Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867.Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einenKörper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn wirkte. Desshalb ist aber doch die Wirkung der Kräfte vorhanden, wie sich sogleich zeigt, wenn wir die eine hinwegnehmen, da sich dann der Körper unter dem Einfluss der andern in Bewegung setzt. Wir können demnach solche Kräfte unterscheiden, die sich wirklich in Be- wegungen äussern, und solche, die bloss einen Druck ausüben, eine Bewegung zu erzeugen streben, welche Bewegung aber durch andere Kräfte, die einen Druck in entgegengesetzter Richtung ausüben, un- möglich wird. Man bezeichnet diejenigen Kräfte, die sich in wirklicher Bewegung äussern, als lebendige Kräfte, diejenigen, die bloss eine Bewegung zu erzeugen streben, als Spannkräfte. Nun zeigt sich leicht, dass weder die lebendigen Kräfte für sich noch die Spannkräfte für sich constant bleiben, sondern dass nur die Summe der leben- digen und Spannkräfte zusammengenommen unveränder- lich ist. Letzteres ist der eigentliche und wahre Ausdruck des Prin- cips der Erhaltung der Kraft. Dieses Princip schliesst somit in sich, dass fortwährend lebendige in Spannkräfte und umgekehrt Spannkräfte in lebendige Kräfte übergehen können, aber es drückt aus, dass bei diesem Uebergang stets so viel Spannkraft entstehen muss, als leben- dige Kraft verschwindet, oder so viel lebendige Kraft entstehen muss, als Spannkraft zum Verschwinden kommt. Eines der einfachsten Beispiele für unser Gesetz bietet die Bewe- Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einenKörper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn wirkte. Desshalb ist aber doch die Wirkung der Kräfte vorhanden, wie sich sogleich zeigt, wenn wir die eine hinwegnehmen, da sich dann der Körper unter dem Einfluss der andern in Bewegung setzt. Wir können demnach solche Kräfte unterscheiden, die sich wirklich in Be- wegungen äussern, und solche, die bloss einen Druck ausüben, eine Bewegung zu erzeugen streben, welche Bewegung aber durch andere Kräfte, die einen Druck in entgegengesetzter Richtung ausüben, un- möglich wird. Man bezeichnet diejenigen Kräfte, die sich in wirklicher Bewegung äussern, als lebendige Kräfte, diejenigen, die bloss eine Bewegung zu erzeugen streben, als Spannkräfte. Nun zeigt sich leicht, dass weder die lebendigen Kräfte für sich noch die Spannkräfte für sich constant bleiben, sondern dass nur die Summe der leben- digen und Spannkräfte zusammengenommen unveränder- lich ist. Letzteres ist der eigentliche und wahre Ausdruck des Prin- cips der Erhaltung der Kraft. Dieses Princip schliesst somit in sich, dass fortwährend lebendige in Spannkräfte und umgekehrt Spannkräfte in lebendige Kräfte übergehen können, aber es drückt aus, dass bei diesem Uebergang stets so viel Spannkraft entstehen muss, als leben- dige Kraft verschwindet, oder so viel lebendige Kraft entstehen muss, als Spannkraft zum Verschwinden kommt. Eines der einfachsten Beispiele für unser Gesetz bietet die Bewe- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="10"/><fw place="top" type="header">Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.</fw><lb/> Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einen<lb/> Körper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar<lb/> der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn<lb/> wirkte. 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Daran<lb/> wird aber das Gewicht durch das Räderwerk der Uhr verhindert, so<lb/> dass die zum Aufziehen verbrauchte lebendige Kraft nicht augenblick-<lb/> lich, sondern allmälig, im Lauf mehrerer Stunden zum Vorschein kommt.