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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 14. Die Willensvorgänge.
elementen begleitet, die wieder im Verlauf der Handlung
sich verändern und einander ablösen können. Als Total-
gefühl ist das Thätigkeitsgefühl ein auf- und absteigender
zeitlicher Vorgang, der sich über den ganzen Verlauf der
Handlung erstreckt und mit dem Ende derselben in die sehr
mannigfachen Gefühle der Erfüllung, Befriedigung, Ent-
täuschung u. dgl. sowie in die verschiedenen Gefühle und
Affecte übergeht, die an die besonderen Erfolge der Hand-
lung geknüpft sind. Betrachten wir diesen bei den Willkür-
und Wahlhandlungen sich darbietenden Verlauf als den einer
vollständigen Willenshandlung, so unterscheiden sich nun
die Triebhandlungen wesentlich dadurch, dass bei ihnen
die vorbereitenden Gefühle der Entscheidung und Ent-
schließung hinwegfallen, indem das an das Motiv geknüpfte
Gefühl unmittelbar in das Thätigkeitsgefühl und dann in
die der Wirkung der Handlung entsprechenden Gefühle
übergeht.

8. An den Uebergang der einfachen in die zusammen-
gesetzten Willenshandlungen schließt sich eine Reihe wei-
terer Veränderungen an, die für die Entwicklung des Willens
von großer Bedeutung sind. Die erste dieser Veränderungen
besteht darin, dass die Affecte, die die Willensvorgänge ein-
leiten, in Folge der Gegenwirkung verschiedener sich wechsel-
seitig hemmender Gefühle mehr und mehr an Intensität ab-
nehmen, so dass schließlich aus einem anscheinend völlig
affectlosen Gefühlsverlauf Willenshandlungen entspringen
können. Freilich handelt es sich dabei niemals um einen
absoluten Mangel des Affects. Damit ein in dem gewöhn-
lichen Gefühlsverlauf auftretendes Motiv eine Entscheidung
oder Entschließung herbeiführe, muss es sich immer in
einem gewissen Grade mit einer Affecterregung verbinden.
Diese kann aber doch thatsächlich so schwach und vorüber-
gehend sein, dass wir sie um so leichter übersehen, je

§ 14. Die Willensvorgänge.
elementen begleitet, die wieder im Verlauf der Handlung
sich verändern und einander ablösen können. Als Total-
gefühl ist das Thätigkeitsgefühl ein auf- und absteigender
zeitlicher Vorgang, der sich über den ganzen Verlauf der
Handlung erstreckt und mit dem Ende derselben in die sehr
mannigfachen Gefühle der Erfüllung, Befriedigung, Ent-
täuschung u. dgl. sowie in die verschiedenen Gefühle und
Affecte übergeht, die an die besonderen Erfolge der Hand-
lung geknüpft sind. Betrachten wir diesen bei den Willkür-
und Wahlhandlungen sich darbietenden Verlauf als den einer
vollständigen Willenshandlung, so unterscheiden sich nun
die Triebhandlungen wesentlich dadurch, dass bei ihnen
die vorbereitenden Gefühle der Entscheidung und Ent-
schließung hinwegfallen, indem das an das Motiv geknüpfte
Gefühl unmittelbar in das Thätigkeitsgefühl und dann in
die der Wirkung der Handlung entsprechenden Gefühle
übergeht.

8. An den Uebergang der einfachen in die zusammen-
gesetzten Willenshandlungen schließt sich eine Reihe wei-
terer Veränderungen an, die für die Entwicklung des Willens
von großer Bedeutung sind. Die erste dieser Veränderungen
besteht darin, dass die Affecte, die die Willensvorgänge ein-
leiten, in Folge der Gegenwirkung verschiedener sich wechsel-
seitig hemmender Gefühle mehr und mehr an Intensität ab-
nehmen, so dass schließlich aus einem anscheinend völlig
affectlosen Gefühlsverlauf Willenshandlungen entspringen
können. Freilich handelt es sich dabei niemals um einen
absoluten Mangel des Affects. Damit ein in dem gewöhn-
lichen Gefühlsverlauf auftretendes Motiv eine Entscheidung
oder Entschließung herbeiführe, muss es sich immer in
einem gewissen Grade mit einer Affecterregung verbinden.
Diese kann aber doch thatsächlich so schwach und vorüber-
gehend sein, dass wir sie um so leichter übersehen, je

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[223/0239] § 14. Die Willensvorgänge. elementen begleitet, die wieder im Verlauf der Handlung sich verändern und einander ablösen können. Als Total- gefühl ist das Thätigkeitsgefühl ein auf- und absteigender zeitlicher Vorgang, der sich über den ganzen Verlauf der Handlung erstreckt und mit dem Ende derselben in die sehr mannigfachen Gefühle der Erfüllung, Befriedigung, Ent- täuschung u. dgl. sowie in die verschiedenen Gefühle und Affecte übergeht, die an die besonderen Erfolge der Hand- lung geknüpft sind. Betrachten wir diesen bei den Willkür- und Wahlhandlungen sich darbietenden Verlauf als den einer vollständigen Willenshandlung, so unterscheiden sich nun die Triebhandlungen wesentlich dadurch, dass bei ihnen die vorbereitenden Gefühle der Entscheidung und Ent- schließung hinwegfallen, indem das an das Motiv geknüpfte Gefühl unmittelbar in das Thätigkeitsgefühl und dann in die der Wirkung der Handlung entsprechenden Gefühle übergeht. 8. An den Uebergang der einfachen in die zusammen- gesetzten Willenshandlungen schließt sich eine Reihe wei- terer Veränderungen an, die für die Entwicklung des Willens von großer Bedeutung sind. Die erste dieser Veränderungen besteht darin, dass die Affecte, die die Willensvorgänge ein- leiten, in Folge der Gegenwirkung verschiedener sich wechsel- seitig hemmender Gefühle mehr und mehr an Intensität ab- nehmen, so dass schließlich aus einem anscheinend völlig affectlosen Gefühlsverlauf Willenshandlungen entspringen können. Freilich handelt es sich dabei niemals um einen absoluten Mangel des Affects. Damit ein in dem gewöhn- lichen Gefühlsverlauf auftretendes Motiv eine Entscheidung oder Entschließung herbeiführe, muss es sich immer in einem gewissen Grade mit einer Affecterregung verbinden. Diese kann aber doch thatsächlich so schwach und vorüber- gehend sein, dass wir sie um so leichter übersehen, je

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/239>, abgerufen am 06.05.2024.