Zachariae, Justus Friedrich Wilhelm: Poetische Schriften. Bd. 4. [Braunschweig], [1764].Der Morgen. Die im Handschuh des Nachts die Farbe noch weissergekünstelt. Jetzo setzt er sich kühn an ihre Seite. Sie blicket Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit siegenden Minen Jhn zu bezaubern. Wie künstlich weiß sie die Reizun- gen alle Zu verrathen, die sie in seinen Augen verschönern. Bald zeigt sie den blendenden Arm; bald wirft sie im Sprechen Jhren Mantel zurück, und alle Schönheit des Busens Schwillt vor seinem Verlangen empor; sein Auge wird wilder, Feuriger wallet sein Blut; die sonst geschwätzige Zunge Stockt. Sie sieht es, und lacht; der Gott der flüchti- gen Liebe Jauchzet; die Keuschheit entflieht, und sie führt ihren Verehrer An den Siegeswagen geschlossen, zum stolzen Triumph fort. Und am Nachttisch nicht nur empfängt, die entar- tete Schöne, Den wildliebenden Jüngling: von Frankreichs Sitten verdorben, Nimmt sie oft seinen Besuch noch halb in den Armen des Schlafs an. Und
Der Morgen. Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſergekuͤnſtelt. Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun- gen alle Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern. Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im Sprechen Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird wilder, Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti- gen Liebe Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren Verehrer An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph fort. Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar- tete Schoͤne, Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten verdorben, Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen des Schlafs an. Und
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Der Morgen.
Die im Handſchuh des Nachts die Farbe noch weiſſer
gekuͤnſtelt.
Jetzo ſetzt er ſich kuͤhn an ihre Seite. Sie blicket
Jhm Ermunterung zu, und eilt, mit ſiegenden Minen
Jhn zu bezaubern. Wie kuͤnſtlich weiß ſie die Reizun-
gen alle
Zu verrathen, die ſie in ſeinen Augen verſchoͤnern.
Bald zeigt ſie den blendenden Arm; bald wirft ſie im
Sprechen
Jhren Mantel zuruͤck, und alle Schoͤnheit des Buſens
Schwillt vor ſeinem Verlangen empor; ſein Auge wird
wilder,
Feuriger wallet ſein Blut; die ſonſt geſchwaͤtzige Zunge
Stockt. Sie ſieht es, und lacht; der Gott der fluͤchti-
gen Liebe
Jauchzet; die Keuſchheit entflieht, und ſie fuͤhrt ihren
Verehrer
An den Siegeswagen geſchloſſen, zum ſtolzen Triumph
fort.
Und am Nachttiſch nicht nur empfaͤngt, die entar-
tete Schoͤne,
Den wildliebenden Juͤngling: von Frankreichs Sitten
verdorben,
Nimmt ſie oft ſeinen Beſuch noch halb in den Armen
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