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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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III. Die Traditionen des Heidenthums.
sich. Sie verkennt erstlich das Durchgreifende der stattfindenden
Uebereinstimmungen, welche nicht etwa bloß das einstige Zeitalter
des Glücks und der Unschuld, sondern auch seine nur stück- und
schrittweise stattgehabte Entziehung und dazu so manche besondere
Umstände, wie die langen Lebensalter, das Fortschreiten in Kriegs-
und Friedenskünsten, die Fluthkatastrophe etc. betreffen. Sie würdigt
ferner nicht nach Gebühr den Umstand, daß es Völker der ver-
schiedensten Art, Repräsentanten weit auseinandergehender Aeste des
Menschheitsstammes, semitische und indoeuropäische, dazu turanische,
malaische u. a. Völker sind, bei welchen sich die fraglichen Ueber-
lieferungen als Zeugnisse nicht bloß für ihren gemeinsamen Ursprung,
sondern auch für ihren Urmonotheismus vorfinden. Sie übersieht
nicht minder den Charakter heiliger Reinheit, Ursprünglichkeit und
Nichtentstellung durch naturalistisch mythische Zuthaten sowie nament-
lich durch Züge eitlen Nationalstolzes und hochmüthiger Barbaren-
Verachtung, welcher der biblischen Fassung der Urstandstradition
als unwidersprechliches Zeugniß ihres höheren Ursprungs, ihres
wirklichen Geoffenbartseins, ihres Herrührens aus göttlich über-
machten Erlebnissen, Erinnerungen und Ueberlieferungen eigen ist.1)

Eine noch modernere skeptische Betrachtungsweise sucht die viel-
fachen Uebereinstimmungen, um die es sich handelt, völkerpsycho-
logisch
zu erklären: "die allen Menschen überhaupt gemeinsame
Neigung, die guten alten Zeiten zu loben, die Zustände der Gegen-
wart aber herabzusetzen und möglichst schlecht zu machen, habe die
Paradiesestraditionen hier wie dort, bei Semiten wie bei Ariern,

1) Vgl. Ebrard, Apolog. II, 86: Die Gemeinsamkeit der Sage zwingt zu
dem Schlusse auf die Gemeinsamkeit und Einheit ihres Ursprungs .... Von
den gemeinsamen Vorvätern der semitischen Jsraeliten und der indogermanischen
Eranier uud Jnder ist jene Tradition auf diese verschiednen Völker vererbt wor-
den ... Bei dieser Annahme kommen wir über die Thatsache nicht hinaus,
daß die gemeinsamen Vorfahren der Semiten und der Jndogermanen schon die
Erkenntniß des Einen lebendigen heiligen Gottes und den Glauben an ihn be-
saßen; denn dieser Glaube bildet ja die Grundlage und den Jnhalt jener gemein-
samen Ursage oder Tradition", etc. --

III. Die Traditionen des Heidenthums.
ſich. Sie verkennt erſtlich das Durchgreifende der ſtattfindenden
Uebereinſtimmungen, welche nicht etwa bloß das einſtige Zeitalter
des Glücks und der Unſchuld, ſondern auch ſeine nur ſtück- und
ſchrittweiſe ſtattgehabte Entziehung und dazu ſo manche beſondere
Umſtände, wie die langen Lebensalter, das Fortſchreiten in Kriegs-
und Friedenskünſten, die Fluthkataſtrophe ꝛc. betreffen. Sie würdigt
ferner nicht nach Gebühr den Umſtand, daß es Völker der ver-
ſchiedenſten Art, Repräſentanten weit auseinandergehender Aeſte des
Menſchheitsſtammes, ſemitiſche und indoeuropäiſche, dazu turaniſche,
malaiſche u. a. Völker ſind, bei welchen ſich die fraglichen Ueber-
lieferungen als Zeugniſſe nicht bloß für ihren gemeinſamen Urſprung,
ſondern auch für ihren Urmonotheismus vorfinden. Sie überſieht
nicht minder den Charakter heiliger Reinheit, Urſprünglichkeit und
Nichtentſtellung durch naturaliſtiſch mythiſche Zuthaten ſowie nament-
lich durch Züge eitlen Nationalſtolzes und hochmüthiger Barbaren-
Verachtung, welcher der bibliſchen Faſſung der Urſtandstradition
als unwiderſprechliches Zeugniß ihres höheren Urſprungs, ihres
wirklichen Geoffenbartſeins, ihres Herrührens aus göttlich über-
machten Erlebniſſen, Erinnerungen und Ueberlieferungen eigen iſt.1)

