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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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die Voraussetzung dafür, sie durch intensive Arbeit zu politischer
Selbständigkeit und Reife emporzuheben und es dadurch der Reaktion
zu vereiteln, ihren Zwecken in nennenswertem Umfange die Stimmen
der proletarischen Frauen dienstbar machen zu können. Der Sieg der
Sozialdemokratie in Finnland bei der ersten Wahl, die unter dem
gleichen Wahlrecht für Männer und Frauen stattfand, hat das schlagend
erwiesen.



IX.
Die Wahlrechtskämpfe des Proletariats und das
Frauenwahlrecht.

Die Stellungnahme der internationalen sozialistischen Parteien zur
Frage des Frauenwahlrechts scheint unter den obigen Gesichts-
punkten klar vorgezeichnet. Jn manchen Ländern jedoch haben die Ge-
nossen "Zweckmäßigkeitsgründe" dafür geltend gemacht, daß unter be-
stimmten Umständen der Kampf für das allgemeine Männerwahlrecht
nicht mit dem Kampf für das Frauenwahlrecht verquickt werden dürfe.
Während wichtiger Wahlrechtskämpfe haben sie sich damit begnügt, das
allgemeine Männerwahlrecht zu fordern und zu verfechten.

Das geschah 1902 in Belgien, wo die sozialistische Arbeiterpartei
in ihrer Kampagne für das gleiche Wahlrecht die Forderung des
Frauenwahlrechts fallen ließ. Von bestimmendem Einfluß darauf war
neben anderen Gründen -- Genosse Vandervelde hat es anerkannt --
die Rücksicht auf die bürgerlichen Liberalen, die erklärten, sie würden
für die Wahlrechtsreform nicht eintreten, wenn die Sozialisten auf ihrer
Forderung des Frauenwahlrechts beständen. Was hat sich aber gezeigt?
Die Arbeiterpartei wurde in ihrem parlamentarischen und erst recht in
ihrem außerparlamentarischen Kampf für die Wahlrechtsreform von den
Liberalen in der schmählichsten Weise im Stich gelassen. Die prinzipielle
Forderung der Partei war also ohne praktischen Nutzen geopfert worden.

Ein ähnlicher Vorgang hat sich 1906 in Schweden wiederholt.
Durch den Druck einer rührigen Agitation, welche die sozialistische Partei
betrieben hatte, wurde die Regierung gezwungen, eine Wahlrechtsvorlage
einzubringen. Die Regierung hatte von vornherein den bürgerlichen
Frauenrechtlerinnen erklärt, daß sie es ablehne, in ihre Vorlage das
Frauenwahlrecht aufzunehmen. Die sozialdemokratische Fraktion in der
zweiten schwedischen Kammer beschloß angesichts der praktischen Aus-
sichtslosigkeit eines Vorstoßes, das Frauenstimmrecht nicht zu beantragen,
aber dafür zu stimmen, wenn es von anderer Seite beantragt würde.
Der Entwurf zur Wahlrechtsreform gelangte nun zwar in der zweiten
Kammer zur Annahme, allein in der ersten scheiterte er. Obwohl die
Sozialisten ihre Ansprüche auf Demokratisierung des Wahlrechts auf
das bescheidenste Maß reduziert hatten, ließ die Reaktion sich durch ihre
Nachgiebigkeit nicht entwaffnen. Sie fühlte sich noch mächtig genug,
jede Reform des Wahlrechts zurückzuschlagen. Auch in Schweden war
also der Verzicht auf die prinzipielle Forderung ohne praktischen Wert.
Genosse Branting schrieb daher kurz darauf in der "Gleichheit", daß die
sozialistische Partei nun in eine neue Phase des Kampfes eintrete, daß
sie den Kampf aufnehmen müsse für die Beseitigung der Ersten Kammer.
Er schloß seine interessante Darstellung des Wahlrechtskampfes mit der
Erklärung, daß der weitere Kampf ein bedeutsamer sei, denn er gehe

die Voraussetzung dafür, sie durch intensive Arbeit zu politischer
Selbständigkeit und Reife emporzuheben und es dadurch der Reaktion
zu vereiteln, ihren Zwecken in nennenswertem Umfange die Stimmen
der proletarischen Frauen dienstbar machen zu können. Der Sieg der
Sozialdemokratie in Finnland bei der ersten Wahl, die unter dem
gleichen Wahlrecht für Männer und Frauen stattfand, hat das schlagend
erwiesen.



