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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1731.
Daß sie ihr gesegnet Korn ohne nasse Augen streuen.
Halten sie nicht dieses Leben vor die rechte Thränen-Saat,
Und hingegen das Verscheiden vor den ersten Freuden-Grad?
Warlich! wer nur Herrnhut kennt, diese hingewagte Hütte,
Und giebt achtung auf das Volck, und auf alle seine Tritte;
Der wird, (hat er offne Augen,) ohne grosse Mühe sehn,
Daß uns mit der Heim-Beruffung eine Gnade kan geschehn.
Gehe hin, du Volck des HErrn, und verschleuß dich vor dem
Jammer,

(Daß man Sünde sehen muß,) in die lustge Hutbergs-Kam-
mer,

Warte, biß der Wiederbringer von dem stoltzen Bogen rufft:
Judith! Gürge! Paul! Rosine! kommt ihr Tauben aus
der Klufft!

Aber, wo gerath ich hin, unbefleckte Friedens-Geister!
Laßt die morschen Hütten ruhn, übergebt sie ihrem Meister,
Unser Freund ist unser Schmeltzer, wer vertraute dem nicht gern?
Lernt: Das ausserm Leibe wallen, und daheim seyn bey
dem HErrn.

Aber ehe wir uns noch, Auserwehlte! gäntzlich scheiden,
Jhr dahin zieht in die Ruh, wir zurück gehn in die Leiden,
Ehe wir die Ancker lichten, und verlassen euren Port;
Lasset uns ein Angedencken, gebet uns ein Losung Wort:
Judith Kunertin. (*)
Jch habe meinen Freund gesehn,
Er war noch schöner als ich dachte:
Wie ist mir doch so wohl geschehn,
Daß ich mich an die Liebe machte?
Sie stösset niemanden zurück,
Vielmehr erbarmt sie sich der Armen:
Und
(*) Eine Jungfrau von 50. Jahren, welche in einer beständigen
Treue gegen ihren Heyland gelebet hat, von dem ersten Au-
genblick ihrer Bekehrung an, die im August 1728. vorgegangen.
Sie lebte aber in einer unverrückten Befriedigung mit dem
Heylande, und war ihr immer wohl in der Gelassenheit; fragte
man sie in ihrer letzten Kranckheit, wie ihr sey, so war ihre Ant-
wort: Die Liebe decket mich.
Q
1731.
Daß ſie ihr geſegnet Korn ohne naſſe Augen ſtreuen.
Halten ſie nicht dieſes Leben vor die rechte Thraͤnen-Saat,
Und hingegen das Verſcheiden vor den erſten Freuden-Grad?
Warlich! wer nur Herrnhut kennt, dieſe hingewagte Huͤtte,
Und giebt achtung auf das Volck, und auf alle ſeine Tritte;
Der wird, (hat er offne Augen,) ohne groſſe Muͤhe ſehn,
Daß uns mit der Heim-Beruffung eine Gnade kan geſchehn.
Gehe hin, du Volck des HErrn, und verſchleuß dich vor dem
Jammer,

(Daß man Suͤnde ſehen muß,) in die luſtge Hutbergs-Kam-
mer,

Warte, biß der Wiederbringer von dem ſtoltzen Bogen rufft:
Judith! Guͤrge! Paul! Roſine! kommt ihr Tauben aus
der Klufft!

Aber, wo gerath ich hin, unbefleckte Friedens-Geiſter!
Laßt die morſchen Huͤtten ruhn, uͤbergebt ſie ihrem Meiſter,
Unſer Freund iſt unſer Schmeltzer, wer vertraute dem nicht gern?
Lernt: Das auſſerm Leibe wallen, und daheim ſeyn bey
dem HErrn.

Aber ehe wir uns noch, Auserwehlte! gaͤntzlich ſcheiden,
Jhr dahin zieht in die Ruh, wir zuruͤck gehn in die Leiden,
Ehe wir die Ancker lichten, und verlaſſen euren Port;
Laſſet uns ein Angedencken, gebet uns ein Loſung Wort:
Judith Kunertin. (*)
Jch habe meinen Freund geſehn,
Er war noch ſchoͤner als ich dachte:
Wie iſt mir doch ſo wohl geſchehn,
Daß ich mich an die Liebe machte?
Sie ſtoͤſſet niemanden zuruͤck,
Vielmehr erbarmt ſie ſich der Armen:
Und
(*) Eine Jungfrau von 50. Jahren, welche in einer beſtaͤndigen
Treue gegen ihren Heyland gelebet hat, von dem erſten Au-
genblick ihrer Bekehrung an, die im Auguſt 1728. vorgegangen.
Sie lebte aber in einer unverruͤckten Befriedigung mit dem
Heylande, und war ihr immer wohl in der Gelaſſenheit; fragte
man ſie in ihrer letzten Kranckheit, wie ihr ſey, ſo war ihre Ant-
wort: Die Liebe decket mich.
Q
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[141[241]/0251] 1731. Daß ſie ihr geſegnet Korn ohne naſſe Augen ſtreuen. Halten ſie nicht dieſes Leben vor die rechte Thraͤnen-Saat, Und hingegen das Verſcheiden vor den erſten Freuden-Grad? Warlich! wer nur Herrnhut kennt, dieſe hingewagte Huͤtte, Und giebt achtung auf das Volck, und auf alle ſeine Tritte; Der wird, (hat er offne Augen,) ohne groſſe Muͤhe ſehn, Daß uns mit der Heim-Beruffung eine Gnade kan geſchehn. Gehe hin, du Volck des HErrn, und verſchleuß dich vor dem Jammer, (Daß man Suͤnde ſehen muß,) in die luſtge Hutbergs-Kam- mer, Warte, biß der Wiederbringer von dem ſtoltzen Bogen rufft: Judith! Guͤrge! Paul! Roſine! kommt ihr Tauben aus der Klufft! Aber, wo gerath ich hin, unbefleckte Friedens-Geiſter! Laßt die morſchen Huͤtten ruhn, uͤbergebt ſie ihrem Meiſter, Unſer Freund iſt unſer Schmeltzer, wer vertraute dem nicht gern? Lernt: Das auſſerm Leibe wallen, und daheim ſeyn bey dem HErrn. Aber ehe wir uns noch, Auserwehlte! gaͤntzlich ſcheiden, Jhr dahin zieht in die Ruh, wir zuruͤck gehn in die Leiden, Ehe wir die Ancker lichten, und verlaſſen euren Port; Laſſet uns ein Angedencken, gebet uns ein Loſung Wort: Judith Kunertin. (*) Jch habe meinen Freund geſehn, Er war noch ſchoͤner als ich dachte: Wie iſt mir doch ſo wohl geſchehn, Daß ich mich an die Liebe machte? Sie ſtoͤſſet niemanden zuruͤck, Vielmehr erbarmt ſie ſich der Armen: Und (*) Eine Jungfrau von 50. Jahren, welche in einer beſtaͤndigen Treue gegen ihren Heyland gelebet hat, von dem erſten Au- genblick ihrer Bekehrung an, die im Auguſt 1728. vorgegangen. Sie lebte aber in einer unverruͤckten Befriedigung mit dem Heylande, und war ihr immer wohl in der Gelaſſenheit; fragte man ſie in ihrer letzten Kranckheit, wie ihr ſey, ſo war ihre Ant- wort: Die Liebe decket mich. Q

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 141[241]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/251>, abgerufen am 25.11.2024.