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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
beide zusammen ihre Anwendung fänden. Die Bewegungen der
Theile des menschlichen Scelets gegen einander beruhen auf Kräfte-
wirkungen an grossentheils einarmigen Hebeln. (Vergl. §. 65.) Unsere
unentbehrlichsten Werkzeuge sind die Hebel, denn der Umwandlung
von Kraft in Geschwindigkeit und von Geschwindigkeit in Kraft bedür-
fen wir immerwährend. Zange, Scheere und Pincette sind die gewöhn-
lichsten Hebel, die wir anwenden, und bei jedem dieser Instrumente
haben wir wohl darauf zu achten, ob wir des Kraft- oder des Ge-
schwindigkeitshebels und welchen Maasses von Kraft und von Geschwin-
digkeit wir bedürfen. Die Zange ist ein Krafthebel, und je stärker
sie wirken soll, um so kleiner muss der Hebelarm, mit welchem die
Wirkung geschieht, und um so grösser der Hebelarm sein, an welchem
wir unsere Kraft ausüben. Wo man nach Umständen verschiedener
Kraftwirkungen mit derselben Zange bedarf, da wählt man desshalb
oft, wenn es angeht, die Form des einarmigen Krafthebels, an welchem
sich die Entfernung der Last vom Unterstützungspunkt leichter variiren
lässt. Die Pincette ist ein einarmiger Geschwindigkeitshebel, nicht
weil man sie zur Erzeugung erheblicher Geschwindigkeiten bedürfte,
sondern weil man die Kraft, die man durch sie ausüben will, mässigen
möchte. Die Scheere hat meistens annähernde Gleichheit der Hebel-
arme, als Krafthebel wird sic zur schneidenden Zange. Sehr häufig ge-
brauchte Formen des Hebels sind ferner jene, bei denen (wie bei der
Waage, Rolle u. s. w.) die Schwerkraft zur Anwendung kommt; wir
werden im Capitel von der Schwere (§. 49 u. f.) auf dieselben zurück-
kommen.


23
Gleichförmige
Bewegung.

Wenn ein Körper oder materieller Punkt durch eine Kraft in Be-
wegung gesetzt wird, und die Kraft hört alsdann zu wirken auf, so
setzt derselbe trotzdem seine Bewegung in geradliniger Richtung fort,
und zwar muss er, dem Princip der Trägheit zufolge, von dem Mo-
ment an, wo die Kraft aufhört zu wirken, in gleichförmiger Geschwin-
digkeit verharren. Ein durch einen Stoss in Bewegung gesetzter Kör-
per, auf den weiter keine Kraft einwirkt, muss also in gleichen Zeiten
gleiche Wegstrecken zurücklegen, und wenn man den Weg kennt, den
er in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, so lässt sich der Weg,
den er in irgend einer beliebigen Zeit zurücklegen wird, vorausbestim-
men. Um die Geschwindigkeit verschiedener gleichförmig bewegter
Körper vergleichen zu können, misst man diejenige Wegstrecke, die
ein jeder in der zu allen Messungen dienenden Zeiteinheit, in der Se-
cunde
zurücklegt. Den in einer Secunde zurückgelegten Weg nennt
man daher auch geradezu die Geschwindigkeit oder, bei genaue-
rer Bezeichnung, die Secundengeschwindigkeit des gleichförmig beweg-
ten Körpers. Der nach einer bestimmten in Secunden gemessenen

Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
beide zusammen ihre Anwendung fänden. Die Bewegungen der
Theile des menschlichen Scelets gegen einander beruhen auf Kräfte-
wirkungen an grossentheils einarmigen Hebeln. (Vergl. §. 65.) Unsere
unentbehrlichsten Werkzeuge sind die Hebel, denn der Umwandlung
von Kraft in Geschwindigkeit und von Geschwindigkeit in Kraft bedür-
fen wir immerwährend. Zange, Scheere und Pincette sind die gewöhn-
lichsten Hebel, die wir anwenden, und bei jedem dieser Instrumente
haben wir wohl darauf zu achten, ob wir des Kraft- oder des Ge-
schwindigkeitshebels und welchen Maasses von Kraft und von Geschwin-
digkeit wir bedürfen. Die Zange ist ein Krafthebel, und je stärker
sie wirken soll, um so kleiner muss der Hebelarm, mit welchem die
Wirkung geschieht, und um so grösser der Hebelarm sein, an welchem
wir unsere Kraft ausüben. Wo man nach Umständen verschiedener
Kraftwirkungen mit derselben Zange bedarf, da wählt man desshalb
oft, wenn es angeht, die Form des einarmigen Krafthebels, an welchem
sich die Entfernung der Last vom Unterstützungspunkt leichter variiren
lässt. Die Pincette ist ein einarmiger Geschwindigkeitshebel, nicht
weil man sie zur Erzeugung erheblicher Geschwindigkeiten bedürfte,
sondern weil man die Kraft, die man durch sie ausüben will, mässigen
möchte. Die Scheere hat meistens annähernde Gleichheit der Hebel-
arme, als Krafthebel wird sic zur schneidenden Zange. Sehr häufig ge-
brauchte Formen des Hebels sind ferner jene, bei denen (wie bei der
Waage, Rolle u. s. w.) die Schwerkraft zur Anwendung kommt; wir
werden im Capitel von der Schwere (§. 49 u. f.) auf dieselben zurück-
kommen.


23
Gleichförmige
Bewegung.

Wenn ein Körper oder materieller Punkt durch eine Kraft in Be-
wegung gesetzt wird, und die Kraft hört alsdann zu wirken auf, so
setzt derselbe trotzdem seine Bewegung in geradliniger Richtung fort,
und zwar muss er, dem Princip der Trägheit zufolge, von dem Mo-
ment an, wo die Kraft aufhört zu wirken, in gleichförmiger Geschwin-
digkeit verharren. Ein durch einen Stoss in Bewegung gesetzter Kör-
per, auf den weiter keine Kraft einwirkt, muss also in gleichen Zeiten
gleiche Wegstrecken zurücklegen, und wenn man den Weg kennt, den
er in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, so lässt sich der Weg,
den er in irgend einer beliebigen Zeit zurücklegen wird, vorausbestim-
men. Um die Geschwindigkeit verschiedener gleichförmig bewegter
Körper vergleichen zu können, misst man diejenige Wegstrecke, die
ein jeder in der zu allen Messungen dienenden Zeiteinheit, in der Se-
cunde
zurücklegt. Den in einer Secunde zurückgelegten Weg nennt
man daher auch geradezu die Geschwindigkeit oder, bei genaue-
rer Bezeichnung, die Secundengeschwindigkeit des gleichförmig beweg-
ten Körpers. Der nach einer bestimmten in Secunden gemessenen

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[28/0050] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. beide zusammen ihre Anwendung fänden. Die Bewegungen der Theile des menschlichen Scelets gegen einander beruhen auf Kräfte- wirkungen an grossentheils einarmigen Hebeln. (Vergl. §. 65.) Unsere unentbehrlichsten Werkzeuge sind die Hebel, denn der Umwandlung von Kraft in Geschwindigkeit und von Geschwindigkeit in Kraft bedür- fen wir immerwährend. Zange, Scheere und Pincette sind die gewöhn- lichsten Hebel, die wir anwenden, und bei jedem dieser Instrumente haben wir wohl darauf zu achten, ob wir des Kraft- oder des Ge- schwindigkeitshebels und welchen Maasses von Kraft und von Geschwin- digkeit wir bedürfen. Die Zange ist ein Krafthebel, und je stärker sie wirken soll, um so kleiner muss der Hebelarm, mit welchem die Wirkung geschieht, und um so grösser der Hebelarm sein, an welchem wir unsere Kraft ausüben. Wo man nach Umständen verschiedener Kraftwirkungen mit derselben Zange bedarf, da wählt man desshalb oft, wenn es angeht, die Form des einarmigen Krafthebels, an welchem sich die Entfernung der Last vom Unterstützungspunkt leichter variiren lässt. Die Pincette ist ein einarmiger Geschwindigkeitshebel, nicht weil man sie zur Erzeugung erheblicher Geschwindigkeiten bedürfte, sondern weil man die Kraft, die man durch sie ausüben will, mässigen möchte. Die Scheere hat meistens annähernde Gleichheit der Hebel- arme, als Krafthebel wird sic zur schneidenden Zange. Sehr häufig ge- brauchte Formen des Hebels sind ferner jene, bei denen (wie bei der Waage, Rolle u. s. w.) die Schwerkraft zur Anwendung kommt; wir werden im Capitel von der Schwere (§. 49 u. f.) auf dieselben zurück- kommen. Wenn ein Körper oder materieller Punkt durch eine Kraft in Be- wegung gesetzt wird, und die Kraft hört alsdann zu wirken auf, so setzt derselbe trotzdem seine Bewegung in geradliniger Richtung fort, und zwar muss er, dem Princip der Trägheit zufolge, von dem Mo- ment an, wo die Kraft aufhört zu wirken, in gleichförmiger Geschwin- digkeit verharren. Ein durch einen Stoss in Bewegung gesetzter Kör- per, auf den weiter keine Kraft einwirkt, muss also in gleichen Zeiten gleiche Wegstrecken zurücklegen, und wenn man den Weg kennt, den er in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, so lässt sich der Weg, den er in irgend einer beliebigen Zeit zurücklegen wird, vorausbestim- men. Um die Geschwindigkeit verschiedener gleichförmig bewegter Körper vergleichen zu können, misst man diejenige Wegstrecke, die ein jeder in der zu allen Messungen dienenden Zeiteinheit, in der Se- cunde zurücklegt. Den in einer Secunde zurückgelegten Weg nennt man daher auch geradezu die Geschwindigkeit oder, bei genaue- rer Bezeichnung, die Secundengeschwindigkeit des gleichförmig beweg- ten Körpers. Der nach einer bestimmten in Secunden gemessenen

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/50>, abgerufen am 27.11.2024.