Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Man schreibt daher den Gasen, gegenüber der Cohäsionskraft der festen Körper, eine Expansivkraft zu. Offenbar muss der gasförmige Aggregatzustand auf ein Ueberwiegen der abstossenden Kräfte zwischen den Atomen zurückgeführt werden.
16 Wechsel des Aggregatzu- standes.
Ein und derselbe Körper kann in den drei Aggregatzuständen vorkommen. Unter dem Einfluss der Wärme werden feste Körper flüssig, indem sie zugleich ihr Volum vergrössern, und gehen Flüssig- keiten unter noch weiterer Zunahme des Volumens in Gase über. Man darf hieraus schliessen, dass sich die wägbaren Atome im festen Aggre- gatzustand am nächsten, im gasförmigen dagegen am fernsten sind. Darnach sind die Unterschiede der Aggregatzustände leicht aus der Atomtheorie abzuleiten. Da nämlich die anziehenden Kräfte der wäg- baren Atome mit der Annäherung zunehmen, so muss, wenn sich diese Atome bei der Volumänderung von einander entfernen, ein Punkt ein- treten, wo ihre Anziehungskräfte nur noch sehr gering sind, so dass zwar die einzelnen Molecüle noch an einander haften, aber durch sehr kleine äussere Kräfte, wie z. B. durch ihre eigene Schwere, schon von einander getrennt werden können: in diesem Fall ist der feste Körper zur Flüssigkeit geworden. Bei noch weiterer Vergrösserung des Volu- mens endlich muss ein Punkt eintreten, wo die abstossenden Kräfte, welche die Aetherhüllen der wägbaren Atome auf einander ausüben, über die Anziehungskräfte überwiegen: dann hat der Körper Expan- sivkraft erhalten, er ist in den gasförmigen Zustand übergetreten.
Von der hier als allgemeine Regel aufgestellten Volumänderung der Körper bei der Aenderung ihres Aggregatzustandes bildet das Wasser, welches beim Gefrieren an Volumen zunimmt, eine bekannte Ausnahme. Diese Ausnahme ist aber in der That nur eine schein- bare, da das Eis ein krystallisirter Körper ist, in welchem die Molecüle nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene gegenseitige Entfer- nung besitzen. Das Volum ist abhängig von der Distanz in allen Richtungen, während eine Annäherung der Molecüle in einer einzigen Richtung schon zur Herbeiführung des festen Aggregatzustandes ge- nügen kann. Ueber den Grund, wesshalb die Temperaturveränderung die Distanzverhältnisse der Atome und dadurch die Aggregatzustände verändert, wird in der Lehre von der Wärme gehandelt werden.
Drittes Capitel. Die Gesetze der Bewegung.
17 Gleichgewicht und Bewegung.
Da alle Veränderungen in der Natur auf Bewegungen zurückge- führt werden können, so muss die Untersuchung der allgemeinen Ge- setze der Bewegung die erste Aufgabe der Naturlehre sein. Ehe man aber die Bewegungsgesetze erörtert, muss festgestellt sein, unter wel- chen Bedingungen überhaupt Bewegungen stattfinden. Mit dieser Vor-
Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Man schreibt daher den Gasen, gegenüber der Cohäsionskraft der festen Körper, eine Expansivkraft zu. Offenbar muss der gasförmige Aggregatzustand auf ein Ueberwiegen der abstossenden Kräfte zwischen den Atomen zurückgeführt werden.
16 Wechsel des Aggregatzu- standes.
Ein und derselbe Körper kann in den drei Aggregatzuständen vorkommen. Unter dem Einfluss der Wärme werden feste Körper flüssig, indem sie zugleich ihr Volum vergrössern, und gehen Flüssig- keiten unter noch weiterer Zunahme des Volumens in Gase über. Man darf hieraus schliessen, dass sich die wägbaren Atome im festen Aggre- gatzustand am nächsten, im gasförmigen dagegen am fernsten sind. Darnach sind die Unterschiede der Aggregatzustände leicht aus der Atomtheorie abzuleiten. Da nämlich die anziehenden Kräfte der wäg- baren Atome mit der Annäherung zunehmen, so muss, wenn sich diese Atome bei der Volumänderung von einander entfernen, ein Punkt ein- treten, wo ihre Anziehungskräfte nur noch sehr gering sind, so dass zwar die einzelnen Molecüle noch an einander haften, aber durch sehr kleine äussere Kräfte, wie z. B. durch ihre eigene Schwere, schon von einander getrennt werden können: in diesem Fall ist der feste Körper zur Flüssigkeit geworden. Bei noch weiterer Vergrösserung des Volu- mens endlich muss ein Punkt eintreten, wo die abstossenden Kräfte, welche die Aetherhüllen der wägbaren Atome auf einander ausüben, über die Anziehungskräfte überwiegen: dann hat der Körper Expan- sivkraft erhalten, er ist in den gasförmigen Zustand übergetreten.
