auf mechanische Bewegungsvorgänge voraussetzt, während man bei der Zuhülfenahme des Energiebegriffs der Materie neben der Eigenschaft der Bewegung bei unveränderter Energieform noch die Eigenschaft der Transformirbarkeit qualitativ verschiedener Energieformen in einander bei un- verändert bleibender Energiegröße zuschreibt.
3. In ähnlicher Weise wie der Begriff der Materie ein Hülfsbegriff der Naturwissenschaft, so ist nun der Begriff der Seele ein Hülfsbegriff der Psychologie. Auch er ist insofern unentbehrlich, als wir durchaus eines die Gesammt- heit der psychischen Erfahrungen eines individuellen Be- wusstseins zusammenfassenden Begriffs bedürfen, wobei aber natürlich auch hier der nähere Inhalt dieses Begriffs ganz und gar von den weiteren Hülfsbegriffen abhängt, welche die Natur der psychischen Causalität näher angeben. In der Bestimmung dieses Inhaltes hat ursprünglich die Psy- chologie darin das Schicksal der Naturwissenschaft getheilt, dass der Begriff der Seele ebenso wie der der Materie zu- nächst nicht sowohl aus dem empirischen Erklärungsbe- dürfnisse als vielmehr aus dem Streben nach einer phan- tasievollen Construction des allgemeinen Weltzusammenhangs hervorging. Aber während die Naturwissenschaft längst schon diesem mythologischen Stadium der Begriffsbildung entwachsen ist und sich einzelner in demselben entstandener Vorstellungen nur bedient hat, um bestimmte Ausgangs- punkte für eine methodisch strengere Begriffsbildung zu gewinnen, ist in der Psychologie der mythologisch-metaphy- sische Seelenbegriff bis in die neueste Zeit herrschend ge- blieben und zum Theil noch herrschend. Man bedient sich desselben nicht als eines allgemeinen Hülfsbegriffs, der in erster Linie die Zusammenfassung der psychischen That- sachen und in zweiter Linie die causale Interpretation der- selben vermitteln soll, sondern als eines Hülfsmittels, um
§ 22. Der Begriff der Seele.
auf mechanische Bewegungsvorgänge voraussetzt, während man bei der Zuhülfenahme des Energiebegriffs der Materie neben der Eigenschaft der Bewegung bei unveränderter Energieform noch die Eigenschaft der Transformirbarkeit qualitativ verschiedener Energieformen in einander bei un- verändert bleibender Energiegröße zuschreibt.
3. In ähnlicher Weise wie der Begriff der Materie ein Hülfsbegriff der Naturwissenschaft, so ist nun der Begriff der Seele ein Hülfsbegriff der Psychologie. Auch er ist insofern unentbehrlich, als wir durchaus eines die Gesammt- heit der psychischen Erfahrungen eines individuellen Be- wusstseins zusammenfassenden Begriffs bedürfen, wobei aber natürlich auch hier der nähere Inhalt dieses Begriffs ganz und gar von den weiteren Hülfsbegriffen abhängt, welche die Natur der psychischen Causalität näher angeben. In der Bestimmung dieses Inhaltes hat ursprünglich die Psy- chologie darin das Schicksal der Naturwissenschaft getheilt, dass der Begriff der Seele ebenso wie der der Materie zu- nächst nicht sowohl aus dem empirischen Erklärungsbe- dürfnisse als vielmehr aus dem Streben nach einer phan- tasievollen Construction des allgemeinen Weltzusammenhangs hervorging. Aber während die Naturwissenschaft längst schon diesem mythologischen Stadium der Begriffsbildung entwachsen ist und sich einzelner in demselben entstandener Vorstellungen nur bedient hat, um bestimmte Ausgangs- punkte für eine methodisch strengere Begriffsbildung zu gewinnen, ist in der Psychologie der mythologisch-metaphy- sische Seelenbegriff bis in die neueste Zeit herrschend ge- blieben und zum Theil noch herrschend. Man bedient sich desselben nicht als eines allgemeinen Hülfsbegriffs, der in erster Linie die Zusammenfassung der psychischen That- sachen und in zweiter Linie die causale Interpretation der- selben vermitteln soll, sondern als eines Hülfsmittels, um
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§ 22. Der Begriff der Seele.
auf mechanische Bewegungsvorgänge voraussetzt, während
man bei der Zuhülfenahme des Energiebegriffs der Materie
neben der Eigenschaft der Bewegung bei unveränderter
Energieform noch die Eigenschaft der Transformirbarkeit
qualitativ verschiedener Energieformen in einander bei un-
verändert bleibender Energiegröße zuschreibt.
3. In ähnlicher Weise wie der Begriff der Materie ein
Hülfsbegriff der Naturwissenschaft, so ist nun der Begriff
der Seele ein Hülfsbegriff der Psychologie. Auch er ist
insofern unentbehrlich, als wir durchaus eines die Gesammt-
heit der psychischen Erfahrungen eines individuellen Be-
wusstseins zusammenfassenden Begriffs bedürfen, wobei aber
natürlich auch hier der nähere Inhalt dieses Begriffs ganz
und gar von den weiteren Hülfsbegriffen abhängt, welche
die Natur der psychischen Causalität näher angeben. In
der Bestimmung dieses Inhaltes hat ursprünglich die Psy-
chologie darin das Schicksal der Naturwissenschaft getheilt,
dass der Begriff der Seele ebenso wie der der Materie zu-
nächst nicht sowohl aus dem empirischen Erklärungsbe-
dürfnisse als vielmehr aus dem Streben nach einer phan-
tasievollen Construction des allgemeinen Weltzusammenhangs
hervorging. Aber während die Naturwissenschaft längst
schon diesem mythologischen Stadium der Begriffsbildung
entwachsen ist und sich einzelner in demselben entstandener
Vorstellungen nur bedient hat, um bestimmte Ausgangs-
punkte für eine methodisch strengere Begriffsbildung zu
gewinnen, ist in der Psychologie der mythologisch-metaphy-
sische Seelenbegriff bis in die neueste Zeit herrschend ge-
blieben und zum Theil noch herrschend. Man bedient sich
desselben nicht als eines allgemeinen Hülfsbegriffs, der in
erster Linie die Zusammenfassung der psychischen That-
sachen und in zweiter Linie die causale Interpretation der-
selben vermitteln soll, sondern als eines Hülfsmittels, um
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/381>, abgerufen am 24.11.2024.
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