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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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§ 13. Die Affecte.
1) Bezeichnungen subjectiver, hauptsächlich nach dem
Gemüthszustand selbst unterschiedener Affecte, wie Freude
und Leid und, als Unterarten des Leides, bei denen theils
die deprimirende theils die spannende oder lösende Rich-
tung der Gefühle eine mitwirkende Rolle spielt, Wehmuth,
Kummer, Gram, Schreck. 2) Bezeichnungen objectiver,
auf einen äußeren Gegenstand sich beziehender Affecte, wie
Vergnügen und Missvergnügen und, als Unterarten des letz-
teren, die wieder, ähnlich wie oben, verschiedene Rich-
tungen in sich vereinigen, Verdruss, Unwille, Zorn, Wuth.
3) Bezeichnungen objectiver Affecte, die sich aber auf
äußere Ereignisse beziehen, welche erst in der Zukunft
zu erwarten sind, wie Hoffnung und Furcht sowie, als
Modificationen der letzteren, Angst und Sorge. Sie sind
Verbindungen spannender Affecte mit Lust- und Unlust-
gefühlen und, in veränderlicher Weise, zugleich mit einer
excitirenden oder deprimirenden Gefühlsrichtung.

Augenscheinlich hat die Sprache für die Unlustaffecte
eine viel größere Mannigfaltigkeit von Namen geschaffen,
als für die Lustaffecte. In der That macht es die Beobach-
tung wahrscheinlich, dass die Unlustaffecte eine größere
Verschiedenheit typischer Verlaufsformen zeigen, und dass
also wirklich ihre Mannigfaltigkeit größer ist.

12. Nach der Intensität der Gefühle können wir
schwache und starke Affecte unterscheiden. Diese den
psychischen Eigenschaften der Gefühle entnommenen Be-
griffe decken sich aber nicht mit den auf die physischen
Begleiterscheinungen gegründeten der sthenischen und asthe-
nischen Affecte, sondern das Verhältniss jener psychologischen
zu diesen psychophysischen Kategorien ist zugleich einerseits
von der Qualität anderseits von dem Stärkegrad der Gefühle
abhängig. So sind schwache und mäßig starke Lustaffecte
durchweg sthenisch; die Unlustaffecte dagegen werden bei

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§ 13. Die Affecte.
1) Bezeichnungen subjectiver, hauptsächlich nach dem
Gemüthszustand selbst unterschiedener Affecte, wie Freude
und Leid und, als Unterarten des Leides, bei denen theils
die deprimirende theils die spannende oder lösende Rich-
tung der Gefühle eine mitwirkende Rolle spielt, Wehmuth,
Kummer, Gram, Schreck. 2) Bezeichnungen objectiver,
auf einen äußeren Gegenstand sich beziehender Affecte, wie
Vergnügen und Missvergnügen und, als Unterarten des letz-
teren, die wieder, ähnlich wie oben, verschiedene Rich-
tungen in sich vereinigen, Verdruss, Unwille, Zorn, Wuth.
3) Bezeichnungen objectiver Affecte, die sich aber auf
äußere Ereignisse beziehen, welche erst in der Zukunft
zu erwarten sind, wie Hoffnung und Furcht sowie, als
Modificationen der letzteren, Angst und Sorge. Sie sind
Verbindungen spannender Affecte mit Lust- und Unlust-
gefühlen und, in veränderlicher Weise, zugleich mit einer
excitirenden oder deprimirenden Gefühlsrichtung.

Augenscheinlich hat die Sprache für die Unlustaffecte
eine viel größere Mannigfaltigkeit von Namen geschaffen,
als für die Lustaffecte. In der That macht es die Beobach-
tung wahrscheinlich, dass die Unlustaffecte eine größere
Verschiedenheit typischer Verlaufsformen zeigen, und dass
also wirklich ihre Mannigfaltigkeit größer ist.

12. Nach der Intensität der Gefühle können wir
schwache und starke Affecte unterscheiden. Diese den
psychischen Eigenschaften der Gefühle entnommenen Be-
griffe decken sich aber nicht mit den auf die physischen
Begleiterscheinungen gegründeten der sthenischen und asthe-
nischen Affecte, sondern das Verhältniss jener psychologischen
zu diesen psychophysischen Kategorien ist zugleich einerseits
von der Qualität anderseits von dem Stärkegrad der Gefühle
abhängig. So sind schwache und mäßig starke Lustaffecte
durchweg sthenisch; die Unlustaffecte dagegen werden bei

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[211/0227] § 13. Die Affecte. 1) Bezeichnungen subjectiver, hauptsächlich nach dem Gemüthszustand selbst unterschiedener Affecte, wie Freude und Leid und, als Unterarten des Leides, bei denen theils die deprimirende theils die spannende oder lösende Rich- tung der Gefühle eine mitwirkende Rolle spielt, Wehmuth, Kummer, Gram, Schreck. 2) Bezeichnungen objectiver, auf einen äußeren Gegenstand sich beziehender Affecte, wie Vergnügen und Missvergnügen und, als Unterarten des letz- teren, die wieder, ähnlich wie oben, verschiedene Rich- tungen in sich vereinigen, Verdruss, Unwille, Zorn, Wuth. 3) Bezeichnungen objectiver Affecte, die sich aber auf äußere Ereignisse beziehen, welche erst in der Zukunft zu erwarten sind, wie Hoffnung und Furcht sowie, als Modificationen der letzteren, Angst und Sorge. Sie sind Verbindungen spannender Affecte mit Lust- und Unlust- gefühlen und, in veränderlicher Weise, zugleich mit einer excitirenden oder deprimirenden Gefühlsrichtung. Augenscheinlich hat die Sprache für die Unlustaffecte eine viel größere Mannigfaltigkeit von Namen geschaffen, als für die Lustaffecte. In der That macht es die Beobach- tung wahrscheinlich, dass die Unlustaffecte eine größere Verschiedenheit typischer Verlaufsformen zeigen, und dass also wirklich ihre Mannigfaltigkeit größer ist. 12. Nach der Intensität der Gefühle können wir schwache und starke Affecte unterscheiden. Diese den psychischen Eigenschaften der Gefühle entnommenen Be- griffe decken sich aber nicht mit den auf die physischen Begleiterscheinungen gegründeten der sthenischen und asthe- nischen Affecte, sondern das Verhältniss jener psychologischen zu diesen psychophysischen Kategorien ist zugleich einerseits von der Qualität anderseits von dem Stärkegrad der Gefühle abhängig. So sind schwache und mäßig starke Lustaffecte durchweg sthenisch; die Unlustaffecte dagegen werden bei 14*

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/227>, abgerufen am 06.05.2024.