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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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Bedingungen von den Stimmen der Sozialisten abhinge: so glaube ich,
daß viele von ihnen recht geneigt sein würden, betreffs der Frauen
den Unterschied zu erneuern, der 1791 zwischen den aktiven
Bürgern
und den passiven Bürgern gemacht worden ist.

Man behauptet, daß die ungeheure Mehrzahl der Frauen das
Wahlrecht nicht verlangten; daß sie auf seinen Gebrauch nicht vorbereitet
sind; daß betreffs der politischen Emanzipation des weiblichen Geschlechts
etappenweise vorgegangen werden müsse, so daß man den Frauen z. B.
zuerst das Wahlrecht zu den Gewerbeschiedsgerichten und den lokalen
Verwaltungskörperschaften einräumen solle.

Alles das enthält sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber man ver-
gesse nicht, daß vor 1848 genau die gleichen Bedenken gegen das all-
gemeine Männerwahlrecht geltend gemacht worden sind. Die Arbeiter
verlangten das Wahlrecht nicht, hieß es, sie ermangelten der politischen
Schulung; ihre politische Gleichberechtigung müsse langsam und stufen-
weise erfolgen.

Jm Grunde wird die betreffende Argumentation von einem Hinter-
gedanken, von einer Besorgnis beherrscht. Man befürchtet, daß die Zu-
erkennung des Wahlrechts an die Frauen den Rechtsparteien die Ma-
jorität sichern und in der Folge den Vorwärtsmarsch des Proletariats
für etliche Zeit aufhalten werde. Nur wenn man diesen Gedankengang
ins Auge faßt, wird erklärlich, wie es möglich ist, daß eine große Partei,
welche das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufgenommen hat, vor
der sofortigen Durchführung ihrer Programmforderung zurückschreckt.

Jch habe nicht die Absicht, darüber zu diskutieren, ob diese Be-
fürchtung ein hinreichender Grund ist, der Hälfte der erwachsenen und
großjährigen Bevölkerung politische Rechte vorzuenthalten; ich möchte
doch hören, wie die Vorkämpfer für Menschenrechte die Staatsräson
anrufen, um das Frauenrecht zu opfern; ich erlaube mir außerdem zu
glauben, daß die sozialistische Partei nicht dadurch an Größe gewinnen
würde, daß sie ihren Beauftragten erlaubte, ja diese sogar dazu er-
mutigte, gegen ihr eigenes Programm zu stimmen.

Wie ich bereits früher in Belgien erklärt habe, bleibe ich überzeugt,
daß sogar im Hinblick auf die Wahlresultate das Frauenwahlrecht gar
nicht oder wenigstens nicht lange die Folgen zeitigen würde, welche die
Klerikalen hoffen und die Antiklerikalen fürchten.

Gewiß: es wäre kindisch, zu verkennen, daß in der ersten Zeit nach
Einführung des Frauenwahlrechts die Demokratie die Strafe dafür
tragen muß, daß sie fast nichts für die politische und soziale Erziehung
der Frauen geleistet, daß sie diese fast vollständig dem Einfluß der Kirche
überlassen hat.

Jedoch selbst in der Uebergangsperiode würde der Wahlnutzen der
Rechtsparteien nicht so groß sein, als man gewöhnlich meint. Und zwar
aus zwei Gründen. Zunächst weil schon jetzt viele Männer so stimmen,
wie es ihre Frauen wollen oder richtiger, wie es deren Pfarrer will,
der sich ihrer Frauen als Vermittlerinnen seines Einflusses bedient.
Dann weil viele Frauen, wenn das weibliche Geschlecht politisch eman-
zipiert wird, wie ihre Männer stimmen werden, wenngleich sie ihren
religiösen Gefühlen und Praktiken treu bleiben. Jn der ungeheuren
Mehrzahl der Fälle wird die Gemeinsamkeit der Jnteressen eines Ehe-
paares auch die Gemeinsamkeit der Abstimmung zur Folge haben. Es
würde kaum das Achtel der Ausnahmen geben, welches Fourier für alle
menschlichen Dinge fand. Jch gebe jedoch zu, daß diese Ausnahmen all-
gemein den reaktionären Parteien zum Vorteil gereichen würden, und

Bedingungen von den Stimmen der Sozialisten abhinge: so glaube ich,
daß viele von ihnen recht geneigt sein würden, betreffs der Frauen
den Unterschied zu erneuern, der 1791 zwischen den aktiven
Bürgern
und den passiven Bürgern gemacht worden ist.

