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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
logischen Sinne lediglich Anlagen oder Dispositionen zur
Entstehung künftiger Bestandtheile des psychischen Ge-
schehens, die an früher vorhanden gewesene anknüpfen.
Annahmen über den Zustand des "Unbewussten" oder über
irgend welche "unbewusste Vorgänge", die man neben den
uns in der Erfahrung gegebenen Bewusstseinsvorgängen vor-
aussetzt, sind daher für die Psychologie durchaus unfrucht-
bar; wohl aber gibt es physische Begleiterscheinungen
jener psychischen Dispositionen, die sich theils direct nach-
weisen theils aus manchen Erfahrungen erschließen lassen.
Diese psychischen Begleiterscheinungen bestehen in den Wir-
kungen, welche die Uebung in allen Organen und nament-
lich in den nervösen Organen hervorbringt. Als Wirkung der
Uebung beobachten wir nämlich im allgemeinen eine Er-
leichterung der Function
, welche die Wiedererneuerung
derselben begünstigt. Dabei wissen wir freilich auch hier
noch nichts näheres über die Veränderungen, die in der
vorhandenen Structur der Nervenelemente durch die Uebung
bewirkt werden; doch lassen sich immerhin diese Verän-
derungen durch nahe liegende mechanische Analogien, wie
z. B. durch die Verminderung der Reibungswiderstände in
Folge der Schleifung zweier Flächen an einander, verdeut-
lichen.

4. Schon bei der Bildung der zeitlichen Vorstellungen
(S. 182) wurde erwähnt, dass aus einer Reihe auf einander
folgender Vorstellungen in jedem Augenblick die unmittelbar
gegenwärtige in unserer Auffassung bevorzugt ist. Aehn-
lich sind nun auch in dem simultanen Zusammenhang des
Bewusstseins, z. B. in einem Zusammenklang von Tönen, in
einem Nebeneinander räumlicher Objecte, einzelne Inhalte
bevorzugt. In beiden Fällen bezeichnen wir diese Unter-
schiede der Auffassung als solche der Klarheit und Deut-
lichkeit
, wobei wir unter der ersten die relativ günstigere

III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde.
logischen Sinne lediglich Anlagen oder Dispositionen zur
Entstehung künftiger Bestandtheile des psychischen Ge-
schehens, die an früher vorhanden gewesene anknüpfen.
Annahmen über den Zustand des »Unbewussten« oder über
irgend welche »unbewusste Vorgänge«, die man neben den
uns in der Erfahrung gegebenen Bewusstseinsvorgängen vor-
aussetzt, sind daher für die Psychologie durchaus unfrucht-
bar; wohl aber gibt es physische Begleiterscheinungen
jener psychischen Dispositionen, die sich theils direct nach-
weisen theils aus manchen Erfahrungen erschließen lassen.
Diese psychischen Begleiterscheinungen bestehen in den Wir-
kungen, welche die Uebung in allen Organen und nament-
lich in den nervösen Organen hervorbringt. Als Wirkung der
Uebung beobachten wir nämlich im allgemeinen eine Er-
leichterung der Function
, welche die Wiedererneuerung
derselben begünstigt. Dabei wissen wir freilich auch hier
noch nichts näheres über die Veränderungen, die in der
vorhandenen Structur der Nervenelemente durch die Uebung
bewirkt werden; doch lassen sich immerhin diese Verän-
derungen durch nahe liegende mechanische Analogien, wie
z. B. durch die Verminderung der Reibungswiderstände in
Folge der Schleifung zweier Flächen an einander, verdeut-
lichen.

4. Schon bei der Bildung der zeitlichen Vorstellungen
(S. 182) wurde erwähnt, dass aus einer Reihe auf einander
folgender Vorstellungen in jedem Augenblick die unmittelbar
gegenwärtige in unserer Auffassung bevorzugt ist. Aehn-
lich sind nun auch in dem simultanen Zusammenhang des
Bewusstseins, z. B. in einem Zusammenklang von Tönen, in
einem Nebeneinander räumlicher Objecte, einzelne Inhalte
bevorzugt. In beiden Fällen bezeichnen wir diese Unter-
schiede der Auffassung als solche der Klarheit und Deut-
lichkeit
, wobei wir unter der ersten die relativ günstigere

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[244/0260] III. Der Zusammenhang der psychischen Gebilde. logischen Sinne lediglich Anlagen oder Dispositionen zur Entstehung künftiger Bestandtheile des psychischen Ge- schehens, die an früher vorhanden gewesene anknüpfen. Annahmen über den Zustand des »Unbewussten« oder über irgend welche »unbewusste Vorgänge«, die man neben den uns in der Erfahrung gegebenen Bewusstseinsvorgängen vor- aussetzt, sind daher für die Psychologie durchaus unfrucht- bar; wohl aber gibt es physische Begleiterscheinungen jener psychischen Dispositionen, die sich theils direct nach- weisen theils aus manchen Erfahrungen erschließen lassen. Diese psychischen Begleiterscheinungen bestehen in den Wir- kungen, welche die Uebung in allen Organen und nament- lich in den nervösen Organen hervorbringt. Als Wirkung der Uebung beobachten wir nämlich im allgemeinen eine Er- leichterung der Function, welche die Wiedererneuerung derselben begünstigt. Dabei wissen wir freilich auch hier noch nichts näheres über die Veränderungen, die in der vorhandenen Structur der Nervenelemente durch die Uebung bewirkt werden; doch lassen sich immerhin diese Verän- derungen durch nahe liegende mechanische Analogien, wie z. B. durch die Verminderung der Reibungswiderstände in Folge der Schleifung zweier Flächen an einander, verdeut- lichen. 4. Schon bei der Bildung der zeitlichen Vorstellungen (S. 182) wurde erwähnt, dass aus einer Reihe auf einander folgender Vorstellungen in jedem Augenblick die unmittelbar gegenwärtige in unserer Auffassung bevorzugt ist. Aehn- lich sind nun auch in dem simultanen Zusammenhang des Bewusstseins, z. B. in einem Zusammenklang von Tönen, in einem Nebeneinander räumlicher Objecte, einzelne Inhalte bevorzugt. In beiden Fällen bezeichnen wir diese Unter- schiede der Auffassung als solche der Klarheit und Deut- lichkeit, wobei wir unter der ersten die relativ günstigere

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/260>, abgerufen am 12.05.2024.