Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Assenat
bringen. Als nun die Ismaeler etliche meilen wegwa-
ren/ überfiel die verkeuffer alle eine plötzliche reue.
Itzund bedachten sie erst/ was vor ein schelmenstükke sie
an ihrem Bruder verübet. Itzund kahmen sie erst
wieder zu sich selbst. Itzund hetten sie ihn auch üm
noch zehnmahl so viel gern wiedergekauft. Aber es war
zu spähte.

Mit dieser reue überfiel sie zugleich die nacht. Ru-
ben
war froh/ daß die gewündschte zeit/ den Josef zu
erlösen/ herzu nahete. Er verzügerte nicht lange. Er
ging/ ja er lief eilend nach der Wolfsgrube zu. Alle
tritte waren schritte. Alda fällete er einen mittelmäßi-
gen baum. Dessen zakken hieb er rund herüm so weit
ab/ daß sie zu leitersprossen dienen konten. Hiermit be-
gab er sich zur grube: und lies den baum hinunter/ da-
mit Josef an demselben herauf stiege. Darnach legte
er sich beuchlings darvor nieder. Josef! rief er/ lieb-
ster Bruder!
Aber der widerhal rief eben die worte
zurükke. Er wiederhohlte sie noch ein mahl/ mit viel
stärkerer stimme. Der widerschal rief sie abermahl
nach. Endlich schrie er mit vollem halse: Bruder
schläfstu?
Der gegenhal fragte gleich also: ob er schlief-
fe? Ja er wiederhohlete diese worte etliche mahl: und
wie oft er sie wiederhohlte/ so oft warden sie ihm nach-
gesprochen. Ruben gedachte an den widerschal gantz
nicht. Darüm ward er über diesen nachruf seiner wor-
te so bestürtzt/ daß er nicht wuste/ wie ihm geschahe. Er
stund im zweifel/ ob Josef selbst/ oder aber sein Geist/
mit ihm redete. Zum allerletzten rief er: Ach! liebster
Bruder/ bistu todt?
Da hörete er/ was er fürchtete
zu hören/ und nicht zu hören wündschte/ das letzte wort
todt widerschallen. Ach! sagte er darauf/ bistu todt?
Ach! wolte Gott! ich were vor dich gestorben.

Man kan ihm leicht einbilden/ wie dem guhten Ru-
ben
zu muhte gewesen. Die trähnen/ die er vergos/

wa-

Der Aſſenat
bringen. Als nun die Ismaeler etliche meilen wegwa-
ren/ uͤberfiel die verkeuffer alle eine ploͤtzliche reue.
Itzund bedachten ſie erſt/ was vor ein ſchelmenſtuͤkke ſie
an ihrem Bruder veruͤbet. Itzund kahmen ſie erſt
wieder zu ſich ſelbſt. Itzund hetten ſie ihn auch uͤm
noch zehnmahl ſo viel gern wiedergekauft. Aber es war
zu ſpaͤhte.

Mit dieſer reue uͤberfiel ſie zugleich die nacht. Ru-
ben
war froh/ daß die gewuͤndſchte zeit/ den Joſef zu
erloͤſen/ herzu nahete. Er verzuͤgerte nicht lange. Er
ging/ ja er lief eilend nach der Wolfsgrube zu. Alle
tritte waren ſchritte. Alda faͤllete er einen mittelmaͤßi-
gen baum. Deſſen zakken hieb er rund heruͤm ſo weit
ab/ daß ſie zu leiterſproſſen dienen konten. Hiermit be-
gab er ſich zur grube: und lies den baum hinunter/ da-
mit Joſef an demſelben herauf ſtiege. Darnach legte
er ſich beuchlings darvor nieder. Joſef! rief er/ lieb-
ſter Bruder!
Aber der widerhal rief eben die worte
zuruͤkke. Er wiederhohlte ſie noch ein mahl/ mit viel
ſtaͤrkerer ſtimme. Der widerſchal rief ſie abermahl
nach. Endlich ſchrie er mit vollem halſe: Bruder
ſchlaͤfſtu?
Der gegenhal fragte gleich alſo: ob er ſchlief-
fe? Ja er wiederhohlete dieſe worte etliche mahl: und
wie oft er ſie wiederhohlte/ ſo oft warden ſie ihm nach-
geſprochen. Ruben gedachte an den widerſchal gantz
nicht. Daruͤm ward er uͤber dieſen nachruf ſeiner wor-
te ſo beſtuͤrtzt/ daß er nicht wuſte/ wie ihm geſchahe. Er
ſtund im zweifel/ ob Joſef ſelbſt/ oder aber ſein Geiſt/
mit ihm redete. Zum allerletzten rief er: Ach! liebſter
Bruder/ biſtu todt?
Da hoͤrete er/ was er fuͤrchtete
zu hoͤren/ und nicht zu hoͤren wuͤndſchte/ das letzte wort
todt widerſchallen. Ach! ſagte er darauf/ biſtu todt?
Ach! wolte Gott! ich were vor dich geſtorben.

