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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.

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Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
von 423,5 Kilogr. 1 Meter weit gefördert wird, oder, wie man sich
kürzer ausdrückt, man kann eine Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter
leisten. Mit einer mechanischen Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter
kann man daher auch umgekehrt 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmen.
Wäre es möglich, die gesammte Wärme, die man durch mechanische
Arbeit erhalten hat, wieder in dieselbe Form von Arbeit zurückzuver-
wandeln, könnte man also z. B. die sämmtliche Arbeit, die bei der
Bewegung einer Dampfmaschine erzeugt wird, wieder zur Erwärmung
des Kessels verwenden, so würde man ein perpetuum mobile besitzen,
d. h. eine Maschine, die ihre Bewegung fortwährend selbst unterhielte,
ohne Zufuhr von neuem Heizungsmaterial. Eine solche Maschine könnte
jedoch keine Arbeit nach aussen abgeben, man würde also durch die-
selbe niemals Arbeit gewinnen können. Da aber nicht einmal alle
durch eine gewisse mechanische Arbeit gewonnene Wärme sich wieder
in Arbeit zurückverwandeln lässt, so ist selbst in dieser Form ein
perpetuum mobile unmöglich.

Jede Naturkraft kann sowohl als lebendige Kraft wie als Spann-
kraft existiren. Wie die mechanische Kraft bald wirklich Bewegung
erzeugt, bald bloss solche zu erzeugen strebt, also gleichsam latent
wird, so kann auch die Wärme latent werden. Dies geschieht dann,
wenn sie auf feste oder flüssige Körper übergeht und den Abstand
der kleinsten Theilchen dieser Körper vergrössert. In solchem Fall
wird diesen Theilchen, gerade so wie dem in die Höhe gehobenen
Gewichte, eine Spannkraft mitgetheilt, die sich als Verminderung der
lebendigen Kraft der Wärme geltend macht, die aber, sobald die Theil-
chen wieder in ihren früheren Zustand übergehen, auch wieder zu Wärme
wird. Die Elektricität ist entweder elektrische Spannung, Spannkraft,
oder bewegte Elektricität, lebendige Kraft. Die chemischen Kräfte
endlich sind Anziehungskräfte zwischen den qualitativ verschiedenen
Atomen. Sind diese Anziehungskräfte bloss als ein Streben zur Ver-
bindung der Atome vorhanden, so sind sie Spannkräfte, erzeugen sie
die Verbindung wirklich, so sind sie lebendige Kräfte. Die Atome im
freien Zustand oder in losen Verbindungen haben Spannkräfte in sich,
d. h. sie besitzen ein Streben in festere Verbindungen überzugehen.
So hat z. B. der freie Sauerstoff Spannkraft, d. h. ein Verwandtschafts-
bestreben zu allen oxydirbaren Körpern. Verbindet er sich wirklich,
verbrennt z. B. Wasserstoff mit Sauerstoffgas, so geht die Spannkraft
in lebendige Kraft über, die sich in diesem Fall als Licht und Wärme
äussert. In dem entstandenen Product, dem Wasser, ist, als in einer
sehr fixen Verbindung, keine nachweisbare Spannkraft mehr vorhan-
den. Will man daher das Wasser in seine Elemente trennen, so
muss man von aussen lebendige Kraft, z. B. Elektricität, zuführen. In
den Trennungsproducten, Sauerstoff und Wasserstoff, ist dann die
zugeführte lebendige Kraft wieder als Spannkraft enthalten.


Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
von 423,5 Kilogr. 1 Meter weit gefördert wird, oder, wie man sich
kürzer ausdrückt, man kann eine Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter
leisten. Mit einer mechanischen Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter
kann man daher auch umgekehrt 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmen.
Wäre es möglich, die gesammte Wärme, die man durch mechanische
Arbeit erhalten hat, wieder in dieselbe Form von Arbeit zurückzuver-
wandeln, könnte man also z. B. die sämmtliche Arbeit, die bei der
Bewegung einer Dampfmaschine erzeugt wird, wieder zur Erwärmung
des Kessels verwenden, so würde man ein perpetuum mobile besitzen,
d. h. eine Maschine, die ihre Bewegung fortwährend selbst unterhielte,
ohne Zufuhr von neuem Heizungsmaterial. Eine solche Maschine könnte
jedoch keine Arbeit nach aussen abgeben, man würde also durch die-
selbe niemals Arbeit gewinnen können. Da aber nicht einmal alle
durch eine gewisse mechanische Arbeit gewonnene Wärme sich wieder
in Arbeit zurückverwandeln lässt, so ist selbst in dieser Form ein
perpetuum mobile unmöglich.

