Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.1725. Vermeynte wohl ein Mann von ungeübten Sinnen,Bey mancher Prediger geschminckten Künsteley, Und bey der Hörenden verächtlichen Beginnen; Obs auch der pure Ernst mit allen beyden sey? Und dennoch kommet man bey nahe ins Gedränge, Wenn ein geweyhter Tag mit anzusehen ist. Wer ists? Wem dienet sie, die ungeheure Menge? Sie dient: Sie nennet sich nach einem: JEsus Christ. Nach JEsu? Das ist der, von dem auch Feinde sagten: Er sey ein freundlicher, ein angenehmer Mann; Er thu den Bösen guts, er helffe den Geplagten, Und niemand sehe ihm was ungeschicktes an. Wer aber seyn denn die, so sich nach JEsu heissen? Der eine liegt und schläft, der andre frißt und säuft; Der dritte möchte sich mit allen Menschen schmeissen; Jndem der vierdte Geld und Gut zusammen häuft. Hier seh' ich Gleichnisse von so viel fremden Thieren; Hier dächt ich nimmermehr ein rechtes Menschen-Bild Geschweige JEsu Sinn und Wesen aus zu spüren, Nächst diesen ist die Welt mit Narren angefüllt. Wie geht es immer zu? Kommt etwa JEsu Wandel Den armen Sterblichen zu unbegreiflich für? Gewiß, wo dieses nicht ein ungereimter Handel, Daß JEsus immer spricht: Jhr Menschen lernt von mir, Und hat es unser HErr nicht allzu hoch getrieben; Man solte in der That auch andre Christen sehn. Drum ist bey mir der Schluß nach allen übrig blieben: Dem JEsu Schritt vor Schritt in Schwachheit nach zugehn. Wird sich nun dermaleins vor seinem Richtstuhl zeigen, Daß ich die Säyte so, wie er, zu hoch gespannt: So kan ich mich vor ihm in muntrer Demuth neigen Und sprechen: Also hab ich deinen Sinn erkannt. Jhr, die ihr feste glaubt: Das Christenthum seyn Grillen, Und sprecht so gerne Hohn dem Zeuge Jsrael, Fehlts euch nicht überhaupt an einem guten Willen; So ist noch Rath vor euch, errettet eure Seel! Hebt eure Augen auf, und sehet auf die Hunde, Vielleicht erblickt ihr auch ein wohlgeartet Lamm, Und G 3
1725. Vermeynte wohl ein Mann von ungeuͤbten Sinnen,Bey mancher Prediger geſchminckten Kuͤnſteley, Und bey der Hoͤrenden veraͤchtlichen Beginnen; Obs auch der pure Ernſt mit allen beyden ſey? Und dennoch kommet man bey nahe ins Gedraͤnge, Wenn ein geweyhter Tag mit anzuſehen iſt. Wer iſts? Wem dienet ſie, die ungeheure Menge? Sie dient: Sie nennet ſich nach einem: JEſus Chriſt. Nach JEſu? Das iſt der, von dem auch Feinde ſagten: Er ſey ein freundlicher, ein angenehmer Mann; Er thu den Boͤſen guts, er helffe den Geplagten, Und niemand ſehe ihm was ungeſchicktes an. Wer aber ſeyn denn die, ſo ſich nach JEſu heiſſen? Der eine liegt und ſchlaͤft, der andre frißt und ſaͤuft; Der dritte moͤchte ſich mit allen Menſchen ſchmeiſſen; Jndem der vierdte Geld und Gut zuſammen haͤuft. Hier ſeh’ ich Gleichniſſe von ſo viel fremden Thieren; Hier daͤcht ich nimmermehr ein rechtes Menſchen-Bild Geſchweige JEſu Sinn und Weſen aus zu ſpuͤren, Naͤchſt dieſen iſt die Welt mit Narren angefuͤllt. Wie geht es immer zu? Kommt etwa JEſu Wandel Den armen Sterblichen zu unbegreiflich fuͤr? Gewiß, wo dieſes nicht ein ungereimter Handel, Daß JEſus immer ſpricht: Jhr Menſchen lernt von mir, Und hat es unſer HErr nicht allzu hoch getrieben; Man ſolte in der That auch andre Chriſten ſehn. Drum iſt bey mir der Schluß nach allen uͤbrig blieben: Dem JEſu Schritt vor Schritt in Schwachheit nach