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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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politischen Lebens treibt, verständnislos und ratlos gegenübersteht. Die
bürgerliche Demokratie erwies ihre totale Unfähigkeit, die Situation
zu begreifen, zu beherrschen und den Jnteressen des sozialen Fortschritts
dienstbar zu machen. Statt die gewaltige fortschrittliche Kraft zu er-
kennen und zu werten, welche durch die politische Emanzipation des
weiblichen Geschlechts gelöst und für die Klassenkämpfe nutzbar wird,
sah sie zitternd nur die nächstliegenden reaktionären Folgen, welche die
Einführung des Frauenwahlrechts vorübergehend vielleicht haben könnte.
Sie verzichtete daher darauf, die reaktionären Frauenrechtsfreunde ernst-
lich beim Wort zu nehmen und Auge in Auge der Forderung gegenüber-
zustellen, mit der sie kokettiert hatten, indem sie selbst als Vorkämpferin
für diese aufgetreten wäre. Umgekehrt: die bürgerlichen Republikaner
zogen in der öffentlichen Diskussion der Frage alle Register philister-
hafter Gründe gegen die Einführung des Frauenwahlrechts und ließen
vor allem brausend die allbekannte Melodie ertönen, daß die politische
Emanzipation des weiblichen Geschlechts eine Gefahr für den Fortschritt,
für den Bestand der Republik sei.

Wie sollten die französischen Sozialisten sich verhalten, wenn die
Streitfrage in Gestalt eines Antrags für das Frauenwahlrecht im Par-
lament aufgerollt würde und damit aus dem Reiche der Theorie in das
der Praxis niederstieg? Mußten sie ihre grundsätzliche Forderung
gleichen politischen Rechts für beide Geschlechter dann aufrechthalten
und im Hinblick auf den sicheren dauernden Zukunftsnutzen für den
proletarischen Klassenkampf eventuell mit den Reaktionären zusammen
eine Neuerung schaffen, die zunächst auch diesen zum Vorteil gereichte,
ihre Macht auf Kosten der bürgerlichen Republikaner, vielleicht sogar
auch zum Schaden der sozialistischen Partei vorübergehend stärkte?
Oder aber: mußten sie sich in Würdigung der möglichen Augenblicks-
folgen den Zweckmäßigkeitsrücksichten des Tages gehorchend mit dem
Gros der bürgerlichen liberalen und radikalen Parteien zusammen
gegen ihre eigene grundsätzliche Forderung wenden? Die Situation,
welche diese Fragen aufwarf, veranlaßte die Pariser "Revue Socialiste"
darüber die Meinung von bekannten Sozialisten in verschiedenen Län-
dern einzuholen. Jn folgendem ihre Antworten:

Eduard Vaillant, Mitglied der französischen Kammer:

Jch zweifle stark daran, daß die Konservativen und ihre
Bundesbrüder der republikanischen Mäßigung den Antrag stellen,
das Recht der Frau auf den Stimmzettel in das Wahlgesetz
aufzunehmen. Jch halte sie für zu schlau dazu. Jn der Tat,
sie könnten dadurch nur unter der Bedingung gewinnen, daß sie
dieses Recht unter dem einen oder anderen Vorwand beschränkten,
so daß das weibliche Proletariat in seiner Gesamtheit oder
teilweise davon ausgeschlossen bliebe. Wir könnten auf keinen Fall diese
gefährliche Beschränkung annehmen. Aber wie auch immer die Form
des Antrags sein möge: wir werden die Gelegenheit ergreifen, um auch
in dieser Beziehung die sozialistische Auffassung zu verwirklichen, welche
ebensowenig die Unterordnung eines Geschlechts als die einer Klasse
duldet und für Frau wie Mann gleiches und volles Recht fordert.

