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Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

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Der Assenat
den ist/ sol mein knecht sein. Ihr aber ziehet hinauf/ zu
eurem Vater/ mit frieden.

Zwischen dessen stunden sie alle miteinander in großer
angst. Und diese angst machte ihnen Ruben/ durch
stähtige stichelworte/ noch immer grösser und grösser.
Unaufhörlich verwiese er ihnen die taht/ am Josef be-
gangen. Und solches täht er so überlaut/ daß es der
Schaltkönig selbst hörete; wiewohl er sich stellete/ als
verstünde er ihre sprache nicht. Auch rief er etliche mahl:
ach Josef! Josef! wie viel seeliger bistu/ als wir. Ach!
du magst todt/ oder lebendig sein/ so bistu doch aller die-
ser schmertzen/ die wir üm deines liebsten Bruders wil-
len leiden/ überhoben. Dan du siehest es nicht/ was wir
sehen. Du weist nicht/ daß er so unschuldig in ewige
dienstbarkeit geräht.

Unter allen aber war niemand mehr bekümmert/ als
Judah. Niemand war mehr in angst/ als er; weil
er seinen Vater beredet/ daß er den unglüklichen Ben-
jamin
mitziehen laßen. Darüm warf er sich auch noch
einmahl vor den füßen des Schaltköniges nieder. Mein
Herr/ sagte er/ laße seinen knecht ein wort reden vor sei-
nen ohren. Und sein zorn ergrimme nicht über seinen
knecht. Dan Mein Herr ist eben als Farao. Keiner
von uns allen darf wieder in unser vaterland. Keiner
darf wieder vor unsern Vater kommen/ wo wir unsern
Bruder nicht mitbringen. Ich am allermeisten werde
die schuld tragen müssen. Darzu habe ich mich verpflich-
tet. Darzu habe ich mich verpfändet. Dan ich bin es/ der
unsern Vater beweget/ ihn mitzuschikken. Auf mei-
nes Herrn befehl habe ich solches getahn. Weil mein
Herr sagte/ wir solten sein angesicht nicht sehen/ wan
unser Bruder nicht mitkähme; so muste solches gesche-
hen. Meinem Herrn zu gehohrsamen/ muste sein knecht/
unser Vater/ beredet werden. Und darüm muste ich
mich selbsten zum bürgen stellen. Kan ich nun so viel

gnade

Der Aſſenat
den iſt/ ſol mein knecht ſein. Ihr aber ziehet hinauf/ zu
eurem Vater/ mit frieden.

Zwiſchen deſſen ſtunden ſie alle miteinander in großer
angſt. Und dieſe angſt machte ihnen Ruben/ durch
ſtaͤhtige ſtichelworte/ noch immer groͤſſer und groͤſſer.
Unaufhoͤrlich verwieſe er ihnen die taht/ am Joſef be-
gangen. Und ſolches taͤht er ſo uͤberlaut/ daß es der
Schaltkoͤnig ſelbſt hoͤrete; wiewohl er ſich ſtellete/ als
verſtuͤnde er ihre ſprache nicht. Auch rief er etliche mahl:
ach Joſef! Joſef! wie viel ſeeliger biſtu/ als wir. Ach!
du magſt todt/ oder lebendig ſein/ ſo biſtu doch aller die-
ſer ſchmertzen/ die wir uͤm deines liebſten Bruders wil-
len leiden/ uͤberhoben. Dan du ſieheſt es nicht/ was wir
ſehen. Du weiſt nicht/ daß er ſo unſchuldig in ewige
dienſtbarkeit geraͤht.

