Luft gewährt die atmosphärische Strahlenbrechung. Wegen des Brechungs- vermögens der Luft erfährt nämlich das Licht der Gestirne in unserer Atmosphäre eine Ablenkung von seiner Bahn; denn die Atmosphäre umgiebt als eine Gasschichte mit kugelförmiger Oberfläche die Erde. Nur die Strahlen, die lothrecht auf diese Oberfläche fallen, gelangen ungebrochen zu uns. Wir sehen desshalb bloss die im Zenith stehenden Gestirne an ihrem wahren Ort. Die andern scheinen uns dem Ze- nith näher zu liegen, als sie es in Wahrheit sind, weil alle von ihnen ausgehenden Strahlen den an der Grenze der Atmosphäre errichteten Einfallslothen durch die Bre- chung genähert werden. Da übrigens die Atmosphäre an der Erdoberfläche dichter ist als in grösserer Höhe, so muss die Ablenkung der Strahlen bei ihrem Gang durch die Atmosphäre fortwährend zunehmen. Das Licht der Gestirne beschreibt also, falls dieselben nicht im Zenith stehen, innerhalb unseres Luftkreises gebogene Linien. Aus dem Grad der Ablenkung der Gestirne von ihrem wahren Ort lässt sich nun das Bre- chungsvermögen der Luft berechnen.
Wir verfolgen nunmehr das Brechungsgesetz zuerst in seinen Anwendungen auf die Brechung an ebenen Trennungsflächen, um sodann die wichtigsten Fälle der Brechung an kugelförmig ge- krümmten Trennungsflächen zu betrachten. Zunächst setzen wir hier voraus, das Licht, dessen Gang wir bei der Brechung verfolgen, bestehe aus Aetherschwingungen von gleicher Wellenlänge. Solches Licht hat, wie man schon aus den allgemeinen Gesetzen der Wellen- bewegung ersieht, und wie wir es für diesen speciellen Fall noch näher nachweisen werden, die gleiche Brechbarkeit. Die Erscheinun- gen, die dadurch entstehen, dass es Aetherschwingungen von ver- schiedener Wellenlänge und demgemäss auch Licht von verschiede- ner Brechbarkeit giebt, werden wir in Cap. 8--10 im Zusammenhang erörtern.
[Abbildung]
Fig. 91.
Die Grenzen A B C D (Fig. 91)140 Brechung an ebenen Flächen. trennen ein dichteres von einem das- selbe umgebenden dünneren Medium. Nehmen wir an, in dem dichteren Me- dium befinde sich ein leuchtender Punkt a, der die Strahlen a b, a c, a d nach der begrenzenden Ebene A B sendet, so durchsetzt der auf A B senkrechte Strahl a c ungebro- chen die Trennungsfläche, da er selbst mit dem Einfallsloth zusammenfällt, die andern Strahlen a b, a d aber entfernen sich von den Einfallslothen l, l' nach den Richtungen b e, d g. Nennt man die Winkel, welche beliebig viele derartige Strahlen mit den Einfallslothen bilden, vor der Brechung a', a", a''' . . . ., nach der Brechung b', b", b''' . . . ., so werden zwar diese Winkel
Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen.
Luft gewährt die atmosphärische Strahlenbrechung. Wegen des Brechungs- vermögens der Luft erfährt nämlich das Licht der Gestirne in unserer Atmosphäre eine Ablenkung von seiner Bahn; denn die Atmosphäre umgiebt als eine Gasschichte mit kugelförmiger Oberfläche die Erde. Nur die Strahlen, die lothrecht auf diese Oberfläche fallen, gelangen ungebrochen zu uns. Wir sehen desshalb bloss die im Zenith stehenden Gestirne an ihrem wahren Ort. Die andern scheinen uns dem Ze- nith näher zu liegen, als sie es in Wahrheit sind, weil alle von ihnen ausgehenden Strahlen den an der Grenze der Atmosphäre errichteten Einfallslothen durch die Bre- chung genähert werden. Da übrigens die Atmosphäre an der Erdoberfläche dichter ist als in grösserer Höhe, so muss die Ablenkung der Strahlen bei ihrem Gang durch die Atmosphäre fortwährend zunehmen. Das Licht der Gestirne beschreibt also, falls dieselben nicht im Zenith stehen, innerhalb unseres Luftkreises gebogene Linien. Aus dem Grad der Ablenkung der Gestirne von ihrem wahren Ort lässt sich nun das Bre- chungsvermögen der Luft berechnen.
