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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Wechselwirkung elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus.

Am zweckmässigsten bestimmt man die Richtung des Erdstroms mittelst der
Weber'schen Bifilarrolle (s. §. 334), von der wir schon erwähnt haben, dass sie
eine zur Richtung des magnetischen Meridians senkrechte Diurectionskraft besitzt.
Diese Drehung eines um eine verticale Axe beweglichen Stroms entspricht der Decli-
nation der Magnetnadel. Ebenso nimmt ein um eine horizontale Axe beweglicher und
äquilibrirter Leiter, der von einem Strome durchflossen wird, eine Inclinationsstel-
lung an, die zur Richtung der Inclinationsnadel senkrecht ist, woraus folgt, dass der
Erdstrom in der zur Richtung der Inclinationsnadel senkrechten Ebene fliesst.

Wenn man statt des einzelnen kreisförmigen Leiters a b c d in337
Das Solenoid.
Zurückführung
des Magnetis-
mus auf elemen-
tare Kreisströme

Fig. 232 eine grössere Zahl solcher Leiter, die hinter einander liegen,
von gleichgerichteten Strömen durchfliessen lässt, so gewinnt man ein
System von Kreisströmen, welches von Ampere als ein Solenoid
bezeichnet wurde. Um die Wirkung eines derartigen Systems zu un
tersuchen, winde man (Fig. 233) über einer Glasröhre bei a beginnend
einen Draht schraubenförmig auf bis nach S, ziehe dann den Draht
gradlinig durch die Mitte der Glasröhre von S bis N, und winde von

[Abbildung] Fig. 233.
hier aus wieder schraubenförmig bis nach b. Man erhält so einen Lei-
ter, der einem Solenoid völlig gleichwerthig ist. Jede einzelne Schrau-
benwindung kann man sich nämlich zerlegt denken in einen Kreis-
strom und in einen geradlinigen Strom, der zum nächsten Kreisstrom
geht; die Wirkung des letztern wird aber durch den in entgegenge-
setzter Richtung laufenden geradlinigen Strom, welcher dem geraden
Drahte S N angehört, aufgehoben, es bleibt also nur die Wirkung der
Kreisströme übrig. Ampere hat eine solche, dem Solenoid substi-
tuirte Vorrichtung einen elektrodynamischen Cylinder genannt.
Lässt man durch denselben einen Strom von a nach b, also in der
Richtung der Pfeile fliessen, so wird jeder einzelne Kreisstrom sich
wie der Strom a b c (Fig. 232) verhalten. Hängt man den Cylinder
bei a und b um eine verticale Axe drehbar auf, so erhält jeder ein-
zelne Kreisstrom und demgemäss auch der ganze Cylinder durch einen
unter ihm fliessenden unbegrenzten Strom x y eine Directionskraft.
Hat der Strom x y die durch den Pfeil angegebene Richtung von x
nach y, so bleibt der elektrodynamische Cylinder mit ihm in gleicher
Ebene. Hat dagegen der unbegrenzte Strom die Richtung y x, so

Wechselwirkung elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus.

Am zweckmässigsten bestimmt man die Richtung des Erdstroms mittelst der
Weber’schen Bifilarrolle (s. §. 334), von der wir schon erwähnt haben, dass sie
eine zur Richtung des magnetischen Meridians senkrechte Diurectionskraft besitzt.
Diese Drehung eines um eine verticale Axe beweglichen Stroms entspricht der Decli-
nation der Magnetnadel. Ebenso nimmt ein um eine horizontale Axe beweglicher und
äquilibrirter Leiter, der von einem Strome durchflossen wird, eine Inclinationsstel-
lung an, die zur Richtung der Inclinationsnadel senkrecht ist, woraus folgt, dass der
Erdstrom in der zur Richtung der Inclinationsnadel senkrechten Ebene fliesst.

