Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen. der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formänderndenKräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen- der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh- nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück- kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei- nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht, Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei welcher zwischen Anziehungs- und Abstossungskräften Gleichgewicht herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die Träger jener Kräfte sind, die Atome genannt. Wenn man hiermit diesen Elementen, wie es der Name ausdrückt, die Eigenschaft der Untheilbarkeit zuerkennt, so darf dies übrigens nur in relativem Sinne genommen werden. Es soll dadurch nicht mehr gesagt sein, als dass jeder Körper aus einer sehr grossen Menge einzelner Kraftcentren besteht, ebenso wie er selber andern Körpern gegenüber ein einziges Kraftcentrum darstellt. Es steht also nicht nur frei sich die Atome selber noch unendlich theilbar zu denken, sondern man muss sogar zugeben, dass wir selbst physikalisch ein Element, das wir in Rücksicht auf gewisse Erscheinungen als eine letzte Einheit betrachten, oft hinsichtlich anderer Erscheinungen in noch weitere Ein- heiten zerlegen müssen. Die Atome sind, um es kurz auszudrücken, nicht die Elemente, in die man die Materie zerlegen kann, sondern diejenigen, in die man sie, durch die Erscheinungen genöthigt, zer- legen muss. Wenn man nun die Atome einfach als die Träger der Anziehungs- Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen. der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formänderndenKräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen- der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh- nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück- kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei- nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht, Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei welcher zwischen Anziehungs- und Abstossungskräften Gleichgewicht herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die Träger jener Kräfte sind, die Atome genannt. Wenn man hiermit diesen Elementen, wie es der Name ausdrückt, die Eigenschaft der Untheilbarkeit zuerkennt, so darf dies übrigens nur in relativem Sinne genommen werden. Es soll dadurch nicht mehr gesagt sein, als dass jeder Körper aus einer sehr grossen Menge einzelner Kraftcentren besteht, ebenso wie er selber andern Körpern gegenüber ein einziges Kraftcentrum darstellt. Es steht also nicht nur frei sich die Atome selber noch unendlich theilbar zu denken, sondern man muss sogar zugeben, dass wir selbst physikalisch ein Element, das wir in Rücksicht auf gewisse Erscheinungen als eine letzte Einheit betrachten, oft hinsichtlich anderer Erscheinungen in noch weitere Ein- heiten zerlegen müssen. Die Atome sind, um es kurz auszudrücken, nicht die Elemente, in die man die Materie zerlegen kann, sondern diejenigen, in die man sie, durch die Erscheinungen genöthigt, zer- legen muss. Wenn man nun die Atome einfach als die Träger der Anziehungs- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0037" n="15"/><fw place="top" type="header">Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen.</fw><lb/> der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formändernden<lb/> Kräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen-<lb/> der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh-<lb/> nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet<lb/> und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück-<lb/> kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei-<lb/> nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern<lb/> Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht,<lb/> Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem<lb/> Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers<lb/> über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese<lb/> natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei<lb/> welcher zwischen Anziehungs- und Abstossungskräften Gleichgewicht<lb/> herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die<lb/> Träger jener Kräfte sind, die <hi rendition="#g">Atome</hi> genannt. 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Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen.
der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formändernden
Kräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen-
der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh-
nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet
und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück-
kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei-
nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern
Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht,
Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem
Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers
über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese
natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei
welcher zwischen Anziehungs- und Abstossungskräften Gleichgewicht
herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die
Träger jener Kräfte sind, die Atome genannt. Wenn man hiermit
diesen Elementen, wie es der Name ausdrückt, die Eigenschaft der
Untheilbarkeit zuerkennt, so darf dies übrigens nur in relativem
Sinne genommen werden. Es soll dadurch nicht mehr gesagt
sein, als dass jeder Körper aus einer sehr grossen Menge einzelner
Kraftcentren besteht, ebenso wie er selber andern Körpern gegenüber
ein einziges Kraftcentrum darstellt. Es steht also nicht nur frei sich
die Atome selber noch unendlich theilbar zu denken, sondern man
muss sogar zugeben, dass wir selbst physikalisch ein Element, das
wir in Rücksicht auf gewisse Erscheinungen als eine letzte Einheit
betrachten, oft hinsichtlich anderer Erscheinungen in noch weitere Ein-
heiten zerlegen müssen. Die Atome sind, um es kurz auszudrücken,
nicht die Elemente, in die man die Materie zerlegen kann, sondern
diejenigen, in die man sie, durch die Erscheinungen genöthigt, zer-
legen muss.
Wenn man nun die Atome einfach als die Träger der Anziehungs-
und Abstossungskräfte der Körper bezeichnet, so ist es offenbar schwer
denkbar, dass dieselben Theilchen der Materie, die einander anzie-
hen, gleichzeitig sich abstossen sollten. Man entgeht dieser Schwie-
rigkeit durch die auch in andern Erscheinungen ihre Stütze findende
Annahme, dass zweierlei Atome innig gemengt in den Körpern vor-
kommen, solche mit Anziehungs- und solche mit Abstossungskräften.
Die ersteren bezeichnet man auch als die Atome aus wägbarer
Materie, weil sie die Veranlassung sind, dass die Körper gegen die
Erde gravitiren und dadurch ein gewisses Gewicht besitzen. Die letz-
teren bezeichnet man als die Atome aus unwägbarer Materie oder,
weil man die unwägbare Materie Aether nennt, als die Aetheratome.
Die Lichterscheinungen nöthigen uns zu der Annahme, dass der Aether
ebenso wie die wägbare Materie aus gesonderten Theilchen besteht.
Die Lichterscheinungen und ein Theil der Wärmeerscheinungen lassen
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