Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 16. Die Associationen.
Grenzfall dieser Art bildet die Erscheinung, die man als
"mittelbares Wiedererkennen" bezeichnet hat. Sie besteht
darin, dass ein Gegenstand nicht vermöge der ihm selbst
zukommenden Eigenschaften, sondern mittelst irgend welcher
begleitender Merkmale, die nur in zufälliger Verbindung
mit ihm stehen, wiedererkannt wird, also z. B. eine be-
gegnende Person mittelst einer andern die sie begleitet
u. dergl. Ein wesentlicher psychologischer Unterschied
zwischen diesen Fällen und denen des unmittelbaren Wie-
dererkennens findet sich aber nicht: auch solche nicht dem
wiedererkannten Gegenstand selbst zukommende Merkmale
gehören immerhin zu dem ganzen Complex von Vorstel-
lungselementen, die bei der Vorbereitung und dem schließ-
lichen Zustandekommen der Association zusammenwirken.
Doch kommt begreiflicher Weise jene zeitliche Verzögerung,
die den ganzen Wiedererkennungsvorgang in zwei Vorstel-
lungsprocesse sondert, und die häufig auch noch die Mithülfe
des willkürlichen Besinnens in Anspruch nimmt, meist in
besonders ausgeprägter Form bei diesen mittelbaren Wieder-
erkennungen vor.

17. Der einfache Wiedererkennungsvorgang, wie er bei
der Begegnung mit einem schon einmal wahrgenommenen
Gegenstande sich abspielt, bildet nun den Ausgangspunkt
zur Entwicklung der mannigfachsten anderen Associations-
vorgänge, sowohl solcher, die gleich ihm noch auf der
Grenzscheide simultaner und successiver Association stehen,
wie auch anderer, bei denen die zur letzteren führende Ver-
zögerung in der Bildung der Assimilations- und Complications-
verbindungen noch entschiedener zur Geltung kommt. So ist
die Wiedererkennung eines oft wahrgenommen Gegenstan-
des ein erleichterter und darum in der Regel simultan sich
vollziehender Vorgang, der sich der gewöhnlichen Assimila-
tion auch darin mehr nähert, dass das Bekanntheitsgefühl

§ 16. Die Associationen.
Grenzfall dieser Art bildet die Erscheinung, die man als
»mittelbares Wiedererkennen« bezeichnet hat. Sie besteht
darin, dass ein Gegenstand nicht vermöge der ihm selbst
zukommenden Eigenschaften, sondern mittelst irgend welcher
begleitender Merkmale, die nur in zufälliger Verbindung
mit ihm stehen, wiedererkannt wird, also z. B. eine be-
gegnende Person mittelst einer andern die sie begleitet
u. dergl. Ein wesentlicher psychologischer Unterschied
zwischen diesen Fällen und denen des unmittelbaren Wie-
dererkennens findet sich aber nicht: auch solche nicht dem
wiedererkannten Gegenstand selbst zukommende Merkmale
gehören immerhin zu dem ganzen Complex von Vorstel-
lungselementen, die bei der Vorbereitung und dem schließ-
lichen Zustandekommen der Association zusammenwirken.
Doch kommt begreiflicher Weise jene zeitliche Verzögerung,
die den ganzen Wiedererkennungsvorgang in zwei Vorstel-
lungsprocesse sondert, und die häufig auch noch die Mithülfe
des willkürlichen Besinnens in Anspruch nimmt, meist in
besonders ausgeprägter Form bei diesen mittelbaren Wieder-
erkennungen vor.

