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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
dual einander gegenüberstehenden und nach ihrem logischen
Verhältniss dem des Subjectes und Prädicates analogen
grammatischen Katogorien von Nomen und Attribut, Ver-
bum und Object, Verbum und Adverbium bezeichnet werden.
Auf diese Weise geht hier aus dem Process der apper-
ceptiven Analyse das Urtheil, das sprachlich in dem Satze
seinen Ausdruck findet, hervor.

Für das psychologische Verständniss der Urtheilsfunction
ist es von fundamentaler Bedeutung, dass dieselbe nicht als
eine synthetische, sondern als eine analytische Function
aufzufassen ist. Die ursprünglichen Gesammtvorstellungen,
die das Urtheil in seine auf einander bezogenen Bestandtheile
gliedert, sind durchaus übereinstimmend mit den Phantasie-
vorstellungen. Die Zerlegungsproducte, die auf diese Weise
entstehen, sind aber nicht, wie bei der Phantasiethätigkeit,
Phantasievorstellungen von beschränkterem Umfang und
größerer Klarheit, sondern Begriffsvorstellungen, wobei
wir mit dem letzteren Ausdruck solche Vorstellungen be-
zeichnen, die zu andern dem nämlichen Ganzen angehören-
den Theilvorstellungen in irgend einer der Beziehungen
stehen, die durch die Anwendung der allgemeinen Functionen
der Beziehung und Vergleichung auf Vorstellungsinhalte ge-
wonnen werden. Nennt man die Gesammtvorstellung, die
einer derartigen beziehenden Analyse unterworfen wird,
einen Gedanken, so ist demnach das Urtheil die Glie-
derung eines Gedankens in seine Bestandtheile, der Begriff
das Product einer solchen Gliederung.

17. Die Begriffe, die auf diesem Wege gewonnen wer-
den, ordnen sich nach der Art der stattgehabten Analyse in
gewisse allgemeine Classen. Solche Classen sind die Begriffe
von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen. Indem die
Urtheilsfunction in der Gliederung einer Gesammtvorstellung
besteht, setzt sie einen Gegenstand zu einer Eigenschaft

§ 17. Die Apperceptionsverbindungen.
dual einander gegenüberstehenden und nach ihrem logischen
Verhältniss dem des Subjectes und Prädicates analogen
grammatischen Katogorien von Nomen und Attribut, Ver-
bum und Object, Verbum und Adverbium bezeichnet werden.
Auf diese Weise geht hier aus dem Process der apper-
ceptiven Analyse das Urtheil, das sprachlich in dem Satze
seinen Ausdruck findet, hervor.

Für das psychologische Verständniss der Urtheilsfunction
ist es von fundamentaler Bedeutung, dass dieselbe nicht als
eine synthetische, sondern als eine analytische Function
aufzufassen ist. Die ursprünglichen Gesammtvorstellungen,
die das Urtheil in seine auf einander bezogenen Bestandtheile
gliedert, sind durchaus übereinstimmend mit den Phantasie-
vorstellungen. Die Zerlegungsproducte, die auf diese Weise
entstehen, sind aber nicht, wie bei der Phantasiethätigkeit,
Phantasievorstellungen von beschränkterem Umfang und
größerer Klarheit, sondern Begriffsvorstellungen, wobei
wir mit dem letzteren Ausdruck solche Vorstellungen be-
zeichnen, die zu andern dem nämlichen Ganzen angehören-
den Theilvorstellungen in irgend einer der Beziehungen
stehen, die durch die Anwendung der allgemeinen Functionen
der Beziehung und Vergleichung auf Vorstellungsinhalte ge-
wonnen werden. Nennt man die Gesammtvorstellung, die
einer derartigen beziehenden Analyse unterworfen wird,
einen Gedanken, so ist demnach das Urtheil die Glie-
derung eines Gedankens in seine Bestandtheile, der Begriff
das Product einer solchen Gliederung.

17. Die Begriffe, die auf diesem Wege gewonnen wer-
den, ordnen sich nach der Art der stattgehabten Analyse in
gewisse allgemeine Classen. Solche Classen sind die Begriffe
von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen. Indem die
Urtheilsfunction in der Gliederung einer Gesammtvorstellung
besteht, setzt sie einen Gegenstand zu einer Eigenschaft

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[311/0327] § 17. Die Apperceptionsverbindungen. dual einander gegenüberstehenden und nach ihrem logischen Verhältniss dem des Subjectes und Prädicates analogen grammatischen Katogorien von Nomen und Attribut, Ver- bum und Object, Verbum und Adverbium bezeichnet werden. Auf diese Weise geht hier aus dem Process der apper- ceptiven Analyse das Urtheil, das sprachlich in dem Satze seinen Ausdruck findet, hervor. Für das psychologische Verständniss der Urtheilsfunction ist es von fundamentaler Bedeutung, dass dieselbe nicht als eine synthetische, sondern als eine analytische Function aufzufassen ist. Die ursprünglichen Gesammtvorstellungen, die das Urtheil in seine auf einander bezogenen Bestandtheile gliedert, sind durchaus übereinstimmend mit den Phantasie- vorstellungen. Die Zerlegungsproducte, die auf diese Weise entstehen, sind aber nicht, wie bei der Phantasiethätigkeit, Phantasievorstellungen von beschränkterem Umfang und größerer Klarheit, sondern Begriffsvorstellungen, wobei wir mit dem letzteren Ausdruck solche Vorstellungen be- zeichnen, die zu andern dem nämlichen Ganzen angehören- den Theilvorstellungen in irgend einer der Beziehungen stehen, die durch die Anwendung der allgemeinen Functionen der Beziehung und Vergleichung auf Vorstellungsinhalte ge- wonnen werden. Nennt man die Gesammtvorstellung, die einer derartigen beziehenden Analyse unterworfen wird, einen Gedanken, so ist demnach das Urtheil die Glie- derung eines Gedankens in seine Bestandtheile, der Begriff das Product einer solchen Gliederung. 17. Die Begriffe, die auf diesem Wege gewonnen wer- den, ordnen sich nach der Art der stattgehabten Analyse in gewisse allgemeine Classen. Solche Classen sind die Begriffe von Gegenständen, Eigenschaften, Zuständen. Indem die Urtheilsfunction in der Gliederung einer Gesammtvorstellung besteht, setzt sie einen Gegenstand zu einer Eigenschaft

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/327>, abgerufen am 24.11.2024.