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Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Was Ihr mir in Einer Sache unrecht gethan, dürfen wir nicht berühren. Wie ich gehandelt, habe ich freiwillig gehandelt, und wenn ein Herz gebrochen ist vor Scham und Gram, so wißt Ihr, welches. Ich bin verheirathet gewesen, aber mit meiner leiblichen Mutter könnte ich nicht keuscher leben. Das wenigstens sollt Ihr wissen, Herr Justizrath, Ihr sollt wissen, daß geringe Leute auch Ehre haben. --

O Gott! stammelte der Justizrath, warum habe ich in den Tag hineingelebt, welche Quelle von Segen war mir aufgeschlossen in meinem Amte, welche Schätze in den Herzen der Unterthanen und Armen, die ich nicht zu heben verstand. Ich glaubte mich vornehm und war gemein, ich hielt mich für gebildet und war roh. --

Ja, das ist es, unterbrach ihn der Müller, und das werden alle Diejenigen zu spät erkennen, die in Eurer Lage sind. Es kann der Welt gehen, wie uns Beiden, daß der Arme mit dem Reichen untergeht, der Gedrückte mit seinem Verfolger. --

Es ist wahr, ich habe Euch verfolgt; ich weiß selbst kaum, weßhalb, ich glaube, weil ich mich vor Euch schämte; denn es war mir immer, als läse ich in Eurer Miene: die Leute bücken sich vor ihm wüßten sie nur, welch ein Schurke er ist. --

So arg habe ich nie gedacht, sagte der Müller, aber ich habe Eure Schwäche verachtet; denn ich weiß, daß der Actuarius es war, der Euch bewog, mich ins Zuchthaus zu bringen.

Was Ihr mir in Einer Sache unrecht gethan, dürfen wir nicht berühren. Wie ich gehandelt, habe ich freiwillig gehandelt, und wenn ein Herz gebrochen ist vor Scham und Gram, so wißt Ihr, welches. Ich bin verheirathet gewesen, aber mit meiner leiblichen Mutter könnte ich nicht keuscher leben. Das wenigstens sollt Ihr wissen, Herr Justizrath, Ihr sollt wissen, daß geringe Leute auch Ehre haben. —

O Gott! stammelte der Justizrath, warum habe ich in den Tag hineingelebt, welche Quelle von Segen war mir aufgeschlossen in meinem Amte, welche Schätze in den Herzen der Unterthanen und Armen, die ich nicht zu heben verstand. Ich glaubte mich vornehm und war gemein, ich hielt mich für gebildet und war roh. —

Ja, das ist es, unterbrach ihn der Müller, und das werden alle Diejenigen zu spät erkennen, die in Eurer Lage sind. Es kann der Welt gehen, wie uns Beiden, daß der Arme mit dem Reichen untergeht, der Gedrückte mit seinem Verfolger. —

Es ist wahr, ich habe Euch verfolgt; ich weiß selbst kaum, weßhalb, ich glaube, weil ich mich vor Euch schämte; denn es war mir immer, als läse ich in Eurer Miene: die Leute bücken sich vor ihm wüßten sie nur, welch ein Schurke er ist. —

So arg habe ich nie gedacht, sagte der Müller, aber ich habe Eure Schwäche verachtet; denn ich weiß, daß der Actuarius es war, der Euch bewog, mich ins Zuchthaus zu bringen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/65>, abgerufen am 05.05.2024.