IX.
Die Wahlrechtskämpfe des Proletariats und das
Frauenwahlrecht.

Die Stellungnahme der internationalen sozialistischen Parteien zur
Frage des Frauenwahlrechts scheint unter den obigen Gesichts-
punkten klar vorgezeichnet. Jn manchen Ländern jedoch haben die Ge-
nossen „Zweckmäßigkeitsgründe‟ dafür geltend gemacht, daß unter be-
stimmten Umständen der Kampf für das allgemeine Männerwahlrecht
nicht mit dem Kampf für das Frauenwahlrecht verquickt werden dürfe.
Während wichtiger Wahlrechtskämpfe haben sie sich damit begnügt, das
allgemeine Männerwahlrecht zu fordern und zu verfechten.

Das geschah 1902 in Belgien, wo die sozialistische Arbeiterpartei
in ihrer Kampagne für das gleiche Wahlrecht die Forderung des
Frauenwahlrechts fallen ließ. Von bestimmendem Einfluß darauf war
neben anderen Gründen — Genosse Vandervelde hat es anerkannt —
die Rücksicht auf die bürgerlichen Liberalen, die erklärten, sie würden
für die Wahlrechtsreform nicht eintreten, wenn die Sozialisten auf ihrer
Forderung des Frauenwahlrechts beständen. Was hat sich aber gezeigt?
Die Arbeiterpartei wurde in ihrem parlamentarischen und erst recht in
ihrem außerparlamentarischen Kampf für die Wahlrechtsreform von den
Liberalen in der schmählichsten Weise im Stich gelassen. Die prinzipielle
Forderung der Partei war also ohne praktischen Nutzen geopfert worden.

Ein ähnlicher Vorgang hat sich 1906 in Schweden wiederholt.
Durch den Druck einer rührigen Agitation, welche die sozialistische Partei
betrieben hatte, wurde die Regierung gezwungen, eine Wahlrechtsvorlage
einzubringen. Die Regierung hatte von vornherein den bürgerlichen
Frauenrechtlerinnen erklärt, daß sie es ablehne, in ihre Vorlage das
Frauenwahlrecht aufzunehmen. Die sozialdemokratische Fraktion in der
zweiten schwedischen Kammer beschloß angesichts der praktischen Aus-
sichtslosigkeit eines Vorstoßes, das Frauenstimmrecht nicht zu beantragen,
aber dafür zu stimmen, wenn es von anderer Seite beantragt würde.
Der Entwurf zur Wahlrechtsreform gelangte nun zwar in der zweiten
Kammer zur Annahme, allein in der ersten scheiterte er. Obwohl die
Sozialisten ihre Ansprüche auf Demokratisierung des Wahlrechts auf
das bescheidenste Maß reduziert hatten, ließ die Reaktion sich durch ihre
Nachgiebigkeit nicht entwaffnen. Sie fühlte sich noch mächtig genug,
jede Reform des Wahlrechts zurückzuschlagen. Auch in Schweden war
also der Verzicht auf die prinzipielle Forderung ohne praktischen Wert.
Genosse Branting schrieb daher kurz darauf in der „Gleichheit‟, daß die
sozialistische Partei nun in eine neue Phase des Kampfes eintrete, daß
sie den Kampf aufnehmen müsse für die Beseitigung der Ersten Kammer.
Er schloß seine interessante Darstellung des Wahlrechtskampfes mit der
Erklärung, daß der weitere Kampf ein bedeutsamer sei, denn er gehe