Von der hier als allgemeine Regel aufgestellten Volumänderung der Körper bei der Aenderung ihres Aggregatzustandes bildet das Wasser, welches beim Gefrieren an Volumen zunimmt, eine bekannte Ausnahme. Diese Ausnahme ist aber in der That nur eine schein- bare, da das Eis ein krystallisirter Körper ist, in welchem die Molecüle nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene gegenseitige Entfer- nung besitzen. Das Volum ist abhängig von der Distanz in allen Richtungen, während eine Annäherung der Molecüle in einer einzigen Richtung schon zur Herbeiführung des festen Aggregatzustandes ge- nügen kann. Ueber den Grund, wesshalb die Temperaturveränderung die Distanzverhältnisse der Atome und dadurch die Aggregatzustände verändert, wird in der Lehre von der Wärme gehandelt werden.
Drittes Capitel. Die Gesetze der Bewegung.
17 Gleichgewicht und Bewegung.
Da alle Veränderungen in der Natur auf Bewegungen zurückge- führt werden können, so muss die Untersuchung der allgemeinen Ge- setze der Bewegung die erste Aufgabe der Naturlehre sein. Ehe man aber die Bewegungsgesetze erörtert, muss festgestellt sein, unter wel- chen Bedingungen überhaupt Bewegungen stattfinden. Mit dieser Vor-
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[18/0040]
Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Man schreibt daher den Gasen, gegenüber der Cohäsionskraft der
festen Körper, eine Expansivkraft zu. Offenbar muss der gasförmige
Aggregatzustand auf ein Ueberwiegen der abstossenden Kräfte zwischen
den Atomen zurückgeführt werden.
Ein und derselbe Körper kann in den drei Aggregatzuständen
vorkommen. Unter dem Einfluss der Wärme werden feste Körper
flüssig, indem sie zugleich ihr Volum vergrössern, und gehen Flüssig-
keiten unter noch weiterer Zunahme des Volumens in Gase über. Man
darf hieraus schliessen, dass sich die wägbaren Atome im festen Aggre-
gatzustand am nächsten, im gasförmigen dagegen am fernsten sind.
Darnach sind die Unterschiede der Aggregatzustände leicht aus der
Atomtheorie abzuleiten. Da nämlich die anziehenden Kräfte der wäg-
baren Atome mit der Annäherung zunehmen, so muss, wenn sich diese
Atome bei der Volumänderung von einander entfernen, ein Punkt ein-
treten, wo ihre Anziehungskräfte nur noch sehr gering sind, so dass
zwar die einzelnen Molecüle noch an einander haften, aber durch sehr
kleine äussere Kräfte, wie z. B. durch ihre eigene Schwere, schon von
einander getrennt werden können: in diesem Fall ist der feste Körper
zur Flüssigkeit geworden. Bei noch weiterer Vergrösserung des Volu-
mens endlich muss ein Punkt eintreten, wo die abstossenden Kräfte,
welche die Aetherhüllen der wägbaren Atome auf einander ausüben,
über die Anziehungskräfte überwiegen: dann hat der Körper Expan-
sivkraft erhalten, er ist in den gasförmigen Zustand übergetreten.
Von der hier als allgemeine Regel aufgestellten Volumänderung
der Körper bei der Aenderung ihres Aggregatzustandes bildet das
Wasser, welches beim Gefrieren an Volumen zunimmt, eine bekannte
Ausnahme. Diese Ausnahme ist aber in der That nur eine schein-
bare, da das Eis ein krystallisirter Körper ist, in welchem die Molecüle
nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene gegenseitige Entfer-
nung besitzen. Das Volum ist abhängig von der Distanz in allen
Richtungen, während eine Annäherung der Molecüle in einer einzigen
Richtung schon zur Herbeiführung des festen Aggregatzustandes ge-
nügen kann. Ueber den Grund, wesshalb die Temperaturveränderung
die Distanzverhältnisse der Atome und dadurch die Aggregatzustände
verändert, wird in der Lehre von der Wärme gehandelt werden.
Drittes Capitel.
Die Gesetze der Bewegung.
Da alle Veränderungen in der Natur auf Bewegungen zurückge-
führt werden können, so muss die Untersuchung der allgemeinen Ge-
setze der Bewegung die erste Aufgabe der Naturlehre sein. Ehe man
aber die Bewegungsgesetze erörtert, muss festgestellt sein, unter wel-
chen Bedingungen überhaupt Bewegungen stattfinden. Mit dieser Vor-
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/40>, abgerufen am 26.11.2024.
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