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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1732.
CVI. Auf seinen Sohn, Johann Ernst, und
der theuren Knaben Aeltesten, Matth.
Linnern, in Herrnhut.
Der Heyland ist ja noch bey seinem Volck daheim:
Wir haben in der Zeit von deinen Wallfarts-Tagen
Vier Hütten eingelegt (vier Wohnungen von Leim.)
Johann Ernsts kleiner Schutt ist noch nicht weggetra-
gen.
(*)
Diß hatte mir ein Freund zur Nachricht mitgetheilt,
Als ich vor kurtzer Zeit auf Herrnhut zugeeilt.
Jch trat in diesen Ort, der Christi Liebes-Ziel
Und ein Behältniß ist von vielen Gnaden-Zundern.
Jch hemme meinen Trieb, denn was beschreibt ein Kiel,
Von unerkannter Krafft, von unsichtbaren Wundern?
Gnug! daß die Kinderschafft den Vater kennt und küßt,

Der noch so wenigen recht offenbahret ist.
Mein Sohn wird zu dem Rest der Brüderschafft gebracht.
So mancherley Geschäfft verhindert anzuzeigen:
Wie sanfft er ausgeschnaubt, wie lieblich er gelacht,
Als seines Vaters GOtt ihm rieff hinauf zu steigen;
Wie sein Geschwister selbst, das kaum zu lallen pflegt,
Zu seinem letzten Dienst die Zunge (**) munter regt,
Johann Ernst geht dahin, und niemand singt ihm aus,
Darüber wolten sich verschiedene bewegen:
Allein
(*) Das war ungefehr die Erzehlung, welche uns auff der Rück-
Reise zu Budißin entgegen kam.
(**) Als der sel. Joh. Ernst Mine machte zu sterben, weinete die
ältere Tochter; Jhr Bruder aber von vier und ein halb Jahr
fragte sie: Was weinest du? Sie antwortete: Daß mein
Bruder stirbr. Da sagte er: Er stirbet ja nicht, ob man
schon so spricht, sein Elend stirbt nur. Und als das Kind
den Tag vor seinem Ende viel ausstand, gieng die kleinste
Tochter von anderthalb Jahren um die Wiege herum, und
sang gantz anmutbig und vernehmlich: Stilles Lämmlein,
frommes Schäflein, anders kans nicht seyn auf Erden, mor-
gen wird es besser werden.
1732.
CVI. Auf ſeinen Sohn, Johann Ernſt, und
der theuren Knaben Aelteſten, Matth.
Linnern, in Herrnhut.
Der Heyland iſt ja noch bey ſeinem Volck daheim:
Wir haben in der Zeit von deinen Wallfarts-Tagen
Vier Huͤtten eingelegt (vier Wohnungen von Leim.)
Johann Ernſts kleiner Schutt iſt noch nicht weggetra-
gen.
(*)
Diß hatte mir ein Freund zur Nachricht mitgetheilt,
Als ich vor kurtzer Zeit auf Herrnhut zugeeilt.
Jch trat in dieſen Ort, der Chriſti Liebes-Ziel
Und ein Behaͤltniß iſt von vielen Gnaden-Zundern.
Jch hemme meinen Trieb, denn was beſchreibt ein Kiel,
Von unerkannter Krafft, von unſichtbaren Wundern?
Gnug! daß die Kinderſchafft den Vater kennt und kuͤßt,

Der noch ſo wenigen recht offenbahret iſt.
Mein Sohn wird zu dem Reſt der Bruͤderſchafft gebracht.
So mancherley Geſchaͤfft verhindert anzuzeigen:
Wie ſanfft er ausgeſchnaubt, wie lieblich er gelacht,
Als ſeines Vaters GOtt ihm rieff hinauf zu ſteigen;
Wie ſein Geſchwiſter ſelbſt, das kaum zu lallen pflegt,
Zu ſeinem letzten Dienſt die Zunge (**) munter regt,
Johann Ernſt geht dahin, und niemand ſingt ihm aus,
Daruͤber wolten ſich verſchiedene bewegen:
Allein
(*) Das war ungefehr die Erzehlung, welche uns auff der Ruͤck-
Reiſe zu Budißin entgegen kam.
(**) Als der ſel. Joh. Ernſt Mine machte zu ſterben, weinete die
aͤltere Tochter; Jhr Bruder aber von vier und ein halb Jahr
fragte ſie: Was weineſt du? Sie antwortete: Daß mein
Bruder ſtirbr. Da ſagte er: Er ſtirbet ja nicht, ob man
ſchon ſo ſpricht, ſein Elend ſtirbt nur. Und als das Kind
den Tag vor ſeinem Ende viel ausſtand, gieng die kleinſte
Tochter von anderthalb Jahren um die Wiege herum, und
ſang gantz anmutbig und vernehmlich: Stilles Laͤmmlein,
frommes Schaͤflein, anders kans nicht ſeyn auf Erden, mor-
gen wird es beſſer werden.
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[254/0264] 1732. CVI. Auf ſeinen Sohn, Johann Ernſt, und der theuren Knaben Aelteſten, Matth. Linnern, in Herrnhut. Der Heyland iſt ja noch bey ſeinem Volck daheim: Wir haben in der Zeit von deinen Wallfarts-Tagen Vier Huͤtten eingelegt (vier Wohnungen von Leim.) Johann Ernſts kleiner Schutt iſt noch nicht weggetra- gen. (*) Diß hatte mir ein Freund zur Nachricht mitgetheilt, Als ich vor kurtzer Zeit auf Herrnhut zugeeilt. Jch trat in dieſen Ort, der Chriſti Liebes-Ziel Und ein Behaͤltniß iſt von vielen Gnaden-Zundern. Jch hemme meinen Trieb, denn was beſchreibt ein Kiel, Von unerkannter Krafft, von unſichtbaren Wundern? Gnug! daß die Kinderſchafft den Vater kennt und kuͤßt, Der noch ſo wenigen recht offenbahret iſt. Mein Sohn wird zu dem Reſt der Bruͤderſchafft gebracht. So mancherley Geſchaͤfft verhindert anzuzeigen: Wie ſanfft er ausgeſchnaubt, wie lieblich er gelacht, Als ſeines Vaters GOtt ihm rieff hinauf zu ſteigen; Wie ſein Geſchwiſter ſelbſt, das kaum zu lallen pflegt, Zu ſeinem letzten Dienſt die Zunge (**) munter regt, Johann Ernſt geht dahin, und niemand ſingt ihm aus, Daruͤber wolten ſich verſchiedene bewegen: Allein (*) Das war ungefehr die Erzehlung, welche uns auff der Ruͤck- Reiſe zu Budißin entgegen kam. (**) Als der ſel. Joh. Ernſt Mine machte zu ſterben, weinete die aͤltere Tochter; Jhr Bruder aber von vier und ein halb Jahr fragte ſie: Was weineſt du? Sie antwortete: Daß mein Bruder ſtirbr. Da ſagte er: Er ſtirbet ja nicht, ob man ſchon ſo ſpricht, ſein Elend ſtirbt nur. Und als das Kind den Tag vor ſeinem Ende viel ausſtand, gieng die kleinſte Tochter von anderthalb Jahren um die Wiege herum, und ſang gantz anmutbig und vernehmlich: Stilles Laͤmmlein, frommes Schaͤflein, anders kans nicht ſeyn auf Erden, mor- gen wird es beſſer werden.

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/264>, abgerufen am 25.11.2024.