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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes.
die experimentelle wohl auch als "physiologische Psychologie"
zu bezeichnen, und den Darstellungen der letzteren werden dann
in der Regel auch noch diejenigen physiologischen Hülfskennt-
nisse aus der Physiologie des Nervensystems und der Sinnes-
organe zugewiesen, die zwar an sich nur der Physiologie an-
gehören, dabei aber doch eine Behandlung wünschenswerth
machen, die dem psychologischen Interesse besonders Rechnung
trägt. Demnach besitzt die "physiologische Psychologie" den
Charakter einer Uebergangsdisciplin, die jedoch, wie ihr Name
andeutet, der Hauptsache nach Psychologie ist, und die,
abgesehen von jenen physiologischen Hülfskenntnissen, durchaus
mit der "experimentelllen Psychologie" in dem oben definirten
Sinne zusammenfällt. Wenn daher von einigen Seiten versucht
wurde, zwischen eigentlicher Psychologie und physiologischer
Psychologie in dem Sinne zu unterscheiden, dass nur der ersten
die psychologische Interpretation der innern Erfahrung, der
zweiten aber die Ableitung derselben aus physiologischen Vor-
gängen obliege, so ist eine solche Grenzbestimmung als unstatt-
haft zurückzuweisen. Es gibt nur eine Art psychologischer
Causalerklärung, und diese besteht in der Ableitung complexerer
psychischer Vorgänge aus einfacheren, in welche Interpretations-
weise vermöge des oben festgestellten Verhältnisses der natur-
wissenschaftlichen zur psychologischen Erfahrung physiologische
Zwischenglieder immer nur aushülfsweise eingehen können (§ 2, 4).
An die Stelle dieser Aufgabe hat allerdings die materialistische
Psychologie, indem sie die Existenz einer psychischen Causalität
leugnete, die andere gesetzt, die psychischen Vorgänge aus der
Gehirnphysiologie abzuleiten. Diese aus den oben (§ 2, 10a) an-
geführten Gründen erkenntnisstheoretisch wie psychologisch unhalt-
bare Richtung kommt aber ebenso gut unter den Vertretern der
"reinen" wie unter denen der "physiologischen Psychologie" vor.

§ 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes.

1. Die unmittelbaren Erfahrungsinhalte, die den Ge-
genstand der Psychologie bilden, sind unter allen Um-
ständen Vorgänge von zusammengesetzter Beschaffenheit.

§ 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes.
die experimentelle wohl auch als »physiologische Psychologie«
zu bezeichnen, und den Darstellungen der letzteren werden dann
in der Regel auch noch diejenigen physiologischen Hülfskennt-
nisse aus der Physiologie des Nervensystems und der Sinnes-
organe zugewiesen, die zwar an sich nur der Physiologie an-
gehören, dabei aber doch eine Behandlung wünschenswerth
machen, die dem psychologischen Interesse besonders Rechnung
trägt. Demnach besitzt die »physiologische Psychologie« den
Charakter einer Uebergangsdisciplin, die jedoch, wie ihr Name
andeutet, der Hauptsache nach Psychologie ist, und die,
abgesehen von jenen physiologischen Hülfskenntnissen, durchaus
mit der »experimentelllen Psychologie« in dem oben definirten
Sinne zusammenfällt. Wenn daher von einigen Seiten versucht
wurde, zwischen eigentlicher Psychologie und physiologischer
Psychologie in dem Sinne zu unterscheiden, dass nur der ersten
die psychologische Interpretation der innern Erfahrung, der
zweiten aber die Ableitung derselben aus physiologischen Vor-
gängen obliege, so ist eine solche Grenzbestimmung als unstatt-
haft zurückzuweisen. Es gibt nur eine Art psychologischer
Causalerklärung, und diese besteht in der Ableitung complexerer
psychischer Vorgänge aus einfacheren, in welche Interpretations-
weise vermöge des oben festgestellten Verhältnisses der natur-
wissenschaftlichen zur psychologischen Erfahrung physiologische
Zwischenglieder immer nur aushülfsweise eingehen können (§ 2, 4).
An die Stelle dieser Aufgabe hat allerdings die materialistische
Psychologie, indem sie die Existenz einer psychischen Causalität
leugnete, die andere gesetzt, die psychischen Vorgänge aus der
Gehirnphysiologie abzuleiten. Diese aus den oben (§ 2, 10a) an-
geführten Gründen erkenntnisstheoretisch wie psychologisch unhalt-
bare Richtung kommt aber ebenso gut unter den Vertretern der
»reinen« wie unter denen der »physiologischen Psychologie« vor.

§ 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes.

1. Die unmittelbaren Erfahrungsinhalte, die den Ge-
genstand der Psychologie bilden, sind unter allen Um-
ständen Vorgänge von zusammengesetzter Beschaffenheit.

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[29/0045] § 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes. die experimentelle wohl auch als »physiologische Psychologie« zu bezeichnen, und den Darstellungen der letzteren werden dann in der Regel auch noch diejenigen physiologischen Hülfskennt- nisse aus der Physiologie des Nervensystems und der Sinnes- organe zugewiesen, die zwar an sich nur der Physiologie an- gehören, dabei aber doch eine Behandlung wünschenswerth machen, die dem psychologischen Interesse besonders Rechnung trägt. Demnach besitzt die »physiologische Psychologie« den Charakter einer Uebergangsdisciplin, die jedoch, wie ihr Name andeutet, der Hauptsache nach Psychologie ist, und die, abgesehen von jenen physiologischen Hülfskenntnissen, durchaus mit der »experimentelllen Psychologie« in dem oben definirten Sinne zusammenfällt. Wenn daher von einigen Seiten versucht wurde, zwischen eigentlicher Psychologie und physiologischer Psychologie in dem Sinne zu unterscheiden, dass nur der ersten die psychologische Interpretation der innern Erfahrung, der zweiten aber die Ableitung derselben aus physiologischen Vor- gängen obliege, so ist eine solche Grenzbestimmung als unstatt- haft zurückzuweisen. Es gibt nur eine Art psychologischer Causalerklärung, und diese besteht in der Ableitung complexerer psychischer Vorgänge aus einfacheren, in welche Interpretations- weise vermöge des oben festgestellten Verhältnisses der natur- wissenschaftlichen zur psychologischen Erfahrung physiologische Zwischenglieder immer nur aushülfsweise eingehen können (§ 2, 4). An die Stelle dieser Aufgabe hat allerdings die materialistische Psychologie, indem sie die Existenz einer psychischen Causalität leugnete, die andere gesetzt, die psychischen Vorgänge aus der Gehirnphysiologie abzuleiten. Diese aus den oben (§ 2, 10a) an- geführten Gründen erkenntnisstheoretisch wie psychologisch unhalt- bare Richtung kommt aber ebenso gut unter den Vertretern der »reinen« wie unter denen der »physiologischen Psychologie« vor. § 4. Allgemeine Uebersicht des Gegenstandes. 1. Die unmittelbaren Erfahrungsinhalte, die den Ge- genstand der Psychologie bilden, sind unter allen Um- ständen Vorgänge von zusammengesetzter Beschaffenheit.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/45>, abgerufen am 24.11.2024.