Wir verfolgen nunmehr das Brechungsgesetz zuerst in seinen Anwendungen auf die Brechung an ebenen Trennungsflächen, um sodann die wichtigsten Fälle der Brechung an kugelförmig ge- krümmten Trennungsflächen zu betrachten. Zunächst setzen wir hier voraus, das Licht, dessen Gang wir bei der Brechung verfolgen, bestehe aus Aetherschwingungen von gleicher Wellenlänge. Solches Licht hat, wie man schon aus den allgemeinen Gesetzen der Wellen- bewegung ersieht, und wie wir es für diesen speciellen Fall noch näher nachweisen werden, die gleiche Brechbarkeit. Die Erscheinun- gen, die dadurch entstehen, dass es Aetherschwingungen von ver- schiedener Wellenlänge und demgemäss auch Licht von verschiede- ner Brechbarkeit giebt, werden wir in Cap. 8—10 im Zusammenhang erörtern.
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Fig. 91.
Die Grenzen A B C D (Fig. 91)140 Brechung an ebenen Flächen. trennen ein dichteres von einem das- selbe umgebenden dünneren Medium. Nehmen wir an, in dem dichteren Me- dium befinde sich ein leuchtender Punkt a, der die Strahlen a b, a c, a d nach der begrenzenden Ebene A B sendet, so durchsetzt der auf A B senkrechte Strahl a c ungebro- chen die Trennungsfläche, da er selbst mit dem Einfallsloth zusammenfällt, die andern Strahlen a b, a d aber entfernen sich von den Einfallslothen l, l' nach den Richtungen b e, d g. Nennt man die Winkel, welche beliebig viele derartige Strahlen mit den Einfallslothen bilden, vor der Brechung α', α″, α‴ . . . ., nach der Brechung β', β″, β‴ . . . ., so werden zwar diese Winkel
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Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen.
Luft gewährt die atmosphärische Strahlenbrechung. Wegen des Brechungs-
vermögens der Luft erfährt nämlich das Licht der Gestirne in unserer Atmosphäre
eine Ablenkung von seiner Bahn; denn die Atmosphäre umgiebt als eine Gasschichte
mit kugelförmiger Oberfläche die Erde. Nur die Strahlen, die lothrecht auf diese
Oberfläche fallen, gelangen ungebrochen zu uns. Wir sehen desshalb bloss die im
Zenith stehenden Gestirne an ihrem wahren Ort. Die andern scheinen uns dem Ze-
nith näher zu liegen, als sie es in Wahrheit sind, weil alle von ihnen ausgehenden
Strahlen den an der Grenze der Atmosphäre errichteten Einfallslothen durch die Bre-
chung genähert werden. Da übrigens die Atmosphäre an der Erdoberfläche dichter
ist als in grösserer Höhe, so muss die Ablenkung der Strahlen bei ihrem Gang durch
die Atmosphäre fortwährend zunehmen. Das Licht der Gestirne beschreibt also, falls
dieselben nicht im Zenith stehen, innerhalb unseres Luftkreises gebogene Linien. Aus
dem Grad der Ablenkung der Gestirne von ihrem wahren Ort lässt sich nun das Bre-
chungsvermögen der Luft berechnen.
Wir verfolgen nunmehr das Brechungsgesetz zuerst in seinen
Anwendungen auf die Brechung an ebenen Trennungsflächen, um
sodann die wichtigsten Fälle der Brechung an kugelförmig ge-
krümmten Trennungsflächen zu betrachten. Zunächst setzen wir
hier voraus, das Licht, dessen Gang wir bei der Brechung verfolgen,
bestehe aus Aetherschwingungen von gleicher Wellenlänge. Solches
Licht hat, wie man schon aus den allgemeinen Gesetzen der Wellen-
bewegung ersieht, und wie wir es für diesen speciellen Fall noch
näher nachweisen werden, die gleiche Brechbarkeit. Die Erscheinun-
gen, die dadurch entstehen, dass es Aetherschwingungen von ver-
schiedener Wellenlänge und demgemäss auch Licht von verschiede-
ner Brechbarkeit giebt, werden wir in Cap. 8—10 im Zusammenhang
erörtern.
[Abbildung Fig. 91.]
Die Grenzen A B C D (Fig. 91)
trennen ein dichteres von einem das-
selbe umgebenden dünneren Medium.
Nehmen wir an, in dem dichteren Me-
dium befinde sich ein leuchtender
Punkt a, der die Strahlen a b, a c,
a d nach der begrenzenden Ebene
A B sendet, so durchsetzt der auf
A B senkrechte Strahl a c ungebro-
chen die Trennungsfläche, da er selbst
mit dem Einfallsloth zusammenfällt,
die andern Strahlen a b, a d aber
entfernen sich von den Einfallslothen l, l' nach den Richtungen b e,
d g. Nennt man die Winkel, welche beliebig viele derartige Strahlen
mit den Einfallslothen bilden, vor der Brechung α', α″, α‴ . . . .,
nach der Brechung β', β″, β‴ . . . ., so werden zwar diese Winkel
140
Brechung an
ebenen Flächen.
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Wundt, Wilhelm: Handbuch der medicinischen Physik. Erlangen, 1867, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_medizinische_1867/229>, abgerufen am 23.07.2024.
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