<lb/> Die lebendige Kraft ist, im Moment nachdem die Uhr aufgezogen ist,<lb/> sämmtlich in Spannkraft übergegangen, welche sich als ein Druck auf<lb/> das Räderwerk geltend macht und langsam während des Ablaufens<lb/> der Uhr wieder in lebendige Kraft übergeht. In jedem beliebigen<lb/> Moment während des Ablaufens der Uhr ist die Summe der veraus-<lb/> gabten lebendigen Kraft und der vorhandenen Spannkraft, die noch<lb/> in lebendige Kraft überzugehen hat, constant, nämlich gleich der ganzen<lb/> zum Aufziehen des Uhrwerks verbrauchten Kraft. Ist das Uhrwerk<lb/> vollständig abgelaufen, so ist alle ihm mitgetheilte Kraft als lebendige<lb/> Kraft verausgabt. Aber desshalb ist die Kraft keineswegs vernichtet.<lb/> Sie ist verbraucht worden, theils zur Ueberwindung der Reibung des<lb/> Räderwerks theils zur Ueberwindung des Luftwiderstandes, welchen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0032]
Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einen
Körper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar
der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn
wirkte. Desshalb ist aber doch die Wirkung der Kräfte vorhanden,
wie sich sogleich zeigt, wenn wir die eine hinwegnehmen, da sich dann
der Körper unter dem Einfluss der andern in Bewegung setzt. Wir
können demnach solche Kräfte unterscheiden, die sich wirklich in Be-
wegungen äussern, und solche, die bloss einen Druck ausüben, eine
Bewegung zu erzeugen streben, welche Bewegung aber durch andere
Kräfte, die einen Druck in entgegengesetzter Richtung ausüben, un-
möglich wird. Man bezeichnet diejenigen Kräfte, die sich in wirklicher
Bewegung äussern, als lebendige Kräfte, diejenigen, die bloss eine
Bewegung zu erzeugen streben, als Spannkräfte. Nun zeigt sich
leicht, dass weder die lebendigen Kräfte für sich noch die Spannkräfte
für sich constant bleiben, sondern dass nur die Summe der leben-
digen und Spannkräfte zusammengenommen unveränder-
lich ist. Letzteres ist der eigentliche und wahre Ausdruck des Prin-
cips der Erhaltung der Kraft. Dieses Princip schliesst somit in sich,
dass fortwährend lebendige in Spannkräfte und umgekehrt Spannkräfte
in lebendige Kräfte übergehen können, aber es drückt aus, dass bei
diesem Uebergang stets so viel Spannkraft entstehen muss, als leben-
dige Kraft verschwindet, oder so viel lebendige Kraft entstehen muss,
als Spannkraft zum Verschwinden kommt.
Eines der einfachsten Beispiele für unser Gesetz bietet die Bewe-
gung der Uhren. Wenn man eine gewöhnliche Pendeluhr aufzieht, so
verbraucht man dabei eine gewisse Menge lebendiger Kraft, die man
dem in die Höhe gezogenen Gewichte mittheilt; würde dieses Gewicht
augenblicklich wieder herabfallen, so würde es auch die ganze ihm
mitgetheilte lebendige Kraft augenblicklich wieder ausgeben. Daran
wird aber das Gewicht durch das Räderwerk der Uhr verhindert, so
dass die zum Aufziehen verbrauchte lebendige Kraft nicht augenblick-
lich, sondern allmälig, im Lauf mehrerer Stunden zum Vorschein kommt.
Die lebendige Kraft ist, im Moment nachdem die Uhr aufgezogen ist,
sämmtlich in Spannkraft übergegangen, welche sich als ein Druck auf
das Räderwerk geltend macht und langsam während des Ablaufens
der Uhr wieder in lebendige Kraft übergeht. In jedem beliebigen
Moment während des Ablaufens der Uhr ist die Summe der veraus-
gabten lebendigen Kraft und der vorhandenen Spannkraft, die noch
in lebendige Kraft überzugehen hat, constant, nämlich gleich der ganzen
zum Aufziehen des Uhrwerks verbrauchten Kraft. Ist das Uhrwerk
vollständig abgelaufen, so ist alle ihm mitgetheilte Kraft als lebendige
Kraft verausgabt. Aber desshalb ist die Kraft keineswegs vernichtet.
Sie ist verbraucht worden, theils zur Ueberwindung der Reibung des
Räderwerks theils zur Ueberwindung des Luftwiderstandes, welchen
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