scharfe Grenzen in einander übergehen, so ist es für den objectiven Beobachter in der Regel unmöglich sie zu unter- scheiden.
5. Nach ihrem symptomatischen Charakter lassen sich die Ausdrucksbewegungen der Affecte in drei Classen son- dern: 1) Rein intensive Symptome: sie sind durchweg Ausdrucksformen stärkerer Affecte und bestehen bei mäßi- geren Graden in gesteigerten Bewegungen, bei sehr heftigen Affecten in plötzlicher Hemmung oder Lähmung der Be- wegung. 2) Qualitative Gefühlsäußerungen: sie bestehen in mimischen Bewegungen, unter denen Reac- tionen der Mundmuskeln, die den auf süße, saure und bittere Geschmackseindrücke folgenden Reflexen gleichen, die vor- wiegende Rolle spielen. Dabei entspricht der süße Gesichts- ausdruck Lustaffecten, der saure und bittere Unlustaffecten, während die sonstigen Modificationen des Gefühls, wie die Erregung und Depression, die Spannung und ihre Lösung, durch die Spannung der Mundmuskeln ausgedrückt werden. 3) Vorstellungsäußerungen: sie bestehen im allgemeinen in pantomimischen Bewegungen, bei denen entweder auf die Gegenstände des Affects hingewiesen wird (hin- weisende Geberden), oder bei denen die Gegenstände sowie die mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge durch die Form der Bewegung angedeutet werden (malende Geberden). Augenscheinlich entsprechen diese drei Ausdrucksformen genau den psychischen Elementen des Affects und deren Grundeigenschaften, nämlich die erste der Intensität, die zweite der Qualität der Gefühle und die dritte dem Vor- stellungsinhalt. Demgemäß kann auch eine concrete Aus- drucksbewegung alle drei Ausdrucksformen in sich ver- einigen. Die dritte Form, die der Vorstellungsäußerungen, ist wegen ihrer genetischen Beziehungen zur Sprache von besonderer psychologischer Bedeutung. (Vgl. § 21, 3.)
§ 13. Die Affecte.
scharfe Grenzen in einander übergehen, so ist es für den objectiven Beobachter in der Regel unmöglich sie zu unter- scheiden.
5. Nach ihrem symptomatischen Charakter lassen sich die Ausdrucksbewegungen der Affecte in drei Classen son- dern: 1) Rein intensive Symptome: sie sind durchweg Ausdrucksformen stärkerer Affecte und bestehen bei mäßi- geren Graden in gesteigerten Bewegungen, bei sehr heftigen Affecten in plötzlicher Hemmung oder Lähmung der Be- wegung. 2) Qualitative Gefühlsäußerungen: sie bestehen in mimischen Bewegungen, unter denen Reac- tionen der Mundmuskeln, die den auf süße, saure und bittere Geschmackseindrücke folgenden Reflexen gleichen, die vor- wiegende Rolle spielen. Dabei entspricht der süße Gesichts- ausdruck Lustaffecten, der saure und bittere Unlustaffecten, während die sonstigen Modificationen des Gefühls, wie die Erregung und Depression, die Spannung und ihre Lösung, durch die Spannung der Mundmuskeln ausgedrückt werden. 3) Vorstellungsäußerungen: sie bestehen im allgemeinen in pantomimischen Bewegungen, bei denen entweder auf die Gegenstände des Affects hingewiesen wird (hin- weisende Geberden), oder bei denen die Gegenstände sowie die mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge durch die Form der Bewegung angedeutet werden (malende Geberden). Augenscheinlich entsprechen diese drei Ausdrucksformen genau den psychischen Elementen des Affects und deren Grundeigenschaften, nämlich die erste der Intensität, die zweite der Qualität der Gefühle und die dritte dem Vor- stellungsinhalt. Demgemäß kann auch eine concrete Aus- drucksbewegung alle drei Ausdrucksformen in sich ver- einigen. Die dritte Form, die der Vorstellungsäußerungen, ist wegen ihrer genetischen Beziehungen zur Sprache von besonderer psychologischer Bedeutung. (Vgl. § 21, 3.)
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§ 13. Die Affecte.
scharfe Grenzen in einander übergehen, so ist es für den
objectiven Beobachter in der Regel unmöglich sie zu unter-
scheiden.
5. Nach ihrem symptomatischen Charakter lassen sich
die Ausdrucksbewegungen der Affecte in drei Classen son-
dern: 1) Rein intensive Symptome: sie sind durchweg
Ausdrucksformen stärkerer Affecte und bestehen bei mäßi-
geren Graden in gesteigerten Bewegungen, bei sehr heftigen
Affecten in plötzlicher Hemmung oder Lähmung der Be-
wegung. 2) Qualitative Gefühlsäußerungen: sie
bestehen in mimischen Bewegungen, unter denen Reac-
tionen der Mundmuskeln, die den auf süße, saure und bittere
Geschmackseindrücke folgenden Reflexen gleichen, die vor-
wiegende Rolle spielen. Dabei entspricht der süße Gesichts-
ausdruck Lustaffecten, der saure und bittere Unlustaffecten,
während die sonstigen Modificationen des Gefühls, wie die
Erregung und Depression, die Spannung und ihre Lösung,
durch die Spannung der Mundmuskeln ausgedrückt werden.
3) Vorstellungsäußerungen: sie bestehen im allgemeinen
in pantomimischen Bewegungen, bei denen entweder
auf die Gegenstände des Affects hingewiesen wird (hin-
weisende Geberden), oder bei denen die Gegenstände sowie
die mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge durch die
Form der Bewegung angedeutet werden (malende Geberden).
Augenscheinlich entsprechen diese drei Ausdrucksformen
genau den psychischen Elementen des Affects und deren
Grundeigenschaften, nämlich die erste der Intensität, die
zweite der Qualität der Gefühle und die dritte dem Vor-
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einigen. Die dritte Form, die der Vorstellungsäußerungen,
ist wegen ihrer genetischen Beziehungen zur Sprache von
besonderer psychologischer Bedeutung. (Vgl. § 21, 3.)
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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/219>, abgerufen am 25.11.2024.
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