zugehn. Wird ſich nun dermaleins vor ſeinem Richtſtuhl zeigen, Daß ich die Saͤyte ſo, wie er, zu hoch geſpannt: So kan ich mich vor ihm in muntrer Demuth neigen Und ſprechen: Alſo hab ich deinen Sinn erkannt. Jhr, die ihr feſte glaubt: Das Chriſtenthum ſeyn Grillen, Und ſprecht ſo gerne Hohn dem Zeuge Jſrael, Fehlts euch nicht uͤberhaupt an einem guten Willen; So iſt noch Rath vor euch, errettet eure Seel! Hebt eure Augen auf, und ſehet auf die Hunde, Vielleicht erblickt ihr auch ein wohlgeartet Lamm, Und G 3
<TEI> <text> <body> <div> <lg type="poem"> <pb facs="#f0111" n="101"/> <fw place="top" type="header">1725.</fw><lb/> <l>Vermeynte wohl ein Mann von ungeuͤbten Sinnen,</l><lb/> <l>Bey mancher Prediger geſchminckten Kuͤnſteley,</l><lb/> <l>Und bey der Hoͤrenden veraͤchtlichen Beginnen;</l><lb/> <l>Obs auch der pure Ernſt mit allen beyden ſey?</l><lb/> <l>Und dennoch kommet man bey nahe ins Gedraͤnge,</l><lb/> <l>Wenn ein geweyhter Tag mit anzuſehen iſt.</l><lb/> <l>Wer iſts? Wem dienet ſie, die ungeheure Menge?</l><lb/> <l>Sie dient: Sie nennet ſich nach einem: <hi rendition="#fr">JEſus Chriſt.</hi></l><lb/> <l>Nach JEſu? Das iſt der, von dem auch Feinde ſagten:</l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Er ſey ein freundlicher, ein angenehmer Mann;</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Er thu den Boͤſen guts, er helffe den Geplagten,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Und niemand ſehe ihm was ungeſchicktes an.</hi> </l><lb/> <l>Wer aber ſeyn denn die, ſo ſich nach JEſu heiſſen?</l><lb/> <l>Der eine liegt und ſchlaͤft, der andre frißt und ſaͤuft;</l><lb/> <l>Der dritte moͤchte ſich mit allen Menſchen ſchmeiſſen;</l><lb/> <l>Jndem der vierdte Geld und Gut zuſammen haͤuft.</l><lb/> <l>Hier ſeh’ ich Gleichniſſe von ſo viel fremden Thieren;</l><lb/> <l>Hier daͤcht ich nimmermehr ein rechtes Menſchen-Bild</l><lb/> <l>Geſchweige JEſu Sinn und Weſen aus zu ſpuͤren,</l><lb/> <l>Naͤchſt dieſen iſt die Welt mit Narren angefuͤllt.</l><lb/> <l>Wie geht es immer zu? Kommt etwa JEſu Wandel</l><lb/> <l>Den armen Sterblichen zu unbegreiflich fuͤr?</l><lb/> <l>Gewiß, wo dieſes nicht ein ungereimter Handel,</l><lb/> <l>Daß JEſus immer ſpricht: <hi rendition="#fr">Jhr Menſchen lernt von mir,</hi></l><lb/> <l>Und hat es unſer HErr nicht allzu hoch getrieben;</l><lb/> <l>Man ſolte in der That auch andre Chriſten ſehn.</l><lb/> <l>Drum iſt bey mir der Schluß nach allen uͤbrig blieben:</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">Dem JEſu</hi> Schritt vor Schritt in Schwachheit nach zugehn.</l><lb/> <l>Wird ſich nun dermaleins vor ſeinem Richtſtuhl zeigen,</l><lb/> <l>Daß ich die Saͤyte ſo, wie er, zu hoch geſpannt:</l><lb/> <l>So kan ich mich vor ihm in muntrer Demuth neigen</l><lb/> <l>Und ſprechen: <hi rendition="#fr">Alſo hab ich deinen Sinn erkannt.</hi></l><lb/> <l>Jhr, die ihr feſte glaubt: Das Chriſtenthum ſeyn Grillen,</l><lb/> <l>Und ſprecht ſo gerne Hohn dem Zeuge Jſrael,</l><lb/> <l>Fehlts euch nicht uͤberhaupt an einem guten Willen;</l><lb/> <l>So iſt noch Rath vor euch, <hi rendition="#fr">errettet eure Seel!</hi></l><lb/> <l>Hebt eure Augen auf, und ſehet auf die Hunde,</l><lb/> <l>Vielleicht erblickt ihr auch ein wohlgeartet Lamm,</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [101/0111]
1725.