Die Bedingung vorausgesetzt, daß das allgemeine Wahlrecht für
beide Geschlechter ohne willkürliche Beschränkung eingeführt und derart
festgelegt wird, daß es wirklich direkt und geheim ist, glaube ich nicht,
daß die sofortige Zulassung der Frauen zum Stimmrecht eine Gefahr
für die Republik und die öffentlichen Freiheiten in sich schließt. Jch
bin überzeugt, daß die Gewährung dieses Rechts nicht nur der Frau die

politischen Lebens treibt, verständnislos und ratlos gegenübersteht. Die
bürgerliche Demokratie erwies ihre totale Unfähigkeit, die Situation
zu begreifen, zu beherrschen und den Jnteressen des sozialen Fortschritts
dienstbar zu machen. Statt die gewaltige fortschrittliche Kraft zu er-
kennen und zu werten, welche durch die politische Emanzipation des
weiblichen Geschlechts gelöst und für die Klassenkämpfe nutzbar wird,
sah sie zitternd nur die nächstliegenden reaktionären Folgen, welche die
Einführung des Frauenwahlrechts vorübergehend vielleicht haben könnte.
Sie verzichtete daher darauf, die reaktionären Frauenrechtsfreunde ernst-
lich beim Wort zu nehmen und Auge in Auge der Forderung gegenüber-
zustellen, mit der sie kokettiert hatten, indem sie selbst als Vorkämpferin
für diese aufgetreten wäre. Umgekehrt: die bürgerlichen Republikaner
zogen in der öffentlichen Diskussion der Frage alle Register philister-
hafter Gründe gegen die Einführung des Frauenwahlrechts und ließen
vor allem brausend die allbekannte Melodie ertönen, daß die politische
Emanzipation des weiblichen Geschlechts eine Gefahr für den Fortschritt,
für den Bestand der Republik sei.

Wie sollten die französischen Sozialisten sich verhalten, wenn die
Streitfrage in Gestalt eines Antrags für das Frauenwahlrecht im Par-
lament aufgerollt würde und damit aus dem Reiche der Theorie in das
der Praxis niederstieg? Mußten sie ihre grundsätzliche Forderung
gleichen politischen Rechts für beide Geschlechter dann aufrechthalten
und im Hinblick auf den sicheren dauernden Zukunftsnutzen für den
proletarischen Klassenkampf eventuell mit den Reaktionären zusammen
eine Neuerung schaffen, die zunächst auch diesen zum Vorteil gereichte,
ihre Macht auf Kosten der bürgerlichen Republikaner, vielleicht sogar
auch zum Schaden der sozialistischen Partei vorübergehend stärkte?
Oder aber: mußten sie sich in Würdigung der möglichen Augenblicks-
folgen den Zweckmäßigkeitsrücksichten des Tages gehorchend mit dem
Gros der bürgerlichen liberalen und radikalen Parteien zusammen
gegen ihre eigene grundsätzliche Forderung wenden? Die Situation,
welche diese Fragen aufwarf, veranlaßte die Pariser „Revue Socialiste‟
darüber die Meinung von bekannten Sozialisten in verschiedenen Län-
dern einzuholen. Jn folgendem ihre Antworten:

Eduard Vaillant, Mitglied der französischen Kammer:

Jch zweifle stark daran, daß die Konservativen und ihre
Bundesbrüder der republikanischen Mäßigung den Antrag stellen,
das Recht der Frau auf den Stimmzettel in das Wahlgesetz
aufzunehmen. Jch halte sie für zu schlau dazu. Jn der Tat,
sie könnten dadurch nur unter der Bedingung gewinnen, daß sie
dieses Recht unter dem einen oder anderen Vorwand beschränkten,
so daß das weibliche Proletariat in seiner Gesamtheit oder
teilweise davon ausgeschlossen bliebe. Wir könnten auf keinen Fall diese
gefährliche Beschränkung annehmen. Aber wie auch immer die Form
des Antrags sein möge: wir werden die Gelegenheit ergreifen, um auch
in dieser Beziehung die sozialistische Auffassung zu verwirklichen, welche
ebensowenig die Unterordnung eines Geschlechts als die einer Klasse
duldet und für Frau wie Mann gleiches und volles Recht fordert.