Wenn man statt des einzelnen kreisförmigen Leiters a b c d in337
Das Solenoïd.
Zurückführung
des Magnetis-
mus auf elemen-
tare Kreisströme

Fig. 232 eine grössere Zahl solcher Leiter, die hinter einander liegen,
von gleichgerichteten Strömen durchfliessen lässt, so gewinnt man ein
System von Kreisströmen, welches von Ampère als ein Solenoïd
bezeichnet wurde. Um die Wirkung eines derartigen Systems zu un
tersuchen, winde man (Fig. 233) über einer Glasröhre bei a beginnend
einen Draht schraubenförmig auf bis nach S, ziehe dann den Draht
gradlinig durch die Mitte der Glasröhre von S bis N, und winde von

[Abbildung] Fig. 233.
hier aus wieder schraubenförmig bis nach b. Man erhält so einen Lei-
ter, der einem Solenoïd völlig gleichwerthig ist. Jede einzelne Schrau-
benwindung kann man sich nämlich zerlegt denken in einen Kreis-
strom und in einen geradlinigen Strom, der zum nächsten Kreisstrom
geht; die Wirkung des letztern wird aber durch den in entgegenge-
setzter Richtung laufenden geradlinigen Strom, welcher dem geraden
Drahte S N angehört, aufgehoben, es bleibt also nur die Wirkung der
Kreisströme übrig. Ampère hat eine solche, dem Solenoïd substi-
tuirte Vorrichtung einen elektrodynamischen Cylinder genannt.
Lässt man durch denselben einen Strom von a nach b, also in der
Richtung der Pfeile fliessen, so wird jeder einzelne Kreisstrom sich
wie der Strom a b c (Fig. 232) verhalten. Hängt man den Cylinder
bei a und b um eine verticale Axe drehbar auf, so erhält jeder ein-
zelne Kreisstrom und demgemäss auch der ganze Cylinder durch einen
unter ihm fliessenden unbegrenzten Strom x y eine Directionskraft.
Hat der Strom x y die durch den Pfeil angegebene Richtung von x
nach y, so bleibt der elektrodynamische Cylinder mit ihm in gleicher
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[517/0539] Wechselwirkung elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. Am zweckmässigsten bestimmt man die Richtung des Erdstroms mittelst der Weber’schen Bifilarrolle (s. §. 334), von der wir schon erwähnt haben, dass sie eine zur Richtung des magnetischen Meridians senkrechte Diurectionskraft besitzt. Diese Drehung eines um eine verticale Axe beweglichen Stroms entspricht der Decli- nation der Magnetnadel. Ebenso nimmt ein um eine horizontale Axe beweglicher und äquilibrirter Leiter, der von einem Strome durchflossen wird, eine Inclinationsstel- lung an, die zur Richtung der Inclinationsnadel senkrecht ist, woraus folgt, dass der Erdstrom in der zur Richtung der Inclinationsnadel senkrechten Ebene fliesst. Wenn man statt des einzelnen kreisförmigen Leiters a b c d in Fig. 232 eine grössere Zahl solcher Leiter, die hinter einander liegen, von gleichgerichteten Strömen durchfliessen lässt, so gewinnt man ein System von Kreisströmen, welches von Ampère als ein Solenoïd bezeichnet wurde. Um die Wirkung eines derartigen Systems zu un tersuchen, winde man (Fig. 233) über einer Glasröhre bei a beginnend einen Draht schraubenförmig auf bis nach S, ziehe dann den Draht gradlinig durch die Mitte der Glasröhre von S bis N, und winde von [Abbildung Fig. 233.] hier aus wieder schraubenförmig bis nach b. Man erhält so einen Lei- ter, der einem Solenoïd völlig gleichwerthig ist. Jede einzelne Schrau- benwindung kann man sich nämlich zerlegt denken in einen Kreis- strom und in einen geradlinigen Strom, der zum nächsten Kreisstrom geht; die Wirkung des letztern wird aber durch den in entgegenge- setzter Richtung laufenden geradlinigen Strom, welcher dem geraden Drahte S N angehört, aufgehoben, es bleibt also nur die Wirkung der Kreisströme übrig. Ampère hat eine solche, dem Solenoïd substi- tuirte Vorrichtung einen elektrodynamischen Cylinder genannt. Lässt man durch denselben einen Strom von a nach b, also in der Richtung der Pfeile fliessen, so wird jeder einzelne Kreisstrom sich wie der Strom a b c (Fig. 232) verhalten. Hängt man den Cylinder bei a und b um eine verticale Axe drehbar auf, so erhält jeder ein- zelne Kreisstrom und demgemäss auch der ganze Cylinder durch einen unter ihm fliessenden unbegrenzten Strom x y eine Directionskraft. Hat der Strom x y die durch den Pfeil angegebene Richtung von x nach y, so bleibt der elektrodynamische Cylinder mit ihm in gleicher Ebene. Hat dagegen der unbegrenzte Strom die Richtung y x, so 337 Das Solenoïd. Zurückführung des Magnetis- mus auf elemen- tare Kreisströme

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/539>, abgerufen am 18.05.2024.