Vermeynte wohl ein Mann von ungeuͤbten Sinnen,
Bey mancher Prediger geſchminckten Kuͤnſteley,
Und bey der Hoͤrenden veraͤchtlichen Beginnen;
Obs auch der pure Ernſt mit allen beyden ſey?
Und dennoch kommet man bey nahe ins Gedraͤnge,
Wenn ein geweyhter Tag mit anzuſehen iſt.
Wer iſts? Wem dienet ſie, die ungeheure Menge?
Sie dient: Sie nennet ſich nach einem: JEſus Chriſt.
Nach JEſu? Das iſt der, von dem auch Feinde ſagten:
Er ſey ein freundlicher, ein angenehmer Mann;
Er thu den Boͤſen guts, er helffe den Geplagten,
Und niemand ſehe ihm was ungeſchicktes an.
Wer aber ſeyn denn die, ſo ſich nach JEſu heiſſen?
Der eine liegt und ſchlaͤft, der andre frißt und ſaͤuft;
Der dritte moͤchte ſich mit allen Menſchen ſchmeiſſen;
Jndem der vierdte Geld und Gut zuſammen haͤuft.
Hier ſeh’ ich Gleichniſſe von ſo viel fremden Thieren;
Hier daͤcht ich nimmermehr ein rechtes Menſchen-Bild
Geſchweige JEſu Sinn und Weſen aus zu ſpuͤren,
Naͤchſt dieſen iſt die Welt mit Narren angefuͤllt.
Wie geht es immer zu? Kommt etwa JEſu Wandel
Den armen Sterblichen zu unbegreiflich fuͤr?
Gewiß, wo dieſes nicht ein ungereimter Handel,
Daß JEſus immer ſpricht: Jhr Menſchen lernt von mir,
Und hat es unſer HErr nicht allzu hoch getrieben;
Man ſolte in der That auch andre Chriſten ſehn.
Drum iſt bey mir der Schluß nach allen uͤbrig blieben:
Dem JEſu Schritt vor Schritt in Schwachheit nach zugehn.
Wird ſich nun dermaleins vor ſeinem Richtſtuhl zeigen,
Daß ich die Saͤyte ſo, wie er, zu hoch geſpannt:
So kan ich mich vor ihm in muntrer Demuth neigen
Und ſprechen: Alſo hab ich deinen Sinn erkannt.
Jhr, die ihr feſte glaubt: Das Chriſtenthum ſeyn Grillen,
Und ſprecht ſo gerne Hohn dem Zeuge Jſrael,
Fehlts euch nicht uͤberhaupt an einem guten Willen;
So iſt noch Rath vor euch, errettet eure Seel!
Hebt eure Augen auf, und ſehet auf die Hunde,
Vielleicht erblickt ihr auch ein wohlgeartet Lamm,
Und
G 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |