Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
man in der That durchweg bei den wenigen im Wasser lebenden
Warmblütern antrifft.

Um eine exacte Kenntniss von der Wärmeökonomie des Thier-
körpers zu gewinnen, müssten wir streng genommen 1) die Orte und
die an jedem Ort stattfindenden Grade der Wärmebildung, sowie 2) die
Leitungsfähigkeit aller Organe und Gewebe des Körpers kennen.
Hierzu fehlen bis jetzt so gut wie alle Data. Da jedoch durch das
Blut die sämmtlichen innern Organe des Körpers in fortwährender
Wechselwirkung mit einander stehen, so kann man annehmen, dass
die etwa bestehenden Ungleichheiten der Temperatur fortwährend sich
ausgleichen, und dass daher alle inneren Theile des Körpers fort-
während dieselbe Temperatur besitzen. Diese Annahme findet ihre
Berechtigung darin, dass sowohl das Blut des rechten und des lin-
ken Herzens und einzelner Organe wie die verschiedenen der Tem-
peraturmessung zugänglichen Höhlen des Körpers (Mundhöhle, Mast-
darm) in der Regel nur sehr geringfügige Temperaturunterschiede er-
kennen lassen. Wir können uns daher vorstellen, alle innern Theile
des Körpers bildeten ein Ganzes, das ungefähr die Leitungsfähigkeit
des Wassers besitzt (was bei der Durchtränkung aller Gewebe mit
Wasser jedenfalls nahe zutreffend ist), und dem im Mittel in der Mi-
nute 1,87 Wärmeeinheiten, jedem Kilogr. desselben also (da der Kör-
per ungefähr 60 Kilogr. schwer ist) 0,0211 Wärmeeinheiten zugeführt
werden. Nach aussen ist nun der Körper überzogen von einer die
Wärme schlecht leitenden Schichte; es ist dies die mit einem Fett-
polster versehene Haut. Die Haut selbst ist von einer ziemlich wech-
selnden Temperatur, abgesehen von solchen Stellen, wo sie sich, wie
in der Achselhöhle, in eine gegen aussen fast völlig abgeschlossene
Falte legen lässt, und wo sie daher bald die innere Temperatur des
Körpers annimmt, daher man auch diese Stelle am zweckmässigsten
zu Temperaturmessungen benützt. In der Haut befinden sich die Com-
pensationsvorrichtungen, welche das Verhältniss zwischen Wärmeab-
leitung und Wärmebildung näher reguliren, die Blutgefässe und
die Schweissdrüsen. Indem das Lumen der ersteren abwechselnd
zu- oder abnehmen kann, wird bald mehr bald weniger von dem im
Innern erwärmten Blut an der Oberfläche vorbeibewegt und so durch
Leitung und Strahlung an die Umgebung ein wechselndes Quantum
Wärme dem Innern des Körpers entzogen. Da nun die äussere Kälte
zugleich auf die Gefässmuskeln in unserer Haut eine contrahirende,
die Wärme eine dilatirende Wirkung ausübt, so treten durch den un-
mittelbaren Einfluss der Aussentemperatur auf die Haut in dieser jene
Compensationsvorrichtungen in Thätigkeit, welche die Ableitung der
Wärme vermindern. Eine wesentliche Unterstützung bilden hierbei
noch die Schweissdrüsen. Fortwährend verdunstet Wasser aus den
Oeffnungen der letzteren an der Hautoberfläche, dabei wird aber

Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.
man in der That durchweg bei den wenigen im Wasser lebenden
Warmblütern antrifft.

Um eine exacte Kenntniss von der Wärmeökonomie des Thier-
körpers zu gewinnen, müssten wir streng genommen 1) die Orte und
die an jedem Ort stattfindenden Grade der Wärmebildung, sowie 2) die
Leitungsfähigkeit aller Organe und Gewebe des Körpers kennen.
Hierzu fehlen bis jetzt so gut wie alle Data. Da jedoch durch das
Blut die sämmtlichen innern Organe des Körpers in fortwährender
Wechselwirkung mit einander stehen, so kann man annehmen, dass
die etwa bestehenden Ungleichheiten der Temperatur fortwährend sich
ausgleichen, und dass daher alle inneren Theile des Körpers fort-
während dieselbe Temperatur besitzen. Diese Annahme findet ihre
Berechtigung darin, dass sowohl das Blut des rechten und des lin-
ken Herzens und einzelner Organe wie die verschiedenen der Tem-
peraturmessung zugänglichen Höhlen des Körpers (Mundhöhle, Mast-
darm) in der Regel nur sehr geringfügige Temperaturunterschiede er-
kennen lassen. Wir können uns daher vorstellen, alle innern Theile
des Körpers bildeten ein Ganzes, das ungefähr die Leitungsfähigkeit
des Wassers besitzt (was bei der Durchtränkung aller Gewebe mit
Wasser jedenfalls nahe zutreffend ist), und dem im Mittel in der Mi-
nute 1,87 Wärmeeinheiten, jedem Kilogr. desselben also (da der Kör-
per ungefähr 60 Kilogr. schwer ist) 0,0211 Wärmeeinheiten zugeführt
werden. Nach aussen ist nun der Körper überzogen von einer die
Wärme schlecht leitenden Schichte; es ist dies die mit einem Fett-
polster versehene Haut. Die Haut selbst ist von einer ziemlich wech-
selnden Temperatur, abgesehen von solchen Stellen, wo sie sich, wie
in der Achselhöhle, in eine gegen aussen fast völlig abgeschlossene
Falte legen lässt, und wo sie daher bald die innere Temperatur des
Körpers annimmt, daher man auch diese Stelle am zweckmässigsten
zu Temperaturmessungen benützt. In der Haut befinden sich die Com-
pensationsvorrichtungen, welche das Verhältniss zwischen Wärmeab-
leitung und Wärmebildung näher reguliren, die Blutgefässe und
die Schweissdrüsen. Indem das Lumen der ersteren abwechselnd
zu- oder abnehmen kann, wird bald mehr bald weniger von dem im
Innern erwärmten Blut an der Oberfläche vorbeibewegt und so durch
Leitung und Strahlung an die Umgebung ein wechselndes Quantum
Wärme dem Innern des Körpers entzogen. Da nun die äussere Kälte
zugleich auf die Gefässmuskeln in unserer Haut eine contrahirende,
die Wärme eine dilatirende Wirkung ausübt, so treten durch den un-
mittelbaren Einfluss der Aussentemperatur auf die Haut in dieser jene
Compensationsvorrichtungen in Thätigkeit, welche die Ableitung der
Wärme vermindern. Eine wesentliche Unterstützung bilden hierbei
noch die Schweissdrüsen. Fortwährend verdunstet Wasser aus den
Oeffnungen der letzteren an der Hautoberfläche, dabei wird aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0453" n="431"/><fw place="top" type="header">Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen.</fw><lb/>
man in der That durchweg bei den wenigen im Wasser lebenden<lb/>
Warmblütern antrifft.</p><lb/>
          <p>Um eine exacte Kenntniss von der Wärmeökonomie des Thier-<lb/>
körpers zu gewinnen, müssten wir streng genommen 1) die Orte und<lb/>
die an jedem Ort stattfindenden Grade der Wärmebildung, sowie 2) die<lb/>
Leitungsfähigkeit aller Organe und Gewebe des Körpers kennen.<lb/>
Hierzu fehlen bis jetzt so gut wie alle Data. Da jedoch durch das<lb/>
Blut die sämmtlichen innern Organe des Körpers in fortwährender<lb/>
Wechselwirkung mit einander stehen, so kann man annehmen, dass<lb/>
die etwa bestehenden Ungleichheiten der Temperatur fortwährend sich<lb/>
ausgleichen, und dass daher alle <hi rendition="#g">inneren</hi> Theile des Körpers fort-<lb/>
während dieselbe Temperatur besitzen. Diese Annahme findet ihre<lb/>
Berechtigung darin, dass sowohl das Blut des rechten und des lin-<lb/>
ken Herzens und einzelner Organe wie die verschiedenen der Tem-<lb/>
peraturmessung zugänglichen Höhlen des Körpers (Mundhöhle, Mast-<lb/>
darm) in der Regel nur sehr geringfügige Temperaturunterschiede er-<lb/>
kennen lassen. Wir können uns daher vorstellen, alle innern Theile<lb/>
des Körpers bildeten ein Ganzes, das ungefähr die Leitungsfähigkeit<lb/>
des Wassers besitzt (was bei der Durchtränkung aller Gewebe mit<lb/>
Wasser jedenfalls nahe zutreffend ist), und dem im Mittel in der Mi-<lb/>
nute 1,87 Wärmeeinheiten, jedem Kilogr. desselben also (da der Kör-<lb/>
per ungefähr 60 Kilogr. schwer ist) 0,0211 Wärmeeinheiten zugeführt<lb/>
werden. Nach aussen ist nun der Körper überzogen von einer die<lb/>
Wärme schlecht leitenden Schichte; es ist dies die mit einem Fett-<lb/>
polster versehene Haut. Die Haut selbst ist von einer ziemlich wech-<lb/>
selnden Temperatur, abgesehen von solchen Stellen, wo sie sich, wie<lb/>
in der Achselhöhle, in eine gegen aussen fast völlig abgeschlossene<lb/>
Falte legen lässt, und wo sie daher bald die innere Temperatur des<lb/>
Körpers annimmt, daher man auch diese Stelle am zweckmässigsten<lb/>
zu Temperaturmessungen benützt. In der Haut befinden sich die Com-<lb/>
pensationsvorrichtungen, welche das Verhältniss zwischen Wärmeab-<lb/>
leitung und Wärmebildung näher reguliren, die <hi rendition="#g">Blutgefässe</hi> und<lb/>
die <hi rendition="#g">Schweissdrüsen</hi>. Indem das Lumen der ersteren abwechselnd<lb/>
zu- oder abnehmen kann, wird bald mehr bald weniger von dem im<lb/>
Innern erwärmten Blut an der Oberfläche vorbeibewegt und so durch<lb/>
Leitung und Strahlung an die Umgebung ein wechselndes Quantum<lb/>
Wärme dem Innern des Körpers entzogen. Da nun die äussere Kälte<lb/>
zugleich auf die Gefässmuskeln in unserer Haut eine contrahirende,<lb/>
die Wärme eine dilatirende Wirkung ausübt, so treten durch den un-<lb/>
mittelbaren Einfluss der Aussentemperatur auf die Haut in dieser jene<lb/>
Compensationsvorrichtungen in Thätigkeit, welche die Ableitung der<lb/>
Wärme vermindern. Eine wesentliche Unterstützung bilden hierbei<lb/>
noch die Schweissdrüsen. Fortwährend verdunstet Wasser aus den<lb/>
Oeffnungen der letzteren an der Hautoberfläche, dabei wird aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0453] Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. man in der That durchweg bei den wenigen im Wasser lebenden Warmblütern antrifft. Um eine exacte Kenntniss von der Wärmeökonomie des Thier- körpers zu gewinnen, müssten wir streng genommen 1) die Orte und die an jedem Ort stattfindenden Grade der Wärmebildung, sowie 2) die Leitungsfähigkeit aller Organe und Gewebe des Körpers kennen. Hierzu fehlen bis jetzt so gut wie alle Data. Da jedoch durch das Blut die sämmtlichen innern Organe des Körpers in fortwährender Wechselwirkung mit einander stehen, so kann man annehmen, dass die etwa bestehenden Ungleichheiten der Temperatur fortwährend sich ausgleichen, und dass daher alle inneren Theile des Körpers fort- während dieselbe Temperatur besitzen. Diese Annahme findet ihre Berechtigung darin, dass sowohl das Blut des rechten und des lin- ken Herzens und einzelner Organe wie die verschiedenen der Tem- peraturmessung zugänglichen Höhlen des Körpers (Mundhöhle, Mast- darm) in der Regel nur sehr geringfügige Temperaturunterschiede er- kennen lassen. Wir können uns daher vorstellen, alle innern Theile des Körpers bildeten ein Ganzes, das ungefähr die Leitungsfähigkeit des Wassers besitzt (was bei der Durchtränkung aller Gewebe mit Wasser jedenfalls nahe zutreffend ist), und dem im Mittel in der Mi- nute 1,87 Wärmeeinheiten, jedem Kilogr. desselben also (da der Kör- per ungefähr 60 Kilogr. schwer ist) 0,0211 Wärmeeinheiten zugeführt werden. Nach aussen ist nun der Körper überzogen von einer die Wärme schlecht leitenden Schichte; es ist dies die mit einem Fett- polster versehene Haut. Die Haut selbst ist von einer ziemlich wech- selnden Temperatur, abgesehen von solchen Stellen, wo sie sich, wie in der Achselhöhle, in eine gegen aussen fast völlig abgeschlossene Falte legen lässt, und wo sie daher bald die innere Temperatur des Körpers annimmt, daher man auch diese Stelle am zweckmässigsten zu Temperaturmessungen benützt. In der Haut befinden sich die Com- pensationsvorrichtungen, welche das Verhältniss zwischen Wärmeab- leitung und Wärmebildung näher reguliren, die Blutgefässe und die Schweissdrüsen. Indem das Lumen der ersteren abwechselnd zu- oder abnehmen kann, wird bald mehr bald weniger von dem im Innern erwärmten Blut an der Oberfläche vorbeibewegt und so durch Leitung und Strahlung an die Umgebung ein wechselndes Quantum Wärme dem Innern des Körpers entzogen. Da nun die äussere Kälte zugleich auf die Gefässmuskeln in unserer Haut eine contrahirende, die Wärme eine dilatirende Wirkung ausübt, so treten durch den un- mittelbaren Einfluss der Aussentemperatur auf die Haut in dieser jene Compensationsvorrichtungen in Thätigkeit, welche die Ableitung der Wärme vermindern. Eine wesentliche Unterstützung bilden hierbei noch die Schweissdrüsen. Fortwährend verdunstet Wasser aus den Oeffnungen der letzteren an der Hautoberfläche, dabei wird aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/453
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/453>, abgerufen am 22.12.2024.