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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 6. Die reinen Empfindungen.
die eigenthümliche Differenzirung dieses Apparats in der
Schnecke der höheren Thiere die Entwicklung jenes ur-
sprünglich gleichförmigen zu einem überaus mannigfaltigen
Empfindungssystem begreiflich. Gleichwohl bleibt die Be-
schaffenheit des Aufnahmeapparates insofern eine ähnliche, als
derselbe zwar hier wie dort zu einer möglichst vollkommenen
Uebertragung des physikalischen Reizes auf die Sinnes-
nerven, in keiner Weise aber zu einer Transformation dieses
Reizes geeignet erscheint. Dem entspricht auch die Beobach-
tung, dass, ähnlich wie Druckempfindungen von solchen Haut-
stellen aus vermittelt werden können, die der besonderen
Aufnahmeapparate entbehren, so bei gewissen Thieren, bei
denen die Bedingungen der Schallübertragung besonders
günstige sind, wie bei Vögeln, selbst nach Entfernung des
ganzen Gehörorgans mit seinen specifischen Aufnahme-
apparaten noch Schallschwingungen auf den Hörnerven über-
tragen und empfunden werden.

Von diesem Verhalten unterscheiden sich nun wesentlich
der Geruchs-, der Geschmacks- und der Gesichts-
sinn
. Bei ihnen finden sich physiologische Einrichtungen,
die eine directe Einwirkung der Reize auf die Sinnesnerven
unmöglich machen, indem zwischen beide eigenthümliche
Apparate sich einschieben, in denen der äußere Sinnesreiz
Veränderungen hervorbringt, die dann erst die eigentlichen
die Sinnesnerven erregenden Reize sind. Diese Apparate sind
in den drei genannten Organen eigenthümlich metamorphi-
sirte Oberhautzellen, deren eines Ende dem Reiz zugänglich
ist, während das andere in einen Nervenfaden übergeht.
Alles spricht dafür, dass in diesem Fall die Aufnahme-
apparate nicht bloße Uebertragungs-, sondern Transfor-
mationsapparate
des Reizes sind. Dabei ist wahr-
scheinlich in diesen drei Fällen die Transformation eine
chemische, indem bei dem Geruchs- und Geschmackssinn

Wundt, Psychologie. 4

§ 6. Die reinen Empfindungen.
die eigenthümliche Differenzirung dieses Apparats in der
Schnecke der höheren Thiere die Entwicklung jenes ur-
sprünglich gleichförmigen zu einem überaus mannigfaltigen
Empfindungssystem begreiflich. Gleichwohl bleibt die Be-
schaffenheit des Aufnahmeapparates insofern eine ähnliche, als
derselbe zwar hier wie dort zu einer möglichst vollkommenen
Uebertragung des physikalischen Reizes auf die Sinnes-
nerven, in keiner Weise aber zu einer Transformation dieses
Reizes geeignet erscheint. Dem entspricht auch die Beobach-
tung, dass, ähnlich wie Druckempfindungen von solchen Haut-
stellen aus vermittelt werden können, die der besonderen
Aufnahmeapparate entbehren, so bei gewissen Thieren, bei
denen die Bedingungen der Schallübertragung besonders
günstige sind, wie bei Vögeln, selbst nach Entfernung des
ganzen Gehörorgans mit seinen specifischen Aufnahme-
apparaten noch Schallschwingungen auf den Hörnerven über-
tragen und empfunden werden.

Von diesem Verhalten unterscheiden sich nun wesentlich
der Geruchs-, der Geschmacks- und der Gesichts-
sinn
. Bei ihnen finden sich physiologische Einrichtungen,
die eine directe Einwirkung der Reize auf die Sinnesnerven
unmöglich machen, indem zwischen beide eigenthümliche
Apparate sich einschieben, in denen der äußere Sinnesreiz
Veränderungen hervorbringt, die dann erst die eigentlichen
die Sinnesnerven erregenden Reize sind. Diese Apparate sind
in den drei genannten Organen eigenthümlich metamorphi-
sirte Oberhautzellen, deren eines Ende dem Reiz zugänglich
ist, während das andere in einen Nervenfaden übergeht.
Alles spricht dafür, dass in diesem Fall die Aufnahme-
apparate nicht bloße Uebertragungs-, sondern Transfor-
mationsapparate
des Reizes sind. Dabei ist wahr-
scheinlich in diesen drei Fällen die Transformation eine
chemische, indem bei dem Geruchs- und Geschmackssinn

Wundt, Psychologie. 4
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[49/0065] § 6. Die reinen Empfindungen. die eigenthümliche Differenzirung dieses Apparats in der Schnecke der höheren Thiere die Entwicklung jenes ur- sprünglich gleichförmigen zu einem überaus mannigfaltigen Empfindungssystem begreiflich. Gleichwohl bleibt die Be- schaffenheit des Aufnahmeapparates insofern eine ähnliche, als derselbe zwar hier wie dort zu einer möglichst vollkommenen Uebertragung des physikalischen Reizes auf die Sinnes- nerven, in keiner Weise aber zu einer Transformation dieses Reizes geeignet erscheint. Dem entspricht auch die Beobach- tung, dass, ähnlich wie Druckempfindungen von solchen Haut- stellen aus vermittelt werden können, die der besonderen Aufnahmeapparate entbehren, so bei gewissen Thieren, bei denen die Bedingungen der Schallübertragung besonders günstige sind, wie bei Vögeln, selbst nach Entfernung des ganzen Gehörorgans mit seinen specifischen Aufnahme- apparaten noch Schallschwingungen auf den Hörnerven über- tragen und empfunden werden. Von diesem Verhalten unterscheiden sich nun wesentlich der Geruchs-, der Geschmacks- und der Gesichts- sinn. Bei ihnen finden sich physiologische Einrichtungen, die eine directe Einwirkung der Reize auf die Sinnesnerven unmöglich machen, indem zwischen beide eigenthümliche Apparate sich einschieben, in denen der äußere Sinnesreiz Veränderungen hervorbringt, die dann erst die eigentlichen die Sinnesnerven erregenden Reize sind. Diese Apparate sind in den drei genannten Organen eigenthümlich metamorphi- sirte Oberhautzellen, deren eines Ende dem Reiz zugänglich ist, während das andere in einen Nervenfaden übergeht. Alles spricht dafür, dass in diesem Fall die Aufnahme- apparate nicht bloße Uebertragungs-, sondern Transfor- mationsapparate des Reizes sind. Dabei ist wahr- scheinlich in diesen drei Fällen die Transformation eine chemische, indem bei dem Geruchs- und Geschmackssinn Wundt, Psychologie. 4

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/65>, abgerufen am 24.11.2024.