Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
Flexion einstmalige Agglutination als rohere Urform vorangegangen
sei, der Arier also früher seine sprachlichen Bildungen in der einver-
leibenden Manier der Turanier vollzogen hätte, diese s. Z. von
Bunsen, Max Müller etc. angelegentlich vertretene Meinung ist längst
als unhaltbar dargethan1). Der Arier ist "kein Tatar mit schlechtem
Gedächtniß;" die Sprachen der höchstcultivirten und auch am mäch-
tigsten ausgebreiteten Stämme -- 5--600 Millionen Menschen
umfassend und sowohl Jndo-Europäer als Semiten und Hamiten
oder Nord-Afrikaner in sich schließend -- reichen bis ins graueste
Dunkel der geschichtlichen Vergangenheit zurück, ohne eine sichre Spur
des Vorhergegangenseins niedrigerer Formen erkennen zu geben.
Jhr großentheils so reichgegliederter Bau mit seiner üppigen Form-
fülle und seinen ausgebildeten Flexionsgesetzen nimmt sich ganz wie
eine originale Schöpfung aus. Es könnte vielleicht eher ein Hervor-
gegangensein derartiger einsilbiger Jdiome wie das Chinesische oder
wie die Sprachen Hinterindiens aus solchen vollkommnen Bildungen
wie Sanscrit, Zend, Altgriechisch, Gothisch, behauptet und mit ein-
leuchtenden Beispielen belegt werden, als der umgekehrte Vorgang
einer Entwicklung jener zu diesen. Uebrigens ist speciell das Chinesische,
wenn auch eine einsilbige, doch keineswegs eine besonders primitive,
aus rohen Naturlauten gebildete Sprache, steht vielmehr, entsprechend
dem uralten hohen Culturgrad des chinesischen Volks, seinem ganzen
Charakter nach höher, als die meisten der s. g. agglutinirenden
Sprachen.2) Gerade diese letzteren repräsentiren in vieler Hinsicht
die geistig am tiefsten stehende Stufe und gemahnen besonders stark
an Verwitterungs- oder Verwesungsproducte.

1) So früher schon durch Pott, die Ungleichheit der menschlichen Racen,
S. 202. 242 ff.; weiterhin durch Fick, de Saussure, Brugman, Sayce etc.
Vgl. den Letzteren in der "Academy", 21. June 1879, p. 545.
2) Vgl. die neueren Versuche zur Erweisung einer Ureinheit des Chinesischen
mit den arischen Sprachen; so von Jos. Edkins (China's place in philology
Lond.
1872), von Gustav Schlegel (Sinico-Aryaca, Batavie 1872), von
Wassiliew u. AA. (Ausland 1873, Nr. 32; Gött. Gel.-Anz. 1877, St. 11'
S. 321 ff.).

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Flexion einſtmalige Agglutination als rohere Urform vorangegangen
ſei, der Arier alſo früher ſeine ſprachlichen Bildungen in der einver-
leibenden Manier der Turanier vollzogen hätte, dieſe ſ. Z. von
Bunſen, Max Müller ꝛc. angelegentlich vertretene Meinung iſt längſt
als unhaltbar dargethan1). Der Arier iſt „kein Tatar mit ſchlechtem
Gedächtniß;‟ die Sprachen der höchſtcultivirten und auch am mäch-
tigſten ausgebreiteten Stämme — 5—600 Millionen Menſchen
umfaſſend und ſowohl Jndo-Europäer als Semiten und Hamiten
oder Nord-Afrikaner in ſich ſchließend — reichen bis ins graueſte
Dunkel der geſchichtlichen Vergangenheit zurück, ohne eine ſichre Spur
des Vorhergegangenſeins niedrigerer Formen erkennen zu geben.
Jhr großentheils ſo reichgegliederter Bau mit ſeiner üppigen Form-
fülle und ſeinen ausgebildeten Flexionsgeſetzen nimmt ſich ganz wie
eine originale Schöpfung aus. Es könnte vielleicht eher ein Hervor-
gegangenſein derartiger einſilbiger Jdiome wie das Chineſiſche oder
wie die Sprachen Hinterindiens aus ſolchen vollkommnen Bildungen
wie Sanscrit, Zend, Altgriechiſch, Gothiſch, behauptet und mit ein-
leuchtenden Beiſpielen belegt werden, als der umgekehrte Vorgang
einer Entwicklung jener zu dieſen. Uebrigens iſt ſpeciell das Chineſiſche,
wenn auch eine einſilbige, doch keineswegs eine beſonders primitive,
aus rohen Naturlauten gebildete Sprache, ſteht vielmehr, entſprechend
dem uralten hohen Culturgrad des chineſiſchen Volks, ſeinem ganzen
Charakter nach höher, als die meiſten der ſ. g. agglutinirenden
Sprachen.2) Gerade dieſe letzteren repräſentiren in vieler Hinſicht
die geiſtig am tiefſten ſtehende Stufe und gemahnen beſonders ſtark
an Verwitterungs- oder Verweſungsproducte.