Man behauptet, daß die ungeheure Mehrzahl der Frauen das
Wahlrecht nicht verlangten; daß sie auf seinen Gebrauch nicht vorbereitet
sind; daß betreffs der politischen Emanzipation des weiblichen Geschlechts
etappenweise vorgegangen werden müsse, so daß man den Frauen z. B.
zuerst das Wahlrecht zu den Gewerbeschiedsgerichten und den lokalen
Verwaltungskörperschaften einräumen solle.

Alles das enthält sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber man ver-
gesse nicht, daß vor 1848 genau die gleichen Bedenken gegen das all-
gemeine Männerwahlrecht geltend gemacht worden sind. Die Arbeiter
verlangten das Wahlrecht nicht, hieß es, sie ermangelten der politischen
Schulung; ihre politische Gleichberechtigung müsse langsam und stufen-
weise erfolgen.

Jm Grunde wird die betreffende Argumentation von einem Hinter-
gedanken, von einer Besorgnis beherrscht. Man befürchtet, daß die Zu-
erkennung des Wahlrechts an die Frauen den Rechtsparteien die Ma-
jorität sichern und in der Folge den Vorwärtsmarsch des Proletariats
für etliche Zeit aufhalten werde. Nur wenn man diesen Gedankengang
ins Auge faßt, wird erklärlich, wie es möglich ist, daß eine große Partei,
welche das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufgenommen hat, vor
der sofortigen Durchführung ihrer Programmforderung zurückschreckt.

Jch habe nicht die Absicht, darüber zu diskutieren, ob diese Be-
fürchtung ein hinreichender Grund ist, der Hälfte der erwachsenen und
großjährigen Bevölkerung politische Rechte vorzuenthalten; ich möchte
doch hören, wie die Vorkämpfer für Menschenrechte die Staatsräson
anrufen, um das Frauenrecht zu opfern; ich erlaube mir außerdem zu
glauben, daß die sozialistische Partei nicht dadurch an Größe gewinnen
würde, daß sie ihren Beauftragten erlaubte, ja diese sogar dazu er-
mutigte, gegen ihr eigenes Programm zu stimmen.

Wie ich bereits früher in Belgien erklärt habe, bleibe ich überzeugt,
daß sogar im Hinblick auf die Wahlresultate das Frauenwahlrecht gar
nicht oder wenigstens nicht lange die Folgen zeitigen würde, welche die
Klerikalen hoffen und die Antiklerikalen fürchten.

Gewiß: es wäre kindisch, zu verkennen, daß in der ersten Zeit nach
Einführung des Frauenwahlrechts die Demokratie die Strafe dafür
tragen muß, daß sie fast nichts für die politische und soziale Erziehung
der Frauen geleistet, daß sie diese fast vollständig dem Einfluß der Kirche
überlassen hat.

Jedoch selbst in der Uebergangsperiode würde der Wahlnutzen der
Rechtsparteien nicht so groß sein, als man gewöhnlich meint. Und zwar
aus zwei Gründen. Zunächst weil schon jetzt viele Männer so stimmen,
wie es ihre Frauen wollen oder richtiger, wie es deren Pfarrer will,
der sich ihrer Frauen als Vermittlerinnen seines Einflusses bedient.
Dann weil viele Frauen, wenn das weibliche Geschlecht politisch eman-
zipiert wird, wie ihre Männer stimmen werden, wenngleich sie ihren
religiösen Gefühlen und Praktiken treu bleiben. Jn der ungeheuren
Mehrzahl der Fälle wird die Gemeinsamkeit der Jnteressen eines Ehe-
paares auch die Gemeinsamkeit der Abstimmung zur Folge haben. Es
würde kaum das Achtel der Ausnahmen geben, welches Fourier für alle
menschlichen Dinge fand. Jch gebe jedoch zu, daß diese Ausnahmen all-
gemein den reaktionären Parteien zum Vorteil gereichen würden, und

