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Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ger Mensch war bei ihm, dem er leise einige Worte sagte, und der dann mit der größten Eile davonlief. Das wird eine Hetze geben, sagte er. Die armen Leute haben so oft in Schnee und Eis die Schonungen zu Hofe abtreiben müssen; jetzt kommen einmal die Jäger dran. Und du, alter Schlaukopf da oben auf deinem Mühlenbock mit deinem "Schutz unter deinem Dach", warte nur noch ein Paar Stunden, und ich will dir die Tollheit austreiben, die du von dem Lehrer gelernt, und von der Gastlichkeit der Wilden. Leid's soll dir nicht geschehen, aber du sollst deine Noth haben. Der Schmied ist nicht so dumm, wie er aussieht! --

Er schlich ums Müllerhaus herum. Die Hunde kannten ihn wie seine eigenen, und er konnte sich dicht an die Mauer legen. Der Müller war schon von der Mühle herab, wo der Bursche schaffte, und er hörte bald lebhaftes Gespräch.

Ich danke Ihnen, Herr Justizrath, sagte der Müller, für Ihr Zutrauen in meinen Edelmuth, wie Sie sagen; aber ich wollte, Sie hätten dies Zutrauen nicht gehabt, Sie sagen mir, daß Marie Sie veranlaßt habe, bei mir sich zu verbergen, und gerade weil diese es gethan, setzte er etwas leiser hinzu, will ich nicht dazwischen treten. Der Mensch denkt und Gott lenkt, vielleicht haben Sie über Gottes Wege jetzt allerhand Gedanken, die zum Guten führen können. Auch dem Kleinsten soll man nicht Unrecht thun, und der Schwächste kann uns Gutes erweisen. Des Menschen Sünde kann

ger Mensch war bei ihm, dem er leise einige Worte sagte, und der dann mit der größten Eile davonlief. Das wird eine Hetze geben, sagte er. Die armen Leute haben so oft in Schnee und Eis die Schonungen zu Hofe abtreiben müssen; jetzt kommen einmal die Jäger dran. Und du, alter Schlaukopf da oben auf deinem Mühlenbock mit deinem „Schutz unter deinem Dach“, warte nur noch ein Paar Stunden, und ich will dir die Tollheit austreiben, die du von dem Lehrer gelernt, und von der Gastlichkeit der Wilden. Leid's soll dir nicht geschehen, aber du sollst deine Noth haben. Der Schmied ist nicht so dumm, wie er aussieht! —

Er schlich ums Müllerhaus herum. Die Hunde kannten ihn wie seine eigenen, und er konnte sich dicht an die Mauer legen. Der Müller war schon von der Mühle herab, wo der Bursche schaffte, und er hörte bald lebhaftes Gespräch.

Ich danke Ihnen, Herr Justizrath, sagte der Müller, für Ihr Zutrauen in meinen Edelmuth, wie Sie sagen; aber ich wollte, Sie hätten dies Zutrauen nicht gehabt, Sie sagen mir, daß Marie Sie veranlaßt habe, bei mir sich zu verbergen, und gerade weil diese es gethan, setzte er etwas leiser hinzu, will ich nicht dazwischen treten. Der Mensch denkt und Gott lenkt, vielleicht haben Sie über Gottes Wege jetzt allerhand Gedanken, die zum Guten führen können. Auch dem Kleinsten soll man nicht Unrecht thun, und der Schwächste kann uns Gutes erweisen. Des Menschen Sünde kann

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[0050] ger Mensch war bei ihm, dem er leise einige Worte sagte, und der dann mit der größten Eile davonlief. Das wird eine Hetze geben, sagte er. Die armen Leute haben so oft in Schnee und Eis die Schonungen zu Hofe abtreiben müssen; jetzt kommen einmal die Jäger dran. Und du, alter Schlaukopf da oben auf deinem Mühlenbock mit deinem „Schutz unter deinem Dach“, warte nur noch ein Paar Stunden, und ich will dir die Tollheit austreiben, die du von dem Lehrer gelernt, und von der Gastlichkeit der Wilden. Leid's soll dir nicht geschehen, aber du sollst deine Noth haben. Der Schmied ist nicht so dumm, wie er aussieht! — Er schlich ums Müllerhaus herum. Die Hunde kannten ihn wie seine eigenen, und er konnte sich dicht an die Mauer legen. Der Müller war schon von der Mühle herab, wo der Bursche schaffte, und er hörte bald lebhaftes Gespräch. Ich danke Ihnen, Herr Justizrath, sagte der Müller, für Ihr Zutrauen in meinen Edelmuth, wie Sie sagen; aber ich wollte, Sie hätten dies Zutrauen nicht gehabt, Sie sagen mir, daß Marie Sie veranlaßt habe, bei mir sich zu verbergen, und gerade weil diese es gethan, setzte er etwas leiser hinzu, will ich nicht dazwischen treten. Der Mensch denkt und Gott lenkt, vielleicht haben Sie über Gottes Wege jetzt allerhand Gedanken, die zum Guten führen können. Auch dem Kleinsten soll man nicht Unrecht thun, und der Schwächste kann uns Gutes erweisen. Des Menschen Sünde kann

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/50>, abgerufen am 19.04.2024.