Unter allen aber war niemand mehr bekuͤmmert/ als
Judah. Niemand war mehr in angſt/ als er; weil
er ſeinen Vater beredet/ daß er den ungluͤklichen Ben-
jamin
mitziehen laßen. Daruͤm warf er ſich auch noch
einmahl vor den fuͤßen des Schaltkoͤniges nieder. Mein
Herꝛ/ ſagte er/ laße ſeinen knecht ein wort reden vor ſei-
nen ohren. Und ſein zorn ergrimme nicht uͤber ſeinen
knecht. Dan Mein Herꝛ iſt eben als Farao. Keiner
von uns allen darf wieder in unſer vaterland. Keiner
darf wieder vor unſern Vater kommen/ wo wir unſern
Bruder nicht mitbringen. Ich am allermeiſten werde
die ſchuld tragen muͤſſen. Darzu habe ich mich verpflich-
tet. Darzu habe ich mich verpfaͤndet. Dan ich bin es/ der
unſern Vater beweget/ ihn mitzuſchikken. Auf mei-
nes Herꝛn befehl habe ich ſolches getahn. Weil mein
Herꝛ ſagte/ wir ſolten ſein angeſicht nicht ſehen/ wan
unſer Bruder nicht mitkaͤhme; ſo muſte ſolches geſche-
hen. Meinem Herꝛn zu gehohrſamen/ muſte ſein knecht/
unſer Vater/ beredet werden. Und daruͤm muſte ich
mich ſelbſten zum buͤrgen ſtellen. Kan ich nun ſo viel

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[278/0302] Der Aſſenat den iſt/ ſol mein knecht ſein. Ihr aber ziehet hinauf/ zu eurem Vater/ mit frieden. Zwiſchen deſſen ſtunden ſie alle miteinander in großer angſt. Und dieſe angſt machte ihnen Ruben/ durch ſtaͤhtige ſtichelworte/ noch immer groͤſſer und groͤſſer. Unaufhoͤrlich verwieſe er ihnen die taht/ am Joſef be- gangen. Und ſolches taͤht er ſo uͤberlaut/ daß es der Schaltkoͤnig ſelbſt hoͤrete; wiewohl er ſich ſtellete/ als verſtuͤnde er ihre ſprache nicht. Auch rief er etliche mahl: ach Joſef! Joſef! wie viel ſeeliger biſtu/ als wir. Ach! du magſt todt/ oder lebendig ſein/ ſo biſtu doch aller die- ſer ſchmertzen/ die wir uͤm deines liebſten Bruders wil- len leiden/ uͤberhoben. Dan du ſieheſt es nicht/ was wir ſehen. Du weiſt nicht/ daß er ſo unſchuldig in ewige dienſtbarkeit geraͤht. Unter allen aber war niemand mehr bekuͤmmert/ als Judah. Niemand war mehr in angſt/ als er; weil er ſeinen Vater beredet/ daß er den ungluͤklichen Ben- jamin mitziehen laßen. Daruͤm warf er ſich auch noch einmahl vor den fuͤßen des Schaltkoͤniges nieder. Mein Herꝛ/ ſagte er/ laße ſeinen knecht ein wort reden vor ſei- nen ohren. Und ſein zorn ergrimme nicht uͤber ſeinen knecht. Dan Mein Herꝛ iſt eben als Farao. Keiner von uns allen darf wieder in unſer vaterland. Keiner darf wieder vor unſern Vater kommen/ wo wir unſern Bruder nicht mitbringen. Ich am allermeiſten werde die ſchuld tragen muͤſſen. Darzu habe ich mich verpflich- tet. Darzu habe ich mich verpfaͤndet. Dan ich bin es/ der unſern Vater beweget/ ihn mitzuſchikken. Auf mei- nes Herꝛn befehl habe ich ſolches getahn. Weil mein Herꝛ ſagte/ wir ſolten ſein angeſicht nicht ſehen/ wan unſer Bruder nicht mitkaͤhme; ſo muſte ſolches geſche- hen. Meinem Herꝛn zu gehohrſamen/ muſte ſein knecht/ unſer Vater/ beredet werden. Und daruͤm muſte ich mich ſelbſten zum buͤrgen ſtellen. Kan ich nun ſo viel gnade

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Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/302>, abgerufen am 11.05.2024.