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[77/0087] Bedingungen von den Stimmen der Sozialisten abhinge: so glaube ich, daß viele von ihnen recht geneigt sein würden, betreffs der Frauen den Unterschied zu erneuern, der 1791 zwischen den aktiven Bürgern und den passiven Bürgern gemacht worden ist. Man behauptet, daß die ungeheure Mehrzahl der Frauen das Wahlrecht nicht verlangten; daß sie auf seinen Gebrauch nicht vorbereitet sind; daß betreffs der politischen Emanzipation des weiblichen Geschlechts etappenweise vorgegangen werden müsse, so daß man den Frauen z. B. zuerst das Wahlrecht zu den Gewerbeschiedsgerichten und den lokalen Verwaltungskörperschaften einräumen solle. Alles das enthält sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber man ver- gesse nicht, daß vor 1848 genau die gleichen Bedenken gegen das all- gemeine Männerwahlrecht geltend gemacht worden sind. Die Arbeiter verlangten das Wahlrecht nicht, hieß es, sie ermangelten der politischen Schulung; ihre politische Gleichberechtigung müsse langsam und stufen- weise erfolgen. Jm Grunde wird die betreffende Argumentation von einem Hinter- gedanken, von einer Besorgnis beherrscht. Man befürchtet, daß die Zu- erkennung des Wahlrechts an die Frauen den Rechtsparteien die Ma- jorität sichern und in der Folge den Vorwärtsmarsch des Proletariats für etliche Zeit aufhalten werde. Nur wenn man diesen Gedankengang ins Auge faßt, wird erklärlich, wie es möglich ist, daß eine große Partei, welche das Frauenwahlrecht in ihr Programm aufgenommen hat, vor der sofortigen Durchführung ihrer Programmforderung zurückschreckt. Jch habe nicht die Absicht, darüber zu diskutieren, ob diese Be- fürchtung ein hinreichender Grund ist, der Hälfte der erwachsenen und großjährigen Bevölkerung politische Rechte vorzuenthalten; ich möchte doch hören, wie die Vorkämpfer für Menschenrechte die Staatsräson anrufen, um das Frauenrecht zu opfern; ich erlaube mir außerdem zu glauben, daß die sozialistische Partei nicht dadurch an Größe gewinnen würde, daß sie ihren Beauftragten erlaubte, ja diese sogar dazu er- mutigte, gegen ihr eigenes Programm zu stimmen. Wie ich bereits früher in Belgien erklärt habe, bleibe ich überzeugt, daß sogar im Hinblick auf die Wahlresultate das Frauenwahlrecht gar nicht oder wenigstens nicht lange die Folgen zeitigen würde, welche die Klerikalen hoffen und die Antiklerikalen fürchten. Gewiß: es wäre kindisch, zu verkennen, daß in der ersten Zeit nach Einführung des Frauenwahlrechts die Demokratie die Strafe dafür tragen muß, daß sie fast nichts für die politische und soziale Erziehung der Frauen geleistet, daß sie diese fast vollständig dem Einfluß der Kirche überlassen hat. Jedoch selbst in der Uebergangsperiode würde der Wahlnutzen der Rechtsparteien nicht so groß sein, als man gewöhnlich meint. Und zwar aus zwei Gründen. Zunächst weil schon jetzt viele Männer so stimmen, wie es ihre Frauen wollen oder richtiger, wie es deren Pfarrer will, der sich ihrer Frauen als Vermittlerinnen seines Einflusses bedient. Dann weil viele Frauen, wenn das weibliche Geschlecht politisch eman- zipiert wird, wie ihre Männer stimmen werden, wenngleich sie ihren religiösen Gefühlen und Praktiken treu bleiben. Jn der ungeheuren Mehrzahl der Fälle wird die Gemeinsamkeit der Jnteressen eines Ehe- paares auch die Gemeinsamkeit der Abstimmung zur Folge haben. Es würde kaum das Achtel der Ausnahmen geben, welches Fourier für alle menschlichen Dinge fand. Jch gebe jedoch zu, daß diese Ausnahmen all- gemein den reaktionären Parteien zum Vorteil gereichen würden, und

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/87>, abgerufen am 23.11.2024.