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[46/0056] die Voraussetzung dafür, sie durch intensive Arbeit zu politischer Selbständigkeit und Reife emporzuheben und es dadurch der Reaktion zu vereiteln, ihren Zwecken in nennenswertem Umfange die Stimmen der proletarischen Frauen dienstbar machen zu können. Der Sieg der Sozialdemokratie in Finnland bei der ersten Wahl, die unter dem gleichen Wahlrecht für Männer und Frauen stattfand, hat das schlagend erwiesen. IX. Die Wahlrechtskämpfe des Proletariats und das Frauenwahlrecht. Die Stellungnahme der internationalen sozialistischen Parteien zur Frage des Frauenwahlrechts scheint unter den obigen Gesichts- punkten klar vorgezeichnet. Jn manchen Ländern jedoch haben die Ge- nossen „Zweckmäßigkeitsgründe‟ dafür geltend gemacht, daß unter be- stimmten Umständen der Kampf für das allgemeine Männerwahlrecht nicht mit dem Kampf für das Frauenwahlrecht verquickt werden dürfe. Während wichtiger Wahlrechtskämpfe haben sie sich damit begnügt, das allgemeine Männerwahlrecht zu fordern und zu verfechten. Das geschah 1902 in Belgien, wo die sozialistische Arbeiterpartei in ihrer Kampagne für das gleiche Wahlrecht die Forderung des Frauenwahlrechts fallen ließ. Von bestimmendem Einfluß darauf war neben anderen Gründen — Genosse Vandervelde hat es anerkannt — die Rücksicht auf die bürgerlichen Liberalen, die erklärten, sie würden für die Wahlrechtsreform nicht eintreten, wenn die Sozialisten auf ihrer Forderung des Frauenwahlrechts beständen. Was hat sich aber gezeigt? Die Arbeiterpartei wurde in ihrem parlamentarischen und erst recht in ihrem außerparlamentarischen Kampf für die Wahlrechtsreform von den Liberalen in der schmählichsten Weise im Stich gelassen. Die prinzipielle Forderung der Partei war also ohne praktischen Nutzen geopfert worden. Ein ähnlicher Vorgang hat sich 1906 in Schweden wiederholt. Durch den Druck einer rührigen Agitation, welche die sozialistische Partei betrieben hatte, wurde die Regierung gezwungen, eine Wahlrechtsvorlage einzubringen. Die Regierung hatte von vornherein den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erklärt, daß sie es ablehne, in ihre Vorlage das Frauenwahlrecht aufzunehmen. Die sozialdemokratische Fraktion in der zweiten schwedischen Kammer beschloß angesichts der praktischen Aus- sichtslosigkeit eines Vorstoßes, das Frauenstimmrecht nicht zu beantragen, aber dafür zu stimmen, wenn es von anderer Seite beantragt würde. Der Entwurf zur Wahlrechtsreform gelangte nun zwar in der zweiten Kammer zur Annahme, allein in der ersten scheiterte er. Obwohl die Sozialisten ihre Ansprüche auf Demokratisierung des Wahlrechts auf das bescheidenste Maß reduziert hatten, ließ die Reaktion sich durch ihre Nachgiebigkeit nicht entwaffnen. Sie fühlte sich noch mächtig genug, jede Reform des Wahlrechts zurückzuschlagen. Auch in Schweden war also der Verzicht auf die prinzipielle Forderung ohne praktischen Wert. Genosse Branting schrieb daher kurz darauf in der „Gleichheit‟, daß die sozialistische Partei nun in eine neue Phase des Kampfes eintrete, daß sie den Kampf aufnehmen müsse für die Beseitigung der Ersten Kammer. Er schloß seine interessante Darstellung des Wahlrechtskampfes mit der Erklärung, daß der weitere Kampf ein bedeutsamer sei, denn er gehe

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/56>, abgerufen am 23.11.2024.