1) So früher ſchon durch Pott, die Ungleichheit der menſchlichen Racen,
S. 202. 242 ff.; weiterhin durch Fick, de Sauſſure, Brugman, Sayce ꝛc.
Vgl. den Letzteren in der „Academy‟, 21. June 1879, p. 545.
2) Vgl. die neueren Verſuche zur Erweiſung einer Ureinheit des Chineſiſchen
mit den ariſchen Sprachen; ſo von Joſ. Edkins (China’s place in philology
Lond.
1872), von Guſtav Schlegel (Sinico-Aryaca, Batavie 1872), von
Waſſiliew u. AA. (Ausland 1873, Nr. 32; Gött. Gel.-Anz. 1877, St. 11’
S. 321 ff.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="185"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturge&#x017F;chichtliche Jn&#x017F;tanzen.</fw><lb/>
Flexion ein&#x017F;tmalige Agglutination als rohere Urform vorangegangen<lb/>
&#x017F;ei, der Arier al&#x017F;o früher &#x017F;eine &#x017F;prachlichen Bildungen in der einver-<lb/>
leibenden Manier der Turanier vollzogen hätte, die&#x017F;e &#x017F;. Z. von<lb/>
Bun&#x017F;en, Max Müller &#xA75B;c. angelegentlich vertretene Meinung i&#x017F;t läng&#x017F;t<lb/>
als unhaltbar dargethan<note place="foot" n="1)">So früher &#x017F;chon durch <hi rendition="#g">Pott,</hi> die Ungleichheit der men&#x017F;chlichen Racen,<lb/>
S. 202. 242 ff.; weiterhin durch <hi rendition="#g">Fick, de Sau&#x017F;&#x017F;ure, Brugman, Sayce</hi> &#xA75B;c.<lb/>
Vgl. den Letzteren in der <hi rendition="#aq">&#x201E;Academy&#x201F;, 21. June 1879, p.</hi> 545.</note>. Der Arier i&#x017F;t &#x201E;kein Tatar mit &#x017F;chlechtem<lb/>
Gedächtniß;&#x201F; die Sprachen der höch&#x017F;tcultivirten und auch am mäch-<lb/>
tig&#x017F;ten ausgebreiteten Stämme &#x2014; 5&#x2014;600 Millionen Men&#x017F;chen<lb/>
umfa&#x017F;&#x017F;end und &#x017F;owohl Jndo-Europäer als Semiten und Hamiten<lb/>
oder Nord-Afrikaner in &#x017F;ich &#x017F;chließend &#x2014; reichen bis ins graue&#x017F;te<lb/>
Dunkel der ge&#x017F;chichtlichen Vergangenheit zurück, ohne eine &#x017F;ichre Spur<lb/>
des Vorhergegangen&#x017F;eins niedrigerer Formen erkennen zu geben.<lb/>
Jhr großentheils &#x017F;o reichgegliederter Bau mit &#x017F;einer üppigen Form-<lb/>
fülle und &#x017F;einen ausgebildeten Flexionsge&#x017F;etzen nimmt &#x017F;ich ganz wie<lb/>
eine originale Schöpfung aus. Es könnte vielleicht eher ein Hervor-<lb/>
gegangen&#x017F;ein derartiger ein&#x017F;ilbiger Jdiome wie das Chine&#x017F;i&#x017F;che oder<lb/>
wie die Sprachen Hinterindiens aus &#x017F;olchen vollkommnen Bildungen<lb/>
wie Sanscrit, Zend, Altgriechi&#x017F;ch, Gothi&#x017F;ch, behauptet und mit ein-<lb/>
leuchtenden Bei&#x017F;pielen belegt werden, als der umgekehrte Vorgang<lb/>
einer Entwicklung jener zu die&#x017F;en. Uebrigens i&#x017F;t &#x017F;peciell das Chine&#x017F;i&#x017F;che,<lb/>
wenn auch eine ein&#x017F;ilbige, doch keineswegs eine be&#x017F;onders primitive,<lb/>
aus rohen Naturlauten gebildete Sprache, &#x017F;teht vielmehr, ent&#x017F;prechend<lb/>
dem uralten hohen Culturgrad des chine&#x017F;i&#x017F;chen Volks, &#x017F;einem ganzen<lb/>
Charakter nach höher, als die mei&#x017F;ten der &#x017F;. g. agglutinirenden<lb/>
Sprachen.<note place="foot" n="2)">Vgl. die neueren Ver&#x017F;uche zur Erwei&#x017F;ung einer Ureinheit des Chine&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
