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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
Seelenleben der Mikrocephalen gibt gleichfalls nichts Derartiges
wie einen Rückfall in Lebenseigenthümlichkeiten der Affen als unsrer
angeblichen Urahnen zu erkennen. Und was diese Atavismen-Hypo-
these vollends unmöglich macht, ist das Nichtvorkommen fortzeugungs-
fähiger idiotischer Jndividuen, die Undenkbarkeit, daß es jemals eine
dauerhafte, entwicklungsfähige Race solcher unglücklicher Geschöpfe
gegeben habe oder geben könne. -- Es bliebe sonach in der That
nichts als die Analogie zwischen thierischem und menschlichem Fötal-
leben, der berühmte "embryologische Beweis" der Häckelschen
Anthropogenie, als einigermaßen plausibler Beweis für einen ein-
stigen Thierursprung unsres Geschlechts zurück. Aber freilich was
für ein Beweis! Weil die menschliche Leibesfrucht sich durch ver-
schiedne ähnliche Stadien hindurch entwickelt, wie diejenige höherer
Thier-Embryen, soll der Mensch überhaupt ein Entwicklungsproduct
der Thierwelt sein; die Fötal-Entwicklung soll als eine rasche Durch-
laufung unsrer thierischen Ahnenreihe, die Keimesgeschichte (Ontogenese)
überhaupt als eine Recapitulation der Stammesgeschichte (Phylo-
genese) gelten. Es ist also, in Ermangelung concreter Erfahrungs-
beweise, ein Dogma, ein naturphilosophischer Glaubenssatz, der
hier ins Feld geführt wird! Und zwar ein Dogma, dem gerade
der Altmeister und Begründer der embryologischen Wissenschaft,
K. E. v. Baer (1876) unter Zustimmung von deren angesehensten
noch jetzt lebenden Vertretern (Bischoff, Kölliker, His, Götte, Henke etc.),
jede Gültigkeit absprach, da es immer nur Aehnlichkeiten, nicht Gleich-
heiten seien, was die menschlichen mit den thierischen Embryonal-
zuständen verbinde, ein eigentliches Durchlaufen thierischer Lebens-
Stadien also nicht stattfinde! Es ist bekannt, mittelst welcher
Künste Häckel seinen Lieblingssatz plausibler zu machen und die viel-
fachen Differenzen zwischen den beiden verglichenen Entwicklungs-
reihen zu verkleinern gesucht hat. Statt der erforderlichen empi-
rischen Jnstanzen sind bisher immer nur blendende Scheingründe
von ihm beigebracht worden; nur seichte Cirkelschlüsse, kecke dog-
matische Deductionen haben da, wo jeder Jnductionsbeweis, jeder

V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
Seelenleben der Mikrocephalen gibt gleichfalls nichts Derartiges
wie einen Rückfall in Lebenseigenthümlichkeiten der Affen als unſrer
angeblichen Urahnen zu erkennen. Und was dieſe Atavismen-Hypo-
theſe vollends unmöglich macht, iſt das Nichtvorkommen fortzeugungs-
fähiger idiotiſcher Jndividuen, die Undenkbarkeit, daß es jemals eine
dauerhafte, entwicklungsfähige Race ſolcher unglücklicher Geſchöpfe
gegeben habe oder geben könne. — Es bliebe ſonach in der That
nichts als die Analogie zwiſchen thieriſchem und menſchlichem Fötal-
leben, der berühmte „embryologiſche Beweis‟ der Häckelſchen
Anthropogenie, als einigermaßen plauſibler Beweis für einen ein-
ſtigen Thierurſprung unſres Geſchlechts zurück. Aber freilich was
für ein Beweis! Weil die menſchliche Leibesfrucht ſich durch ver-
ſchiedne ähnliche Stadien hindurch entwickelt, wie diejenige höherer
Thier-Embryen, ſoll der Menſch überhaupt ein Entwicklungsproduct
der Thierwelt ſein; die Fötal-Entwicklung ſoll als eine raſche Durch-
laufung unſrer thieriſchen Ahnenreihe, die Keimesgeſchichte (Ontogeneſe)
überhaupt als eine Recapitulation der Stammesgeſchichte (Phylo-
geneſe) gelten. Es iſt alſo, in Ermangelung concreter Erfahrungs-
beweiſe, ein Dogma, ein naturphiloſophiſcher Glaubensſatz, der
hier ins Feld geführt wird! Und zwar ein Dogma, dem gerade
der Altmeiſter und Begründer der embryologiſchen Wiſſenſchaft,
K. E. v. Baer (1876) unter Zuſtimmung von deren angeſehenſten
noch jetzt lebenden Vertretern (Biſchoff, Kölliker, His, Götte, Henke ꝛc.),
jede Gültigkeit abſprach, da es immer nur Aehnlichkeiten, nicht Gleich-
heiten ſeien, was die menſchlichen mit den thieriſchen Embryonal-
zuſtänden verbinde, ein eigentliches Durchlaufen thieriſcher Lebens-
Stadien alſo nicht ſtattfinde! Es iſt bekannt, mittelſt welcher
Künſte Häckel ſeinen Lieblingsſatz plauſibler zu machen und die viel-
fachen Differenzen zwiſchen den beiden verglichenen Entwicklungs-
reihen zu verkleinern geſucht hat. Statt der erforderlichen empi-
riſchen Jnſtanzen ſind bisher immer nur blendende Scheingründe
von ihm beigebracht worden; nur ſeichte Cirkelſchlüſſe, kecke dog-
matiſche Deductionen haben da, wo jeder Jnductionsbeweis, jeder

