendition="#aq">III,</hi> 65), der<lb/> dieſe Spencerſche Mahnung zur Vorſicht ganz und gar billigt und an ſeinem Theile<lb/> unterſtützt.</note></p><lb/> <p>Schließlich iſt, was ſchon früher über die thatſächliche Unnach-<lb/> weisbarkeit irgend eines Falles von ſelbſtändigem Sichemporſchwingen<lb/> wilder Jägerſtämme zur Stufe von Hirten- oder Ackerbau-Völkern<lb/> geſagt wurde, hier nochmals in Erinnerung zu bringen. So zahl-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [213/0223]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
wie in ſittlicher und cultureller Hinſicht beſſere Vergangenheit ſpielen
überhaupt im Sagenkreiſe ſo zahlreicher Völker aller Erdtheile eine
Rolle, daß es kaum als ein übereilter Schluß erſcheint, wenn man
ſchon allein auf Grund dieſer nationalen Ueberlieferungen das
Phänomen der Wildheit im Allgemeinen als ein nicht-urſprüngliches
bezeichnet. Nicht urſprüngliche Wildheit, ſondern Verwilderung iſt
das Weſen der heutigen ſ. g. Naturvölker. Dieſelben ſind wahr-
ſcheinlich ohne Ausnahme Repräſentanten nicht jugendlicher Urkraft
ſondern greiſenhafter Verkommenheit und zugleich räubermäßiger Ent-
artung unſeres Geſchlechts. 1) Auf jeden Fall iſt es eine total un-
berechtigte und unwiſſenſchaftliche Verallgemeinerung, deren ſich die-
jenigen ſchuldig machen, welche bei Betrachtung dieſes oder jenes
heutigen „Naturvolks‟ ohne Weiteres in Darwins bekannte Voraus-
ſetzung von der Gleichartigkeit der heutigen Feuerländer mit den
einſtigen Urbewohnern der britiſchen Jnſeln einſtimmen. Das Problem
iſt ein viel zu complicirtes, als daß es mit ſo wohlfeilen, von der
Oberfläche abgeſchöpften Analogien erledigt werden könnte; und vor-
ſichtigere Vertreter des naturaliſtiſchen Standpunkts, wie z. B.
Darwin’s Freund und philoſophiſcher Lehrmeiſter Herbert Spencer,
haben wohlweislich davor gewarnt, den gegenwärtigen Zuſtand wilder
Völker unbedachtſamerweiſe als Maaßſtab für die allgemeine Ur-
beſchaffenheit der Menſchheit zu gebrauchen. 2)
Schließlich iſt, was ſchon früher über die thatſächliche Unnach-
weisbarkeit irgend eines Falles von ſelbſtändigem Sichemporſchwingen
wilder Jägerſtämme zur Stufe von Hirten- oder Ackerbau-Völkern
geſagt wurde, hier nochmals in Erinnerung zu bringen. So zahl-
1) Treffend ſagt J. P. Lange (Ueber die Riſſe und Zerklüftungen der
heutigen Geſellſchaft, 1872, S. 25): „Die Wilden machen ſich untereinander zum
bloßen Wild, und das iſt der Untergung der Menſchheit, nimmermehr ihr Auf-
gang.‟
2) Vgl. Max Müller in den „Hibbert Lectures‟, l. c. (III, 65), der
dieſe Spencerſche Mahnung zur Vorſicht ganz und gar billigt und an ſeinem Theile
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