mit den ari&#x017F;chen Sprachen; &#x017F;o von Jo&#x017F;. <hi rendition="#g">Edkins</hi> (<hi rendition="#aq">China&#x2019;s place in philology<lb/>
Lond.</hi> 1872), von Gu&#x017F;tav <hi rendition="#g">Schlegel</hi> (<hi rendition="#aq">Sinico-Aryaca, Batavie</hi> 1872), von<lb/><hi rendition="#g">Wa&#x017F;&#x017F;iliew</hi> u. AA. (Ausland 1873, Nr. 32; Gött. Gel.-Anz. 1877, St. 11&#x2019;<lb/>
S. 321 ff.).</note> Gerade die&#x017F;e letzteren reprä&#x017F;entiren in vieler Hin&#x017F;icht<lb/>
die gei&#x017F;tig am tief&#x017F;ten &#x017F;tehende Stufe und gemahnen be&#x017F;onders &#x017F;tark<lb/>
an Verwitterungs- oder Verwe&#x017F;ungsproducte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0195] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Flexion einſtmalige Agglutination als rohere Urform vorangegangen ſei, der Arier alſo früher ſeine ſprachlichen Bildungen in der einver- leibenden Manier der Turanier vollzogen hätte, dieſe ſ. Z. von Bunſen, Max Müller ꝛc. angelegentlich vertretene Meinung iſt längſt als unhaltbar dargethan 1). Der Arier iſt „kein Tatar mit ſchlechtem Gedächtniß;‟ die Sprachen der höchſtcultivirten und auch am mäch- tigſten ausgebreiteten Stämme — 5—600 Millionen Menſchen umfaſſend und ſowohl Jndo-Europäer als Semiten und Hamiten oder Nord-Afrikaner in ſich ſchließend — reichen bis ins graueſte Dunkel der geſchichtlichen Vergangenheit zurück, ohne eine ſichre Spur des Vorhergegangenſeins niedrigerer Formen erkennen zu geben. Jhr großentheils ſo reichgegliederter Bau mit ſeiner üppigen Form- fülle und ſeinen ausgebildeten Flexionsgeſetzen nimmt ſich ganz wie eine originale Schöpfung aus. Es könnte vielleicht eher ein Hervor- gegangenſein derartiger einſilbiger Jdiome wie das Chineſiſche oder wie die Sprachen Hinterindiens aus ſolchen vollkommnen Bildungen wie Sanscrit, Zend, Altgriechiſch, Gothiſch, behauptet und mit ein- leuchtenden Beiſpielen belegt werden, als der umgekehrte Vorgang einer Entwicklung jener zu dieſen. Uebrigens iſt ſpeciell das Chineſiſche, wenn auch eine einſilbige, doch keineswegs eine beſonders primitive, aus rohen Naturlauten gebildete Sprache, ſteht vielmehr, entſprechend dem uralten hohen Culturgrad des chineſiſchen Volks, ſeinem ganzen Charakter nach höher, als die meiſten der ſ. g. agglutinirenden Sprachen. 2) Gerade dieſe letzteren repräſentiren in vieler Hinſicht die geiſtig am tiefſten ſtehende Stufe und gemahnen beſonders ſtark an Verwitterungs- oder Verweſungsproducte. 1) So früher ſchon durch Pott, die Ungleichheit der menſchlichen Racen, S. 202. 242 ff.; weiterhin durch Fick, de Sauſſure, Brugman, Sayce ꝛc. Vgl. den Letzteren in der „Academy‟, 21. June 1879, p. 545. 2) Vgl. die neueren Verſuche zur Erweiſung einer Ureinheit des Chineſiſchen mit den ariſchen Sprachen; ſo von Joſ. Edkins (China’s place in philology Lond. 1872), von Guſtav Schlegel (Sinico-Aryaca, Batavie 1872), von Waſſiliew u. AA. (Ausland 1873, Nr. 32; Gött. Gel.-Anz. 1877, St. 11’ S. 321 ff.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/195
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/195>, abgerufen am 03.05.2024.