Man kan ihm leicht einbilden/ wie dem guhten Ru-
ben
zu muhte geweſen. Die traͤhnen/ die er vergos/

wa-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="76"/><fw place="top" type="header">Der A&#x017F;&#x017F;enat</fw><lb/>
bringen. Als nun die Ismaeler etliche meilen wegwa-<lb/>
ren/ u&#x0364;berfiel die verkeuffer alle eine plo&#x0364;tzliche reue.<lb/>
Itzund bedachten &#x017F;ie er&#x017F;t/ was vor ein &#x017F;chelmen&#x017F;tu&#x0364;kke &#x017F;ie<lb/>
an ihrem Bruder veru&#x0364;bet. Itzund kahmen &#x017F;ie er&#x017F;t<lb/>
wieder zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Itzund hetten &#x017F;ie ihn auch u&#x0364;m<lb/>
noch zehnmahl &#x017F;o viel gern wiedergekauft. Aber es war<lb/>
zu &#x017F;pa&#x0364;hte.</p><lb/>
        <p>Mit die&#x017F;er reue u&#x0364;berfiel &#x017F;ie zugleich die nacht. <hi rendition="#fr">Ru-<lb/>
ben</hi> war froh/ daß die gewu&#x0364;nd&#x017F;chte zeit/ den <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> zu<lb/>
erlo&#x0364;&#x017F;en/ herzu nahete. Er verzu&#x0364;gerte nicht lange. Er<lb/>
ging/ ja er lief eilend nach der Wolfsgrube zu. Alle<lb/>
tritte waren &#x017F;chritte. Alda fa&#x0364;llete er einen mittelma&#x0364;ßi-<lb/>
gen baum. De&#x017F;&#x017F;en zakken hieb er rund heru&#x0364;m &#x017F;o weit<lb/>
ab/ daß &#x017F;ie zu leiter&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en dienen konten. Hiermit be-<lb/>
gab er &#x017F;ich zur grube: und lies den baum hinunter/ da-<lb/>
mit <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> an dem&#x017F;elben herauf &#x017F;tiege. Darnach legte<lb/>
er &#x017F;ich beuchlings darvor nieder. <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef!</hi> rief er/ <hi rendition="#fr">lieb-<lb/>
&#x017F;ter Bruder!</hi> Aber der widerhal rief eben die worte<lb/>
zuru&#x0364;kke. Er wiederhohlte &#x017F;ie noch ein mahl/ mit viel<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkerer &#x017F;timme. Der wider&#x017F;chal rief &#x017F;ie abermahl<lb/>
nach. Endlich &#x017F;chrie er mit vollem hal&#x017F;e: <hi rendition="#fr">Bruder<lb/>
&#x017F;chla&#x0364;f&#x017F;tu?</hi> Der gegenhal fragte gleich al&#x017F;o: ob er &#x017F;chlief-<lb/>
fe? Ja er wiederhohlete die&#x017F;e worte etliche mahl: und<lb/>
wie oft er &#x017F;ie wiederhohlte/ &#x017F;o oft warden &#x017F;ie ihm nach-<lb/>
ge&#x017F;prochen. <hi rendition="#fr">Ruben</hi> gedachte an den wider&#x017F;chal gantz<lb/>
nicht. Daru&#x0364;m ward er u&#x0364;ber die&#x017F;en nachruf &#x017F;einer wor-<lb/>
te &#x017F;o be&#x017F;tu&#x0364;rtzt/ daß er nicht wu&#x017F;te/ wie ihm ge&#x017F;chahe. Er<lb/>
&#x017F;tund im zweifel/ ob <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;ef</hi> &#x017F;elb&#x017F;t/ oder aber &#x017F;ein Gei&#x017F;t/<lb/>
