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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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IV. Die psychischen Entwicklungen.
bracht werden, noch durchaus nicht die Bedeutung von
Sprachlauten. In diese gehen sie allmählich, in der Regel
vom Anfang des 2. Lebensjahres an, durch den Einfluss der
Umgebung über. Die hauptsächlichste Wirkung üben hier-
bei die Nachahmungsbewegungen aus, die speciell als
Schallempfindungen eine doppelte Richtung zeigen, indem
nicht nur das Kind den Erwachsenen, sondern auch dieser
das Kind nachahmt. In der Regel ist sogar zuerst der Er-
wachsene der Nachahmende: er bildet die willkürlichen
Articulationslaute des Kindes nach, denen er zugleich eine
bestimmte Bedeutung beilegt, wie z. B. "Pa-pa" für Vater,
"Ma-ma" für Mutter, "da" für alle möglichen Wörter von
hinweisender Bedeutung (hier, dieser, nimm u. dergl.). Erst
später, und nachdem es durch absichtliche Nachahmung
solche Laute in bestimmter Bedeutung hat gebrauchen ler-
nen, ahmt das Kind auch andere Wörter der Sprache des
Erwachsenen nach, assimilirt sie aber dem Lautbestand
seiner eigenen Articulationsbewegungen.

Als ein wichtiges Hülfsmittel, durch das der Erwach-
sene mehr instinctiv als willkürlich das Verständniss des
Kindes für die von ihm gebrauchten Wörter fördert, dient
dabei die Geberde, meist in der Form der auf den Gegen-
stand hinweisenden, seltener, gewöhnlich nur bei Wörtern,
die Thätigkeiten, wie schlagen, schneiden, gehen, schlafen
u. dergl. bedeuten, als malende Geberde. Für die Geberde
hat das Kind ein natürliches Verständniss, für das Wort
nicht. Selbst die Onomatopoetica der Kindersprache (wau-
wau für Hund, hott-hott für Pferd u. a.) werden ihm stets
erst durch mehrfaches Hinweisen auf den Gegenstand ver-
ständlich. Auch ist nicht das Kind selbst der Schöpfer
dieser Onomatopoetica, sondern der Erwachsene, der auch
in dieser Beziehung instinctiv der Bewusstseinsstufe des
Kindes sich anzupassen sucht.

IV. Die psychischen Entwicklungen.
bracht werden, noch durchaus nicht die Bedeutung von
Sprachlauten. In diese gehen sie allmählich, in der Regel
vom Anfang des 2. Lebensjahres an, durch den Einfluss der
Umgebung über. Die hauptsächlichste Wirkung üben hier-
bei die Nachahmungsbewegungen aus, die speciell als
Schallempfindungen eine doppelte Richtung zeigen, indem
nicht nur das Kind den Erwachsenen, sondern auch dieser
das Kind nachahmt. In der Regel ist sogar zuerst der Er-
wachsene der Nachahmende: er bildet die willkürlichen
Articulationslaute des Kindes nach, denen er zugleich eine
bestimmte Bedeutung beilegt, wie z. B. »Pa-pa« für Vater,
»Ma-ma« für Mutter, »da« für alle möglichen Wörter von
hinweisender Bedeutung (hier, dieser, nimm u. dergl.). Erst
später, und nachdem es durch absichtliche Nachahmung
solche Laute in bestimmter Bedeutung hat gebrauchen ler-
nen, ahmt das Kind auch andere Wörter der Sprache des
Erwachsenen nach, assimilirt sie aber dem Lautbestand
seiner eigenen Articulationsbewegungen.

Als ein wichtiges Hülfsmittel, durch das der Erwach-
sene mehr instinctiv als willkürlich das Verständniss des
Kindes für die von ihm gebrauchten Wörter fördert, dient
dabei die Geberde, meist in der Form der auf den Gegen-
stand hinweisenden, seltener, gewöhnlich nur bei Wörtern,
die Thätigkeiten, wie schlagen, schneiden, gehen, schlafen
u. dergl. bedeuten, als malende Geberde. Für die Geberde
hat das Kind ein natürliches Verständniss, für das Wort
nicht. Selbst die Onomatopoetica der Kindersprache (wau-
wau für Hund, hott-hott für Pferd u. a.) werden ihm stets
erst durch mehrfaches Hinweisen auf den Gegenstand ver-
ständlich. Auch ist nicht das Kind selbst der Schöpfer
dieser Onomatopoetica, sondern der Erwachsene, der auch
in dieser Beziehung instinctiv der Bewusstseinsstufe des
Kindes sich anzupassen sucht.

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[342/0358] IV. Die psychischen Entwicklungen. bracht werden, noch durchaus nicht die Bedeutung von Sprachlauten. In diese gehen sie allmählich, in der Regel vom Anfang des 2. Lebensjahres an, durch den Einfluss der Umgebung über. Die hauptsächlichste Wirkung üben hier- bei die Nachahmungsbewegungen aus, die speciell als Schallempfindungen eine doppelte Richtung zeigen, indem nicht nur das Kind den Erwachsenen, sondern auch dieser das Kind nachahmt. In der Regel ist sogar zuerst der Er- wachsene der Nachahmende: er bildet die willkürlichen Articulationslaute des Kindes nach, denen er zugleich eine bestimmte Bedeutung beilegt, wie z. B. »Pa-pa« für Vater, »Ma-ma« für Mutter, »da« für alle möglichen Wörter von hinweisender Bedeutung (hier, dieser, nimm u. dergl.). Erst später, und nachdem es durch absichtliche Nachahmung solche Laute in bestimmter Bedeutung hat gebrauchen ler- nen, ahmt das Kind auch andere Wörter der Sprache des Erwachsenen nach, assimilirt sie aber dem Lautbestand seiner eigenen Articulationsbewegungen. Als ein wichtiges Hülfsmittel, durch das der Erwach- sene mehr instinctiv als willkürlich das Verständniss des Kindes für die von ihm gebrauchten Wörter fördert, dient dabei die Geberde, meist in der Form der auf den Gegen- stand hinweisenden, seltener, gewöhnlich nur bei Wörtern, die Thätigkeiten, wie schlagen, schneiden, gehen, schlafen u. dergl. bedeuten, als malende Geberde. Für die Geberde hat das Kind ein natürliches Verständniss, für das Wort nicht. Selbst die Onomatopoetica der Kindersprache (wau- wau für Hund, hott-hott für Pferd u. a.) werden ihm stets erst durch mehrfaches Hinweisen auf den Gegenstand ver- ständlich. Auch ist nicht das Kind selbst der Schöpfer dieser Onomatopoetica, sondern der Erwachsene, der auch in dieser Beziehung instinctiv der Bewusstseinsstufe des Kindes sich anzupassen sucht.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/358>, abgerufen am 12.05.2024.