Jede Naturkraft kann sowohl als lebendige Kraft wie als Spann-
kraft existiren. Wie die mechanische Kraft bald wirklich Bewegung
erzeugt, bald bloss solche zu erzeugen strebt, also gleichsam latent
wird, so kann auch die Wärme latent werden. Dies geschieht dann,
wenn sie auf feste oder flüssige Körper übergeht und den Abstand
der kleinsten Theilchen dieser Körper vergrössert. In solchem Fall
wird diesen Theilchen, gerade so wie dem in die Höhe gehobenen
Gewichte, eine Spannkraft mitgetheilt, die sich als Verminderung der
lebendigen Kraft der Wärme geltend macht, die aber, sobald die Theil-
chen wieder in ihren früheren Zustand übergehen, auch wieder zu Wärme
wird. Die Elektricität ist entweder elektrische Spannung, Spannkraft,
oder bewegte Elektricität, lebendige Kraft. Die chemischen Kräfte
endlich sind Anziehungskräfte zwischen den qualitativ verschiedenen
Atomen. Sind diese Anziehungskräfte bloss als ein Streben zur Ver-
bindung der Atome vorhanden, so sind sie Spannkräfte, erzeugen sie
die Verbindung wirklich, so sind sie lebendige Kräfte. Die Atome im
freien Zustand oder in losen Verbindungen haben Spannkräfte in sich,
d. h. sie besitzen ein Streben in festere Verbindungen überzugehen.
So hat z. B. der freie Sauerstoff Spannkraft, d. h. ein Verwandtschafts-
bestreben zu allen oxydirbaren Körpern. Verbindet er sich wirklich,
verbrennt z. B. Wasserstoff mit Sauerstoffgas, so geht die Spannkraft
in lebendige Kraft über, die sich in diesem Fall als Licht und Wärme
äussert. In dem entstandenen Product, dem Wasser, ist, als in einer
sehr fixen Verbindung, keine nachweisbare Spannkraft mehr vorhan-
den. Will man daher das Wasser in seine Elemente trennen, so
muss man von aussen lebendige Kraft, z. B. Elektricität, zuführen. In
den Trennungsproducten, Sauerstoff und Wasserstoff, ist dann die
zugeführte lebendige Kraft wieder als Spannkraft enthalten.


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[12/0034] Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. von 423,5 Kilogr. 1 Meter weit gefördert wird, oder, wie man sich kürzer ausdrückt, man kann eine Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter leisten. Mit einer mechanischen Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter kann man daher auch umgekehrt 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmen. Wäre es möglich, die gesammte Wärme, die man durch mechanische Arbeit erhalten hat, wieder in dieselbe Form von Arbeit zurückzuver- wandeln, könnte man also z. B. die sämmtliche Arbeit, die bei der Bewegung einer Dampfmaschine erzeugt wird, wieder zur Erwärmung des Kessels verwenden, so würde man ein perpetuum mobile besitzen, d. h. eine Maschine, die ihre Bewegung fortwährend selbst unterhielte, ohne Zufuhr von neuem Heizungsmaterial. Eine solche Maschine könnte jedoch keine Arbeit nach aussen abgeben, man würde also durch die- selbe niemals Arbeit gewinnen können. Da aber nicht einmal alle durch eine gewisse mechanische Arbeit gewonnene Wärme sich wieder in Arbeit zurückverwandeln lässt, so ist selbst in dieser Form ein perpetuum mobile unmöglich. Jede Naturkraft kann sowohl als lebendige Kraft wie als Spann- kraft existiren. Wie die mechanische Kraft bald wirklich Bewegung erzeugt, bald bloss solche zu erzeugen strebt, also gleichsam latent wird, so kann auch die Wärme latent werden. Dies geschieht dann, wenn sie auf feste oder flüssige Körper übergeht und den Abstand der kleinsten Theilchen dieser Körper vergrössert. In solchem Fall wird diesen Theilchen, gerade so wie dem in die Höhe gehobenen Gewichte, eine Spannkraft mitgetheilt, die sich als Verminderung der lebendigen Kraft der Wärme geltend macht, die aber, sobald die Theil- chen wieder in ihren früheren Zustand übergehen, auch wieder zu Wärme wird. Die Elektricität ist entweder elektrische Spannung, Spannkraft, oder bewegte Elektricität, lebendige Kraft. Die chemischen Kräfte endlich sind Anziehungskräfte zwischen den qualitativ verschiedenen Atomen. Sind diese Anziehungskräfte bloss als ein Streben zur Ver- bindung der Atome vorhanden, so sind sie Spannkräfte, erzeugen sie die Verbindung wirklich, so sind sie lebendige Kräfte. Die Atome im freien Zustand oder in losen Verbindungen haben Spannkräfte in sich, d. h. sie besitzen ein Streben in festere Verbindungen überzugehen. So hat z. B. der freie Sauerstoff Spannkraft, d. h. ein Verwandtschafts- bestreben zu allen oxydirbaren Körpern. Verbindet er sich wirklich, verbrennt z. B. Wasserstoff mit Sauerstoffgas, so geht die Spannkraft in lebendige Kraft über, die sich in diesem Fall als Licht und Wärme äussert. In dem entstandenen Product, dem Wasser, ist, als in einer sehr fixen Verbindung, keine nachweisbare Spannkraft mehr vorhan- den. Will man daher das Wasser in seine Elemente trennen, so muss man von aussen lebendige Kraft, z. B. Elektricität, zuführen. In den Trennungsproducten, Sauerstoff und Wasserstoff, ist dann die zugeführte lebendige Kraft wieder als Spannkraft enthalten.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/34>, abgerufen am 19.04.2024.