Eine noch modernere ſkeptiſche Betrachtungsweiſe ſucht die viel-
fachen Uebereinſtimmungen, um die es ſich handelt, völkerpſycho-
logiſch
zu erklären: „die allen Menſchen überhaupt gemeinſame
Neigung, die guten alten Zeiten zu loben, die Zuſtände der Gegen-
wart aber herabzuſetzen und möglichſt ſchlecht zu machen, habe die
Paradieſestraditionen hier wie dort, bei Semiten wie bei Ariern,

1) Vgl. Ebrard, Apolog. II, 86: Die Gemeinſamkeit der Sage zwingt zu
dem Schluſſe auf die Gemeinſamkeit und Einheit ihres Urſprungs .... Von
den gemeinſamen Vorvätern der ſemitiſchen Jsraeliten und der indogermaniſchen
Eranier uud Jnder iſt jene Tradition auf dieſe verſchiednen Völker vererbt wor-
den ... Bei dieſer Annahme kommen wir über die Thatſache nicht hinaus,
daß die gemeinſamen Vorfahren der Semiten und der Jndogermanen ſchon die
Erkenntniß des Einen lebendigen heiligen Gottes und den Glauben an ihn be-
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[105/0115] III. Die Traditionen des Heidenthums. ſich. Sie verkennt erſtlich das Durchgreifende der ſtattfindenden Uebereinſtimmungen, welche nicht etwa bloß das einſtige Zeitalter des Glücks und der Unſchuld, ſondern auch ſeine nur ſtück- und ſchrittweiſe ſtattgehabte Entziehung und dazu ſo manche beſondere Umſtände, wie die langen Lebensalter, das Fortſchreiten in Kriegs- und Friedenskünſten, die Fluthkataſtrophe ꝛc. betreffen. Sie würdigt ferner nicht nach Gebühr den Umſtand, daß es Völker der ver- ſchiedenſten Art, Repräſentanten weit auseinandergehender Aeſte des Menſchheitsſtammes, ſemitiſche und indoeuropäiſche, dazu turaniſche, malaiſche u. a. Völker ſind, bei welchen ſich die fraglichen Ueber- lieferungen als Zeugniſſe nicht bloß für ihren gemeinſamen Urſprung, ſondern auch für ihren Urmonotheismus vorfinden. Sie überſieht nicht minder den Charakter heiliger Reinheit, Urſprünglichkeit und Nichtentſtellung durch naturaliſtiſch mythiſche Zuthaten ſowie nament- lich durch Züge eitlen Nationalſtolzes und hochmüthiger Barbaren- Verachtung, welcher der bibliſchen Faſſung der Urſtandstradition als unwiderſprechliches Zeugniß ihres höheren Urſprungs, ihres wirklichen Geoffenbartſeins, ihres Herrührens aus göttlich über- machten Erlebniſſen, Erinnerungen und Ueberlieferungen eigen iſt. 1) Eine noch modernere ſkeptiſche Betrachtungsweiſe ſucht die viel- fachen Uebereinſtimmungen, um die es ſich handelt, völkerpſycho- logiſch zu erklären: „die allen Menſchen überhaupt gemeinſame Neigung, die guten alten Zeiten zu loben, die Zuſtände der Gegen- wart aber herabzuſetzen und möglichſt ſchlecht zu machen, habe die Paradieſestraditionen hier wie dort, bei Semiten wie bei Ariern, 1) Vgl. Ebrard, Apolog. II, 86: Die Gemeinſamkeit der Sage zwingt zu dem Schluſſe auf die Gemeinſamkeit und Einheit ihres Urſprungs .... Von den gemeinſamen Vorvätern der ſemitiſchen Jsraeliten und der indogermaniſchen Eranier uud Jnder iſt jene Tradition auf dieſe verſchiednen Völker vererbt wor- den ... Bei dieſer Annahme kommen wir über die Thatſache nicht hinaus, daß die gemeinſamen Vorfahren der Semiten und der Jndogermanen ſchon die Erkenntniß des Einen lebendigen heiligen Gottes und den Glauben an ihn be- ſaßen; denn dieſer Glaube bildet ja die Grundlage und den Jnhalt jener gemein- ſamen Urſage oder Tradition‟, ꝛc. —

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/115>, abgerufen am 22.11.2024.