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[176/0186] V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. Seelenleben der Mikrocephalen gibt gleichfalls nichts Derartiges wie einen Rückfall in Lebenseigenthümlichkeiten der Affen als unſrer angeblichen Urahnen zu erkennen. Und was dieſe Atavismen-Hypo- theſe vollends unmöglich macht, iſt das Nichtvorkommen fortzeugungs- fähiger idiotiſcher Jndividuen, die Undenkbarkeit, daß es jemals eine dauerhafte, entwicklungsfähige Race ſolcher unglücklicher Geſchöpfe gegeben habe oder geben könne. — Es bliebe ſonach in der That nichts als die Analogie zwiſchen thieriſchem und menſchlichem Fötal- leben, der berühmte „embryologiſche Beweis‟ der Häckelſchen Anthropogenie, als einigermaßen plauſibler Beweis für einen ein- ſtigen Thierurſprung unſres Geſchlechts zurück. Aber freilich was für ein Beweis! Weil die menſchliche Leibesfrucht ſich durch ver- ſchiedne ähnliche Stadien hindurch entwickelt, wie diejenige höherer Thier-Embryen, ſoll der Menſch überhaupt ein Entwicklungsproduct der Thierwelt ſein; die Fötal-Entwicklung ſoll als eine raſche Durch- laufung unſrer thieriſchen Ahnenreihe, die Keimesgeſchichte (Ontogeneſe) überhaupt als eine Recapitulation der Stammesgeſchichte (Phylo- geneſe) gelten. Es iſt alſo, in Ermangelung concreter Erfahrungs- beweiſe, ein Dogma, ein naturphiloſophiſcher Glaubensſatz, der hier ins Feld geführt wird! Und zwar ein Dogma, dem gerade der Altmeiſter und Begründer der embryologiſchen Wiſſenſchaft, K. E. v. Baer (1876) unter Zuſtimmung von deren angeſehenſten noch jetzt lebenden Vertretern (Biſchoff, Kölliker, His, Götte, Henke ꝛc.), jede Gültigkeit abſprach, da es immer nur Aehnlichkeiten, nicht Gleich- heiten ſeien, was die menſchlichen mit den thieriſchen Embryonal- zuſtänden verbinde, ein eigentliches Durchlaufen thieriſcher Lebens- Stadien alſo nicht ſtattfinde! Es iſt bekannt, mittelſt welcher Künſte Häckel ſeinen Lieblingsſatz plauſibler zu machen und die viel- fachen Differenzen zwiſchen den beiden verglichenen Entwicklungs- reihen zu verkleinern geſucht hat. Statt der erforderlichen empi- riſchen Jnſtanzen ſind bisher immer nur blendende Scheingründe von ihm beigebracht worden; nur ſeichte Cirkelſchlüſſe, kecke dog- matiſche Deductionen haben da, wo jeder Jnductionsbeweis, jeder

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/186>, abgerufen am 22.11.2024.