mit ihm redete. Zum allerletzten rief er: <hi rendition="#fr">Ach! lieb&#x017F;ter<lb/>
Bruder/ bi&#x017F;tu todt?</hi> Da ho&#x0364;rete er/ was er fu&#x0364;rchtete<lb/>
zu ho&#x0364;ren/ und nicht zu ho&#x0364;ren wu&#x0364;nd&#x017F;chte/ das letzte wort<lb/><hi rendition="#fr">todt</hi> wider&#x017F;challen. Ach! &#x017F;agte er darauf/ bi&#x017F;tu todt?<lb/>
Ach! wolte Gott! ich were vor dich ge&#x017F;torben.</p><lb/>
        <p>Man kan ihm leicht einbilden/ wie dem guhten <hi rendition="#fr">Ru-<lb/>
ben</hi> zu muhte gewe&#x017F;en. Die tra&#x0364;hnen/ die er vergos/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wa-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0100] Der Aſſenat bringen. Als nun die Ismaeler etliche meilen wegwa- ren/ uͤberfiel die verkeuffer alle eine ploͤtzliche reue. Itzund bedachten ſie erſt/ was vor ein ſchelmenſtuͤkke ſie an ihrem Bruder veruͤbet. Itzund kahmen ſie erſt wieder zu ſich ſelbſt. Itzund hetten ſie ihn auch uͤm noch zehnmahl ſo viel gern wiedergekauft. Aber es war zu ſpaͤhte. Mit dieſer reue uͤberfiel ſie zugleich die nacht. Ru- ben war froh/ daß die gewuͤndſchte zeit/ den Joſef zu erloͤſen/ herzu nahete. Er verzuͤgerte nicht lange. Er ging/ ja er lief eilend nach der Wolfsgrube zu. Alle tritte waren ſchritte. Alda faͤllete er einen mittelmaͤßi- gen baum. Deſſen zakken hieb er rund heruͤm ſo weit ab/ daß ſie zu leiterſproſſen dienen konten. Hiermit be- gab er ſich zur grube: und lies den baum hinunter/ da- mit Joſef an demſelben herauf ſtiege. Darnach legte er ſich beuchlings darvor nieder. Joſef! rief er/ lieb- ſter Bruder! Aber der widerhal rief eben die worte zuruͤkke. Er wiederhohlte ſie noch ein mahl/ mit viel ſtaͤrkerer ſtimme. Der widerſchal rief ſie abermahl nach. Endlich ſchrie er mit vollem halſe: Bruder ſchlaͤfſtu? Der gegenhal fragte gleich alſo: ob er ſchlief- fe? Ja er wiederhohlete dieſe worte etliche mahl: und wie oft er ſie wiederhohlte/ ſo oft warden ſie ihm nach- geſprochen. Ruben gedachte an den widerſchal gantz nicht. Daruͤm ward er uͤber dieſen nachruf ſeiner wor- te ſo beſtuͤrtzt/ daß er nicht wuſte/ wie ihm geſchahe. Er ſtund im zweifel/ ob Joſef ſelbſt/ oder aber ſein Geiſt/ mit ihm redete. Zum allerletzten rief er: Ach! liebſter Bruder/ biſtu todt? Da hoͤrete er/ was er fuͤrchtete zu hoͤren/ und nicht zu hoͤren wuͤndſchte/ das letzte wort todt widerſchallen. Ach! ſagte er darauf/ biſtu todt? Ach! wolte Gott! ich were vor dich geſtorben. Man kan ihm leicht einbilden/ wie dem guhten Ru- ben zu muhte geweſen. Die traͤhnen/ die er vergos/ wa-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/100
Zitationshilfe: Zesen, Philipp von: Assenat. Amsterdam, 1670, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zesen_assenat_1670/100>, abgerufen am 29.11.2024.