Die Bedingung vorausgesetzt, daß das allgemeine Wahlrecht für
beide Geschlechter ohne willkürliche Beschränkung eingeführt und derart
festgelegt wird, daß es wirklich direkt und geheim ist, glaube ich nicht,
daß die sofortige Zulassung der Frauen zum Stimmrecht eine Gefahr
für die Republik und die öffentlichen Freiheiten in sich schließt. Jch
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[74/0084] politischen Lebens treibt, verständnislos und ratlos gegenübersteht. Die bürgerliche Demokratie erwies ihre totale Unfähigkeit, die Situation zu begreifen, zu beherrschen und den Jnteressen des sozialen Fortschritts dienstbar zu machen. Statt die gewaltige fortschrittliche Kraft zu er- kennen und zu werten, welche durch die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts gelöst und für die Klassenkämpfe nutzbar wird, sah sie zitternd nur die nächstliegenden reaktionären Folgen, welche die Einführung des Frauenwahlrechts vorübergehend vielleicht haben könnte. Sie verzichtete daher darauf, die reaktionären Frauenrechtsfreunde ernst- lich beim Wort zu nehmen und Auge in Auge der Forderung gegenüber- zustellen, mit der sie kokettiert hatten, indem sie selbst als Vorkämpferin für diese aufgetreten wäre. Umgekehrt: die bürgerlichen Republikaner zogen in der öffentlichen Diskussion der Frage alle Register philister- hafter Gründe gegen die Einführung des Frauenwahlrechts und ließen vor allem brausend die allbekannte Melodie ertönen, daß die politische Emanzipation des weiblichen Geschlechts eine Gefahr für den Fortschritt, für den Bestand der Republik sei. Wie sollten die französischen Sozialisten sich verhalten, wenn die Streitfrage in Gestalt eines Antrags für das Frauenwahlrecht im Par- lament aufgerollt würde und damit aus dem Reiche der Theorie in das der Praxis niederstieg? Mußten sie ihre grundsätzliche Forderung gleichen politischen Rechts für beide Geschlechter dann aufrechthalten und im Hinblick auf den sicheren dauernden Zukunftsnutzen für den proletarischen Klassenkampf eventuell mit den Reaktionären zusammen eine Neuerung schaffen, die zunächst auch diesen zum Vorteil gereichte, ihre Macht auf Kosten der bürgerlichen Republikaner, vielleicht sogar auch zum Schaden der sozialistischen Partei vorübergehend stärkte? Oder aber: mußten sie sich in Würdigung der möglichen Augenblicks- folgen den Zweckmäßigkeitsrücksichten des Tages gehorchend mit dem Gros der bürgerlichen liberalen und radikalen Parteien zusammen gegen ihre eigene grundsätzliche Forderung wenden? Die Situation, welche diese Fragen aufwarf, veranlaßte die Pariser „Revue Socialiste‟ darüber die Meinung von bekannten Sozialisten in verschiedenen Län- dern einzuholen. Jn folgendem ihre Antworten: Eduard Vaillant, Mitglied der französischen Kammer: Jch zweifle stark daran, daß die Konservativen und ihre Bundesbrüder der republikanischen Mäßigung den Antrag stellen, das Recht der Frau auf den Stimmzettel in das Wahlgesetz aufzunehmen. Jch halte sie für zu schlau dazu. Jn der Tat, sie könnten dadurch nur unter der Bedingung gewinnen, daß sie dieses Recht unter dem einen oder anderen Vorwand beschränkten, so daß das weibliche Proletariat in seiner Gesamtheit oder teilweise davon ausgeschlossen bliebe. Wir könnten auf keinen Fall diese gefährliche Beschränkung annehmen. Aber wie auch immer die Form des Antrags sein möge: wir werden die Gelegenheit ergreifen, um auch in dieser Beziehung die sozialistische Auffassung zu verwirklichen, welche ebensowenig die Unterordnung eines Geschlechts als die einer Klasse duldet und für Frau wie Mann gleiches und volles Recht fordert. Die Bedingung vorausgesetzt, daß das allgemeine Wahlrecht für beide Geschlechter ohne willkürliche Beschränkung eingeführt und derart festgelegt wird, daß es wirklich direkt und geheim ist, glaube ich nicht, daß die sofortige Zulassung der Frauen zum Stimmrecht eine Gefahr für die Republik und die öffentlichen Freiheiten in sich schließt. Jch bin überzeugt, daß die Gewährung dieses Rechts nicht nur der Frau die

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/84>, abgerufen am 21.11.2024.