17. Der einfache Wiedererkennungsvorgang, wie er bei
der Begegnung mit einem schon einmal wahrgenommenen
Gegenstande sich abspielt, bildet nun den Ausgangspunkt
zur Entwicklung der mannigfachsten anderen Associations-
vorgänge, sowohl solcher, die gleich ihm noch auf der
Grenzscheide simultaner und successiver Association stehen,
wie auch anderer, bei denen die zur letzteren führende Ver-
zögerung in der Bildung der Assimilations- und Complications-
verbindungen noch entschiedener zur Geltung kommt. So ist
die Wiedererkennung eines oft wahrgenommen Gegenstan-
des ein erleichterter und darum in der Regel simultan sich
vollziehender Vorgang, der sich der gewöhnlichen Assimila-
tion auch darin mehr nähert, dass das Bekanntheitsgefühl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0297" n="281"/><fw place="top" type="header">§ 16. Die Associationen.</fw><lb/>
Grenzfall dieser Art bildet die Erscheinung, die man als<lb/>
»mittelbares Wiedererkennen« bezeichnet hat. Sie besteht<lb/>
darin, dass ein Gegenstand nicht vermöge der ihm selbst<lb/>
zukommenden Eigenschaften, sondern mittelst irgend welcher<lb/>
begleitender Merkmale, die nur in zufälliger Verbindung<lb/>
mit ihm stehen, wiedererkannt wird, also z. B. eine be-<lb/>
gegnende Person mittelst einer andern die sie begleitet<lb/>
u. dergl. Ein wesentlicher psychologischer Unterschied<lb/>
zwischen diesen Fällen und denen des unmittelbaren Wie-<lb/>
dererkennens findet sich aber nicht: auch solche nicht dem<lb/>
wiedererkannten Gegenstand selbst zukommende Merkmale<lb/>
gehören immerhin zu dem ganzen Complex von Vorstel-<lb/>
lungselementen, die bei der Vorbereitung und dem schließ-<lb/>
lichen Zustandekommen der Association zusammenwirken.<lb/>
Doch kommt begreiflicher Weise jene zeitliche Verzögerung,<lb/>
die den ganzen Wiedererkennungsvorgang in zwei Vorstel-<lb/>
lungsprocesse sondert, und die häufig auch noch die Mithülfe<lb/>
des willkürlichen Besinnens in Anspruch nimmt, meist in<lb/>
besonders ausgeprägter Form bei diesen mittelbaren Wieder-<lb/>
erkennungen vor.</p><lb/>
              <p>17. Der einfache Wiedererkennungsvorgang, wie er bei<lb/>
der Begegnung mit einem schon einmal wahrgenommenen<lb/>
Gegenstande sich abspielt, bildet nun den Ausgangspunkt<lb/>
zur Entwicklung der mannigfachsten anderen Associations-<lb/>
vorgänge, sowohl solcher, die gleich ihm noch auf der<lb/>
Grenzscheide simultaner und successiver Association stehen,<lb/>
wie auch anderer, bei denen die zur letzteren führende Ver-<lb/>
zögerung in der Bildung der Assimilations- und Complications-<lb/>
verbindungen noch entschiedener zur Geltung kommt. So ist<lb/>
die Wiedererkennung eines oft wahrgenommen Gegenstan-<lb/>
des ein erleichterter und darum in der Regel simultan sich<lb/>
vollziehender Vorgang, der sich der gewöhnlichen Assimila-<lb/>
tion auch darin mehr nähert, dass das Bekanntheitsgefühl<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0297] § 16. Die Associationen. Grenzfall dieser Art bildet die Erscheinung, die man als »mittelbares Wiedererkennen« bezeichnet hat. Sie besteht darin, dass ein Gegenstand nicht vermöge der ihm selbst zukommenden Eigenschaften, sondern mittelst irgend welcher begleitender Merkmale, die nur in zufälliger Verbindung mit ihm stehen, wiedererkannt wird, also z. B. eine be- gegnende Person mittelst einer andern die sie begleitet u. dergl. Ein wesentlicher psychologischer Unterschied zwischen diesen Fällen und denen des unmittelbaren Wie- dererkennens findet sich aber nicht: auch solche nicht dem wiedererkannten Gegenstand selbst zukommende Merkmale gehören immerhin zu dem ganzen Complex von Vorstel- lungselementen, die bei der Vorbereitung und dem schließ- lichen Zustandekommen der Association zusammenwirken. Doch kommt begreiflicher Weise jene zeitliche Verzögerung, die den ganzen Wiedererkennungsvorgang in zwei Vorstel- lungsprocesse sondert, und die häufig auch noch die Mithülfe des willkürlichen Besinnens in Anspruch nimmt, meist in besonders ausgeprägter Form bei diesen mittelbaren Wieder- erkennungen vor. 17. Der einfache Wiedererkennungsvorgang, wie er bei der Begegnung mit einem schon einmal wahrgenommenen Gegenstande sich abspielt, bildet nun den Ausgangspunkt zur Entwicklung der mannigfachsten anderen Associations- vorgänge, sowohl solcher, die gleich ihm noch auf der Grenzscheide simultaner und successiver Association stehen, wie auch anderer, bei denen die zur letzteren führende Ver- zögerung in der Bildung der Assimilations- und Complications- verbindungen noch entschiedener zur Geltung kommt. So ist die Wiedererkennung eines oft wahrgenommen Gegenstan- des ein erleichterter und darum in der Regel simultan sich vollziehender Vorgang, der sich der gewöhnlichen Assimila- tion auch darin mehr nähert, dass das Bekanntheitsgefühl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/297
Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/297>, abgerufen am 22.11.2024.